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„Vater, ich gehe zum Militär.“ Meine Stimme klingt fest – das ist gut. Wenn ich vor ihm Zweifel oder Angst zeigen würde, dann wird er mich wohl kaum gehen lassen. Ich kenne diesen Mann.

„Nein, das wirst du nicht“, meint er harsch, als wäre seine Antwort bereits eine Tatsache an sich. „Du wirst hier gebraucht, die Familie und der Hof sind wichtiger als dein Leben beim Militär für Nichts wegzuwerfen.“

Gerade weil die Familie wichtig ist, habe ich diese Entscheidung getroffen, du sturer Mann. „Ich werde gehen und du kannst mich nicht aufhalten!“

Patsch! Eine schnelle Bewegung vor meinen Augen, meine Wange wird heiß und prickelt vor Schmerz. Er hat mich geschlagen. Mein Vater hat... Nein, ich werde jetzt vor ihm keine Schwäche zeigen. Durchatmen, es ist gleich vorbei. Stolz erhebe ich meine Brust und sage: „Das gibt mir noch mehr Anreiz zu gehen, danke Vater. Du hast mir den Abschied wirklich erleichtert.“

Das von Narben gezeichnete Gesicht des Mannes sieht weiterhin wütend und vor allem enttäuscht auf mich hinab. Es sieht so furchterregend aus, noch nie hatte ich vor diesem Mann so viel Angst. Was muss ich für eine enttäuschende Tochter sein. Sanft legt sich die Hand meiner Mutter auf meinen Arm und sie flüstert nur: „Pass auf dich auf.“

Ein Schnauben und der Mann, der sich stets gegen den Kampf gesprochen hat, wendet sich resigniert ab. Die Holzdiele knarzt und am Türpfosten sehe ich meinen kleinen Bruder stehen, der dem Schauspiel bisher schockiert folgte. Traurig und ungewohnt leise fragt der Junge: „Du gehst weg?“

Liebevoll streiche ich über sein weiches, blondes Haar. Der Junge umarmt mich so fest als wollte er mich niemals wieder loslassen. Ihn zu verlassen wird wohl am schwersten für mich sein. „Ich muss gehen, damit ich euch da draußen beschützen kann.“

„Warum bleibst du dann nicht hier? Hier kannst du uns viel besser beschützen.“ Mit seinen braunen Augen blickt er mich fragend an. Er macht es mir wirklich nicht einfach...

„Aber um euch beschützen zu können muss ich noch viel lernen, deswegen werde ich fortgehen. Ich verspreche dir, dass ich zurückkommen werde.“ Augenblicklich sieht mein Bruder ein wenig glücklicher an. Mit einem Handschlag besiegeln wir das Versprechen.

Es ist Zeit zu gehen und einen letzten Blick werfe ich nach meinem Vater. Immer noch kann ich die Wut in ihm spüren und die Verachtung meiner Entscheidung gegenüber... Dieser Mann kocht wegen meines scheinbar mangelnden Respekts für die Familie – oder eher für seine eigenen Wünsche. Er zieht mich am Arm nach draußen, fest und gewaltsam. So fest, als wäre es ihm auch egal, wenn er dabei meinen ganzen Arm abreißt. Mein Herz wummert in meiner Brust und ich spüre das Salzwasser in meine Augen steigen – ich habe Angst vor diesem Mann. Ist dieser Mann noch mein Vater?

Die Tür fällt zu, mein kleiner Bruder wird hoffentlich nichts sehen. Egal was dieser Mann vorhat, er darf ihn nicht mit reinziehen. Mit einer fremden Stimme brüllt er: „Du hast keinen Respekt für die Familie!“

Ich bringe nicht den Mut zum Antworten auf. Jede Erwiderung wäre für ihn falsch in diesem Moment. Meine Haare werden gewaltsam hochgerissen und ich unterdrücke einen Aufschrei – das darf nicht wahr sein. Es muss ein Albtraum sein, wann erwache ich endlich? Wann streicht meine Mutter mir sanft über die Wange und sagt, dass meine Fantasie mir diese furchtbaren Bilder beschert hat? Kein Blinzeln hilft und die Schmerzen sind zu viel zu real für einen Traum.

„Du gehörst nicht mehr zu dieser Familie...“ Er hat Dampf abgelassen und der Druck von meinem Kopf löst sich endlich. Der Mann, der mal mein Vater gewesen ist, geht ins Haus und ich bleibe draußen zurück. Kraftlos sinken meine Beine sofort wieder in sich zusammen als ich versuche mich aufzurichten. Ich werde nicht zurückkehren können. Niemals in meinem Leben, da mein Vater mich so sehr hasst.

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