Entscheidungen

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In den Sachen, die Beatrice mir zum Einkleiden gegeben hat, fühle ich mich definitiv wohler als mit der Uniform, die vor Blut und Dreck fast stehen kann. Außerdem fühle ich mich mit sauberer Kleidung wie ein anderer Mensch. Nicht wie jemand, der nur haarscharf noch am Leben hing, der das verdammte Glück seiner Kameraden fast vollständig aufgebraucht zu haben schien. Aber in dieser Welt darf man keine Schwäche zeigen, denn die Stärkeren würden diese ohne mit der Wimper zu zucken ausnutzen. Augenblicklich erscheinen schemenhaft Titanen vor meinem inneren Auge und ich erschaudere.

„Einen schönen Tag, du Glückskind.“ Ich sitze auf einer Bank neben der Krankenverpflegung und blicke in die beruhigenden, braunen Augen des jungen Mannes, der mir über die Mauer geholfen hat. Er ist schon einmal da gewesen und wir haben uns bisher nicht namentlich vorgestellt, dabei möchte ich es eigentlich auch belassen. Unsere Beziehung zehrt davon, dass wir unsere Namen nicht kennen und so funktioniert es auch gut. Seinen Namen zu kennen würde bedeuten, dass ich bei diesem Soldaten ebenfalls darauf achten würde, welche Namen von den Titanen ausradiert werden. Eine weitere Person, die plötzlich einfach nicht mehr da wäre. Er ist größer als ich, was bei meiner eigenen Körpergröße nicht weiter verwunderlich ist, da Leutnant Perfekt, wie ich meinen anderen, über die Maßen freundlichen, Gast unbewusst zu nennen beginne, ebenso groß ist wie ich. „Die Krankenkleidung steht dir wunderbar.“

„Nicht wahr?“, gebe ich lächelnd zurück. „Sie betont die knapp-dem-Tod-entronnen-Aura.“

„Wobei ich finde, dass die Uniform dir immer noch am besten steht.“ Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen als ich mir vorstelle wieder da draußen zu sein und all die Menschen, die bisher ihr Leben verloren haben, als Geister im Nacken zu spüren. „Demnächst muss ich mich für meinen weiteren Weg entscheiden.“

„Mir geht es ebenso, nur hat meine nächste Reise erst einmal mit meinen verloren gegangenen Erinnerungen zu tun. Für welchen Weg wirst du dich entscheiden?“

Er streicht sich mit seiner rechten Hand durch die hellbraunen Haare, die so noch zerzauster in sämtliche Richtungen abstehen. Seine Reaktion wirkt unsicher, als müsse er zunächst abwägen wie viel er mir anvertrauen kann oder will. Dann blickt er mir in die Augen und meint mit nachdenklicher Miene: „Ich wollte immer zur Militärpolizei. Ein sicheres Leben in der Stadt und sich nicht vor dem nächsten Angriff der Titanen fürchten zu müssen.“

Seine Wortwahl zwingt mich nachzuhaken. „Du wolltest? Wie sieht es jetzt aus?“

„Die Frage ist, wie lange die Mauern der Städte den Angriffen noch standhalten können. Ein sicheres Leben ist heute nicht wirklich realistisch fürchte ich. Sie haben an Stärke gewonnen. Die Mauern die uns heute noch schützen, können morgen bereits niedergerissen werden und dann werden wir sowieso zum Kämpfen gezwungen sein.“ Irgendetwas anderes scheint noch der Grund zu sein. Etwas, worüber er nicht mit mir sprechen möchte. Ich lege meine Hand auf seine und lächle ihn aufmunternd an. „Falls ich zum Aufklärungstrupp gehe, möchte ich dich Glückskind dort wiedersehen.“

„Ich weiß nur nicht, ob ich überlebt habe nur um danach wieder in den Kampf zu ziehen“, murmle ich verunsichert. Mein Blick wandert zu seinen Augen als würde ich in ihnen eine Antwort finden, aber genau das tue ich nicht. „Bald reise ich wohl erst einmal zu meiner Familie um sie neu kennen zu lernen.“

Plötzlich stupst er mich leicht mit seiner Schulter an und schenkt mir ein breites Grinsen. „Egal für welchen Weg du dich entscheiden wirst, du hast hier zum Beispiel jemanden, der dich dabei anfeuert.“

„Zeit für die Medizin!“ Beatrice kommt mit einem Tablett bewaffnet aus dem Gebäude gelaufen und ich verziehe schon alleine beim Gedanken an die nicht gerade schmackhafte Medizin angeekelt das Gesicht. Mein Blick entgeht ihr bei weitem nicht. „Danach wird es Ihnen besser gehen. Das können Sie mir glauben.“

Amüsiert registriert mein Gesprächspartner meinen Gesichtsausdruck und steht auf. „Ich werde dann jetzt auch gehen, länger kann ich mich nicht vor der Arbeit drücken. Ich hoffe, wir sehen uns unter guten Umständen wieder, Glückskind.“

Zwiegespalten schaue ich ihn an, als wollte ich jedes Haar, jeden Gesichtsausdruck in mir aufnehmen, als wäre es die letzte Möglichkeit für mich ihn überhaupt noch lebend anzusehen. Es ist richtig ihn gehen zu lassen, ich sollte ihn nicht zu sehr in meine Probleme reinziehen. Es gibt alleine für mich genug zu tun. Auch ich stehe auf, drücke sanft seine Hand und spreche leise meine Abschiedsworte zu ihm: „Ich wünsche dir alles Gute. Das hoffe ich auch.“

Und dann ist er weg – nur Beatrice, ich und die bittere Medizin sind da.

Attack on Titan - FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt