Familienfreuden

421 40 5
                                    

Schweigend beobachte ich die regungslose Pfütze an Suppe in meiner Schale. Hunger habe ich kaum, nachdem ich so unterernährt gewesen bin, wird es wohl eine Weile dauern meinen Körper wieder an Nahrung zu gewöhnen. Die zwei Brotscheiben zuvor haben mich bereits mehr als genug gesättigt.

Es brennen mir zwar viele Fragen auf der Zunge, doch der finstere Blick meines Bruders bringt mich zum Verstummen. Es ist offensichtlich, dass er mich nicht hier haben möchte – warum auch immer. Auf jeden Fall versetzt mir dieser Gedanke einen Stich. Meine Tante hingegen spricht ausgelassen über ihre Kundschaft in der Bäckerei; wessen Kind zur Militärpolizei gekommen ist, wer demnächst heiraten wird und wer in Kürze Familienzuwachs erwartet. Als sie mit meinem Bruder heimkam, hat sie mich kurz, aber herzlich, begrüßt und das war es. Seit dem behandelt sie mich, als wäre es vollkommen natürlich, dass ich hier nun mit ihnen am Tisch sitze, esse und hier auch schlafen werde. Das macht Tante Erika auf Anhieb für mich sympathisch. Sie ist weder übertrieben fürsorglich, noch abweisend – genau richtig.

„Damian, morgen früh wirst du deine Schwester zu Doktor Sander begleiten“, durchbricht meine Mutter schließlich die Gesprächswelle ihrer Schwägerin ohne ihn direkt anzusehen.

„Wieso denn bitte ich?“, protestiert der Angesprochene direkt laut, schaut mich dann aber schnell ein wenig beschämt an.

„Erika muss in der Bäckerei sein und ich bezweifle, dass ich dir die Verhandlungen mit dem Weizenhändler anvertrauen kann. So weit bist du noch nicht.“ Sie atmet geräuschvoll durch und fügt dann hinzu: „Ohne Erinnerungen kannst du sie auch nicht herumlaufen lassen. Du wirst sie mit dem Karren hinbringen.“

„Ich bin kein hilfloses Kind, was eine Gefahr für sich selbst und andere darstellt...“ Diese Diskussion ist meine schuld und ich fühle mich nicht besonders wohl, dass mir scheinbar so wenig zugetraut wird. „Mit einer Wegbeschreibung finde ich den Arzt bestimmt auch alleine. Kein Grund für solche Umstände.“

„Du humpelst beim Laufen – deine Beine sind noch schwach. Wenn du hinfällst...“
„Dann stehe ich wieder auf. Das habe ich schließlich schon einmal geschafft.“ Gefasst lege ich neben den Teller und blicke meiner Mutter geradewegs in die Augen. „Ich werde mich schon zurechtfinden, wenn ihr mir sagt, wohin ich gehen muss. Ich bin Soldatin, schon vergessen?“

Als Damian schnaubt, blicke ich ihn irritiert an. Nicht weniger genervt lenkt er ein: „Ich bringe dich ja schon hin. Wir wollen doch nicht, dass unserem lieben Töchterchen etwas passiert.“

Nicht gerade eine motivierte Ansage, dennoch bedanke ich mich schwach lächelnd bei ihm, ich bin zu müde für weitere Diskussionen. Der Ton meiner Mutter schien bei ihrer Forderung keine Widerrede zu dulden und mein Bruder scheint zu dem selben Schluss gekommen zu sein. Es ist einfach so viel. Die vielen Worte meiner Tante in ihrer schrillen Tonlage, die Todesblicke meines Bruders und die Besorgnis meiner Mutter sind auf Dauer ziemlich anstrengend. Ich kann ihnen nicht mehr folgen, so erkläre ich: „Ich möchte gerne schlafen gehen. Es war ein langer Tag...“

Verständnisvoll nickt meine Mutter, schaut mich dann aber plötzlich entschuldigend an und erläutert: „Hier im Haus haben wir leider nicht mehr so viel Platz wie damals auf dem Hof. Du wirst mit deiner alt gewordenen Mutter in einem Bett schlafen müssen.“

Meine Bewegungen stoppen abrupt und ich hake erschrocken nach: „Wieso hast du nicht gesagt, dass ihr hier keinen Platz für mich habt? Ich möchte nicht, dass meine Anwesenheit euch Umstände bereitet.“

Meine Mutter kommt auf mich zu und streicht mir sanft über die Haare. „Du verwechselst da etwas. Egal wie klein das Haus ist, bei uns wird es immer einen Platz für dich geben. Wir sind eine Familie. Viel wichtiger wäre, ob es denn auch für dich in Ordnung ist?“

„Ja. Es tut gut, nicht alleine zu sein.“ Leise wünsche ich meinem Bruder und meiner Tante eine gute Nacht und folge meiner Mutter, die mir direkt beim Umziehen hilft, da die Bewegungsfreiheit meiner Arme noch ein wenig eingeschränkt ist. Als sie die äußeren Verletzungen und Blutergüsse an meinem Körper sieht, versucht sie ihren Schrecken vor mir zu verstecken. Es muss schwer für sie sein mich in so einem Zustand zu sehen. Mir wird klar, was für eine starke Frau sie eigentlich sein muss. Nach meinem Verschwinden und dem Tod ihres Mannes hat sie sich dennoch um ihren Sohn und die Bäckerei ihrer Schwägerin gekümmert. Nach allem bemüht sie sich immer noch stark zu wirken, wo es in ihrem Inneren vielleicht auch anders aussieht.

„Ich danke allen, denen man in so einem Moment nur danken kann, dass ich dich wieder bei mir habe. Mehr kann man sich als Mutter nach so einer Zeit kaum wünschen. Schlaf schön.“ Die Berührung ihrer Hand hinterließ eine sanfte Wärme auf meiner Stirn. Ohne Zweifel bin ich doch zu Hause angekommen. Vielleicht kann es auch kostbare Momente in schwierigen Zeiten geben, für die sich das Kämpfen lohnt. Vielleicht habe ich ja dafür überlebt.

Attack on Titan - FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt