𝑃𝑟𝑜𝑙𝑜𝑔

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Pia


Heute war der Tag. Der Tag, auf den ich schon lange gewartet hatte. Der Tag, an welchem die Natesim meine Eltern in alles einweihen würden. Der Tag, ab dem ich offiziell als Pia Soon galt, und damit meinem Leben den letzten Schuss Normalität nahm.

Marie, meine beste Freundin, und neuerdings auch meine Schwester, drückte meine Hand, als ich auf die Klingel meines Elternhauses drückte.

Ich hatte mir bis jetzt nicht genau überlegt, was ich sagen wollte. Eigentlich hoffte ich, das Saphira und Moritz das Reden übernahmen.

Ade und Sverre, die Anführer von Tag und Nachtreich, hatten beschlossen, das es das Beste war, wenn wir meinen Eltern die Wahrheit erzählten. Sie wussten, dass sie mich von den Soons adoptiert hatten, also sollten sie verstehen, warum ich jetzt plötzlich zu ihnen zog.

Die Tür sprang auf und ich atmete tief ein. „Pia? Pia! Wir haben uns solche Sorgen gemacht!" Meine Mutter stand mit großen Augen vor mir. Sie sah schlecht aus. Unter ihren Augen lagen tiefe Ringe und ihre Gesichtsfarbe hatte einen unnatürlichen Weißton angenommen, dabei hatte sie früher immer so lebhaft ausgesehen. Viel jünger, als sie eigentlich war.

„Was hast du mit deinen Augen gemacht?", fragte meine Mutter erstaunt, nachdem sie mich einige Momente lang gemustert hatte. Erst dachte ich, sie würde vor mir umkippen, doch dann zog sie mich fest in ihre Arme.

Der Geruch nach Keksen und Honig klebte wie immer an ihr. Ich schloss meine Augen und versuchte den Moment einzufangen. So schnell würde ich diesen Geruch nicht wieder riechen. Und ich hatte ihn so sehr vermisst. Dieser Mensch roch nach meiner Kindheit, nach Normalität und Geborgenheit.

Was meine Augen anging, hatte sie recht. Sie waren nicht mehr wie sonst. Bis vor kurzem dachte ich, dass meine grünen Augen vollkommen natürlich entstanden waren, doch nachdem ich erfahren hatte, dass Saphira und Moritz sie mir operieren lassen hatten, wollte ich unbedingt meine alten Augenfarben zurück. Ein schwarzes und ein goldenes Auge. So erkannte man, wer ich war. Dass ich sowohl vom Tag als auch von der Nacht abstammte.

Die OP war nicht schmerzhaft gewesen, im Gegenteil. Seit ich sie überstanden hatte, fühlte ich mich viel stärker.

„Was ist passiert? Wo warst du denn so lange?" Meine Mutter strich mir über den Kopf und überrollte mich mit Fragen, doch gerade konnte ich ihr nicht antworten. Ich war viel zu froh darüber, wieder in ihren Armen zu liegen.

„Pia war bei uns. Wir hatten etwas Wichtiges zu klären." Moritz sah nicht ganz so glücklich aus. Normalerweise war es uns untersagt, Menschen von den Geheimnissen der Natesim zu berichten, doch Sverre und Ade hatten für mich eine Ausnahme gemacht. Außerdem wusste er, dass er diesem lieben Ehepaar nun das Herz brechen würde.

„Warum hat keiner bei uns Zuhause angerufen? Und warum wart ihr nie bei den Soons, als wir dort vorbeigegangen sind? Keiner von euch?"

Mein Vater war hinter meiner Mutter aufgetaucht und zog ungläubig seine Augenbraue hoch. Anscheinend hatte er zu dieser frühen Uhrzeit noch keinen Besuch erwartet. Als er mich ansah, und meine neuen Augenfarben entdeckte, schaffte er es sogar noch, die Brauen noch höher zu ziehen.

„Wir waren nicht zu Hause. Wir waren ... woanders", versuchte sich Marie zu erklären.

„Aber warum? Und warum habt ihr nicht bescheid gesagt?"

Moritz räusperte sich. „Pia weiß, dass sie unsere Tochter ist." Seine Art, alles direkt herauszusagen, war vielleicht nicht die eleganteste Lösung gewesen, aber immerhin musste ich es jetzt nicht mehr aussprechen.

SOON - Das Schicksal von Sonne und Mond (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt