𝑆𝑒𝑐ℎ𝑠

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Die Zeit zum Frühstücken hatte ich bei weitem verpasst, aber in der Küche konnte ich mir noch ein Stück Brot und einen Apfel organisieren. Die Köchin war nicht erfreut darüber und ich musste ihr versprechen, pünktlich zum Mittagessen zu erscheinen. Wenn ich mich gleich bei Kazumi beeilte, würde ich das locker schaffen.

Gerade war ich im Teil des Palastes angekommen, hinter welchem die Energiequelle lag. Ich spürte ein Pochen in meinem ganzen Körper, eine plötzliche Aufregung. Jeder Natesim fühlte sich in der Nähe dieses Energiebündes unfassbar stark. Es war ein einzigartiges Gefühl, denn nie war man der Quelle des Nachtreichs näher.

Auch wenn ich eben noch gezweifelt hatte, Kazumi wirklich in ihrer Arbeit zu stören, fühlte ich mich nun unfassbar stark. Mehr noch. Unbesiegbar.

Als ich im Gang des Büros ankam, nahm ich aus der Ferne zwei Gestalten wahr.

Zwei Reforten standen vor der Tür und wirkten sichtlich gelangweilt. Einer der beiden hatte seinen Helm abgezogen und zog einzelne Strähnen aus seinen Haaren. Der andere lehnte mit seinem Rücken an der Tür und zählte seine Finger. Keiner bemerkte mich, weshalb ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen konnte. Sicher spielte die Energiequelle da auch eine Rolle.

„Wäre ich ein Einbrecher, würdest du gleich sicher nicht mehr alle Finger haben, so einfach, wie man sich an euch heranschleichen kann", sagte ich und verschränkte spielerisch die Hände vor der Brust. Klar gehörte es sich nicht, die Reforten zu beleidigen, aber es war auch nicht gut, dass sie ihre Aufgaben vernachlässigten.

Außerdem hatte ich Recht. Wäre ich ein Einbrecher, hätte ich fast unbemerkt in die Gemächer der Königin eindringen können.

Auf meine Bemerkung schnaubte der Refort nur. „Dann können wir ja beruhigt sein, dass du kein Einbrecher bist."
„Woher wollt ihr das denn wissen? Vielleicht habe ich hier ja ein Messer." Ich deute auf meine schwarze Cordhose, die überseht war mit Taschen und Reisverschlüssen.

Der Refort ohne Helm zog die Nase hoch „Ich denke nicht, dass die hilfsbereite Luna Karoot unserer Königin oder ihrer Partnerin schaden will."

„Korrekt. Und da ihr meinen Namen ja offensichtlich schon kennt, könnt ihr mich bitte durchlassen. Ich muss Sophia sprechen?" Ich trat einen Schritt nach vorne.

Refort Mr. Fingerzählen zog eine Liste aus seiner Rüstung hervor und notierte meinen Namen. Dann sah er auf die Uhr, die neben ihm an der Wand hing und schrieb die Uhrzeit daneben. Auch wenn ich die Zweckmäßigkeit dieser Liste anzweifelte, setzte ich daneben meine Unterschrift und betrat das Zimmer.

Kazumi saß an dem großen Schreibtisch und schrieb eifrig in ein dickes Buch. Dann seufzte sie und tippte etwas in den Computer neben sich. Es war immer wieder merkwürdig, dieses Produkt der Menschen bei uns im Nachtreich zu sehen. Viele sträubten sich gegen die Technologie, doch da Ade auch Kontakte mit der Erde haben musste, war ein PC zur Kommunikation praktisch.

Damit Kazumi mich bemerkte, räusperte ich mich. Das ließ sie aufschrecken. „Oh! Hallo Luna. Was führt dich zu mir?"

„Ade hat mir von dem bevorstehenden Empfang erzählt. Ich habe ein paar Fragen."

„Schieß los", forderte sie mich auf. Dabei wanderten ihre Augen vom Computerbildschirm zu mir. Als Kazumi mich direkt ansah, sah ich die tiefen Augenringe auf ihrer hellen Haut. Die schwarzen Haare fielen ihr fad über die Schultern.

Plötzlich fühlte ich mich klein und unbedeutend. Trotz der Energiequelle verloren meine Fragen an Bedeutung und mir war es schon fast peinlich, als ich sie stellte.

„Falls wir in den nächsten Tagen noch sinnvolle Ergebnisse erzielen können, soll ich diese ja präsentieren. Soll ich dafür eine Präsentation anfertigen, ein Plakat, oder einfach frei erzählen?" Das klang mir gerade viel zu sehr nach Schule, doch ich hatte wirklich keine Ahnung, was die beiden von mir erwarteten.

„Das überlasse ich ganz dir, aber mach dir bloß keine Umstände. Ich glaube Sverre interessiert es nur, ob wir Ergebnisse haben, und nicht, wie diese zustande gekommen sind." Schon waren Kazumis Augen wieder auf ihr Buch gerichtet. Das Gespräch mit mir schien nicht spannend genug zu sein, und das konnte ich ihr nicht verübeln.

„Ok. Und was ist, wenn wir nichts Sinnvolles bis dahin haben?" Das war meine größte Sorge. Es ging nicht nur darum, dass wir Sverre enttäuschen würden. Wenn wir nicht bald eine Lösung finden würden, die Erde zu retten, würde sie unter unseren Füßen einfach zusammenbrechen.

Kazumi schenkte mir ein kleines Lächeln. „Ich würde gerne sagen, dass das nicht so schlimm ist, aber leider stimmt das nicht." Dann erlosch das Lächeln wieder. Auch wenn es so absurd und abwegig klang, sodass man es noch immer nicht realisieren konnte, mussten wir der Wahrheit ins Auge blicken. Kein Erfolg bei den Auserwählten würde zu Misserfolg bei der Erdrettung führen. Und deshalb waren selbst kleinste Witze darüber nicht drinnen.

„Ok", sagte ich nickend. Da war noch etwas anderes, was ich im Nachhinein lieber Ade hätte fragen sollen. Bei ihr war die Atmosphäre irgendwie spielerischer gewesen.

„Was soll ich an dem Tag anziehen?" Natürlich war das gerade meine kleinste Sorge, aber wenn ich schon mal da war, konnte ich es auch gleich in Erfahrung bringen. Außerdem war jede noch so kleine Sorge eben trotzdem eine Sorge. Immerhin würde ich an diesem Tag mit den wichtigsten Personen des Nacht- und Tagreichs zusammen essen, dann wollte ich auch passend bekleidet sein.

„Zieh an was du möchtest. Ich denke nur, dass das kein Anlass für Ballkleider ist. Das werde ich auch Ade so ausrichten. Auch wenn sie gerne jeden Tag in Abendgarderobe herumlaufen würde, muss ich sie zu diesem Anlass wohl stoppen." Als Kazumi Ades Namen erwähnte, leuchteten ihre Augen. Es war süß zu sehen, dass sie nach all den Jahren an ihrer Seite noch immer so verliebt war.

In diesem Moment konnte ich leider meinen Mund nicht halten. Ich hatte schon immer erst gesprochen und dann gedacht, doch in diesem Moment hätte ich mich dafür echt ohrfeigen können. „Wann beginnt Ade denn wieder zu regieren? Ihre Pause geht doch schon recht lange." Ich wusste nicht, was ich mir dabei gedacht hatte, aber Kazumi nahm mir die Frage offensichtlich nicht böse.

„Ich habe gestern Abend mit ihr gesprochen. Ab nächster Woche teilen wir uns die Arbeit, und wir wollen auch verwirklichen, dass wenn das Nachtreich eine Zukunft hat, bald das führende Paar gemeinsam regieren darf."

Bei dieser Verkündigung blieb mir erstmal der Mund offen stehen. Seit der Entstehung des Nachtreichs hatte es immer nur einen Herrscher gegeben. Genauer gesagt einen König. Ade war die erste Frau gewesen, die auf diesen Posten gewählt worden war. Dass Kazumi und Ade dies nun grundsätzlich ändern wollten, war erschreckend, aber auch super für die Psyche der beiden und sicher auch für das Land.

„Das klingt wundervoll", sagte ich ehrlich beeindruckt.

Jetzt lächelte Kazumi breit und zeigte mir sogar ihre Zähne. „Du findest die Idee gut?"

„Natürlich. Sie ist spitze. Wann wird sie umgesetzt?"
„Das kann noch ein bisschen dauern. Wir müssen erst einmal klären, wie es mit den Kritikpunkten aussieht."
„Die wären?"
„Was ist, wenn sich ein Paar deshalb trennt? Wer bekommt dann die Rechte? Bestimmen nun beide, wer die nächste Regierung übernimmt? Und was ist, wenn jemand erst keinen Partner findet oder allein bleiben möchte?"

Ich überlegte kurz, doch auf die Schnelle konnte ich keine Lösung finden. Außerdem spuckten noch ganz andere Gedanken in meinem Kopf herum.

„Ihr werdet das schon noch klären. Ich finde die Idee auf jeden Fall große Klasse." Ich sah mich in dem Büro um. Überall lagen Stapelweise Papier und viele Bücher waren aus dem überquellenden Bücherregal gezogen. Mein Blick blieb an der großen Uhr hängen. Das Mittagessen hatte bereits begonnen.

Gerade wollte ich fluchen, da konnte ich mich doch noch zusammenreißen. Stattdessen verabschiedete ich mich von Kazumi.

„Ich muss jetzt leider Essen gehen, sonst bringt mich die Köchin um, denn ich war heute bereits einmal zu spät dort, aber danke für die Antworten."
„Gerne Luna. Immer." Ein letztes Mal lächelte mir Kazumi breit zu, dann machte ich mich auf den Weg zur Küche. Mein Magen knurrte schon, als würde er sich über mich beschweren. 

SOON - Das Schicksal von Sonne und Mond (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt