Ein nicht ganz guter Morgen

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Irgendwann öffne ich meine Augen, doch wach und ausgeruht fühle ich mich absolut nicht. Es fühlt sich so an, als wäre mein Körper die Nacht über weiter aktiv gewesen, um meinen Verletzungen beim Heilen zu helfen. Es ist die erste Nacht ohne Traum gewesen – ohne eine weitere Erinnerung. Was ist, wenn diese Leere in meinem Kopf bis zum bitteren Ende anhält? Oder wenn mich lediglich Bruchstücke ohne jeglichen Zusammenhang verfolgen? Ich schüttle seufzend den Kopf um die Gedanken abzuschütteln – ich habe keine Zeit für so etwas.

Ein wenig wacher stelle ich fest, dass das Bett neben mir leer ist – meine Mutter muss bereits aufgestanden sein. Wahrscheinlich arbeitet sie mit meiner Tante bereits in der Bäckerei. Wie lange habe ich wohl geschlafen? Mit meinem Gedächtnis habe ich mein Zeitgefühl verloren, sofern ich es vorher besessen habe. Dennoch sagt mir eine Stimme, dass ich genug geschlafen habe, selbst wenn mein Körper dem widerspricht.

Knarzend schiebt sich die Holztür auf und ein blonder Haarschopf betritt den Raum. Es ist Damian, mein Bruder. Ich weiß noch nicht, wie ich auf ihn reagieren soll. Er ist immer noch mein kleiner Bruder und doch ist er wie ein Fremder. Außerdem scheint er mich aus irgendeinem Grund zu hassen und das macht das Ganze nicht einfacher. Ungeduldig und knapp meint er: „Du scheinst ja doch wach zu sein. Zieh dich an, sonst fahre ich ohne dich."

Auf die Schmerzen in meinem Körper bedacht stehe ich vorsichtig auf und bemerke ein dunkelblaues Kleid aus Leinen, was am Fußende des Bettes liegt. Ich nehme an, meine Mutter hat es vor ihrem Fortgehen für mich dort liegen gelassen. Es ist nicht neu, dafür allerdings gewaschen und wahrscheinlich eine bessere Wahl als meine Uniform in ihrem Zustand. So dringend suche ich die Aufmerksamkeit anderer nicht. Mein Blick huscht zu meinem Bruder an der Tür und ich erkläre: „Dann warte vor der Zimmertür auf mich. Es sei denn, du möchtest deiner gebrechlichen Schwester beim Ankleiden helfen, doch das sollte ich trotz allem noch alleine hinbekommen können."

Die Schnelligkeit, mit der sich die Zimmertür hinter meinem Bruder schließt, bringt mich zum Schmunzeln. Mit meinen Worten habe ich ihn wohl verlegen gemacht – immerhin etwas. Die Muskeln in meinen Armen und Beinen spannen schmerzhaft, dennoch kann ich irgendwie das Kleid ohne jegliche Hilfe anziehen und das macht mich schon ein wenig stolz, auch wenn ich mich zwischendurch auf das Bett setzen muss. Ein frisches Kleidungsstück an meinem Körper fühlt sich nach dieser Zeit wirklich gut auf meiner Haut an.

Als ich das Zimmer verlasse, steht mein Bruder immer noch direkt hinter der Tür und mustert mich direkt mit hochgezogener Augenbraue. Fast anerkennend bemerkt er: „Jetzt siehst du fast wieder wie eine richtige Frau aus."

„Schönen Dank auch", entgegne ich trocken. „Ist es weit zu Doktor Sander?"

Er antwortet mir nicht – natürlich. Ich folge ihm nach draußen auf die Straße, wo bereits ein schlichter, mit Broten beladener Handkarren auf uns wartet. Eine Sekunde lang bin ich skeptisch, ob mein kleiner Bruder stark genug ist um die Last des Karrens und meiner Wenigkeit zu tragen. Doch er ist kein kleiner Junge mehr, er ist ein junger Mann und hat den Karren wahrscheinlich auch schon voll beladen mit Weizen oder Broten gezogen. Er würdigt mich keines weiteren Blickes.

„Du hasst mich", schlüpft es mir heraus. Ich wollte es nicht sagen, doch mein Mund war schneller als mein Verstand. Am liebsten würde ich noch fragen, wieso dies so ist, doch er würde mir wohl kaum eine zufrieden stellende Antwort geben.

„Wenn du das sagst." Was ist erschütternder; die Aussage an sich oder die Kälte in seiner Stimme? „Pass beim Aufsetzen auf das Brot auf, du bist zwar nur noch ein Knochengestell, aber auch Knochen können Abdrücke hinterlassen. Nimm dir ein kleines Brot, mit nüchternem Magen musst du dort auch nicht aufkreuzen."

Ohne weitere Worte zu verschwenden setze ich mich auf den Karren und Damian beginnt diesen mit einer überraschenden Leichtigkeit zu ziehen. Die hochgekrempelten Ärmel seines braunen Hemdes geben seine durch Arbeit antrainierten Muskeln preis. Er ist nun ganz eindeutig kein kleiner Junge mehr und wie sehr er in den letzten Jahren gewachsen ist, erschreckt mich ein wenig. Ist das noch der Junge aus meiner Erinnerung, der meine Hilfe brauchte? Den ich beschützen musste und um jeden Preis auch schützen wollte? Dieser Junge kann nicht vollkommen verschwunden sein, dessen bin ich mir sicher.

Wortlos zieht er mich mit dem Karren durch die Straßen, während einige neugierige Blicke erneut besonders auf mir zu ruhen scheinen. Verunsichert blicke ich auf das Brot in meiner Hand, reiße ein kleines Stück davon ab und schiebe es in meinen Mund. Es fühlt sich weich und fluffig auf meiner Zunge an und die Rinde ist nicht zu hart zum Kauen. Neugierig frage ich:„Wer hat das Brot hier gebacken? Das schmeckt echt gut."

„Das war ich, danke." Seine Stimme klingt ein wenig überrascht, doch viel mehr Gefühle hat meine Frage ihm wohl nicht entlocken können. „Während du beim Arzt bist, liefere ich es bei einem Kunden ab. Also warte dort auf mich, bis ich dich abhole."

„Danke, du hättest mich nicht bringen müssen."

„Du bist nicht die Einzige, die sich verändert hat und ich habe das nicht für dich getan." Das Brot ruht in meiner Hand, diese Worte verderben mir ein wenig den Appetit.Warum ist es mit diesem Jungen auf einmal so schwer geworden? Aber vermutlich habe ich momentan andere Probleme als einen keinen Bruder,der langsam aber sicher erwachsen wird.

„Das weiß ich", erwidere ich und damit herrscht wieder Stille zwischen uns.

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