Kapitel 10 | Taen
- Blut und Wasser -
Der erste Mann war schon tot, bevor sein lebloser Körper auf dem Boden aufschlug. In seiner Brust klaffte ein großes Loch, ungefähr an der Stelle, an der das menschliche Herz schlug. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, ein Geräusch von sich zu geben und so seinen Partner zu warnen. Es war traurig, ihn so schnell und schmerzlos zu töten, aber notwendig, um ihn aufzuhalten. Der zweite Mann kam mir nicht so leicht davon. Ich näherte mich ihm von hinten, das noch warme Klopfen in meiner Hand. Er schien nicht gemerkt zu haben, dass er nun alleine war. Alleine mit dem Teufel.
Ich kannte mein Handwerk gut und so verlebte er die letzten Minuten seines Lebens in stillen Qualen. Man würde ihn später finden. Ein Stück hier, ein Stück weiter in der Gasse und ganz viele Stückchen auf dem Weg dazwischen. Sollte ich zurück nach Hause kommen, würde ich mich ihrer Seelen persönlich annehmen.
Die unbekannte Frau war schon tot, als ich ankam. Sie hatte sich mit einem Messer die Arme aufgeschnitten, um der Schande zu entgehen. Auch sie sah ich in der Hölle wieder, gab es im Himmel schließlich keinen Platz für Selbstmörder.
Es waren jedoch nicht die Schmerzensschreie dieser Menschenfrau oder die Präsenz der Gewalt, die mich aus meiner Meditation gerissen hatte. Es war der Geruch. Der unbeschreibliche Geruch nach Heimat. Nach Tod. Nach Hölle. Der Geruch vom Meer der Dunkelheit!
Es gab nichts auf dieser Welt, das nach dem Abyss roch, außer es kam direkt von dort. Ich selber stank dank meines menschlichen Körpers nicht danach. Sein vertrauter Geruch hatte mich zu den beiden Männern geführt, die auf Yumi einschlugen.
Etwas in mir erwachte, als ihr süßes Blut den Boden schmückte. Ein Pochen erfasste meinen Kopf, Zorn brodelte und stieg in mir hoch, sodass ich jede Kontrolle verlor.Kurze Zeit später wandte ich mich von den Leichen ab und beugte mich über Yumi. Ihr Gesicht blutete und der rechte Arm hing merkwürdig verdreht an ihrem Körper. Sie lag in einer Pfütze aus Wasser und Blut, bewegte sich nicht, atmete nicht. Neben ihr lag ein seltsames Amulett.
Was konnte ich tun? Menschen mussten atmen, ihr Herz schlagen, und es sollte nicht zu viel Lebenssaft entweichen. So was Idiotisches kann sich ja nur einer ausgedacht haben, dachte ich mir. Also tat ich das, was mir am Sinnvollsten erschien. Ich drehte sie auf den Rücken und horchte an ihrer Brust. Schwach und kaum wahrnehmbar schlug es tapfer in ihrem geschundenen Körper. Nun die Atmung. Ich beugte mich über ihr Gesicht und sah, dass immer wieder Wasser aus ihrem Mund lief. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihr. Der Geruch des Eiswassers, es roch eindeutig nach dem Abyss. Ich schloss meine Augen und legte meine Hände auf ihre Brust. Sie war stark unterkühlt. Ich versank in magischen Formeln, die ich leise summend heraufbeschwor. Eigentlich sollte ich diese Zauber nicht einsetzten können, hatte man mich schließlich meiner Macht beraubt, aber die Präsenz, die von Yumi ausging, schien meine alten Kräfte freizulegen.
Ich sah sie. Im Meer der Dunkelheit sank sie immer tiefer und wurde bereits von Schwärmen frevelhafter Seelen umkreist. Ich zog ein Netz um sie und ihr Herzstück. Die anderen kreischten vor Enttäuschung. Ich zog ihre Seele zurück in die Menschenwelt, dort wo ihr Leib auf sie wartete.
Es schien gerade noch rechtzeitig gewesen zu sein. Nur ein paar Sekunden später hätten die Seelenfresser sie gefunden und ihr Körper wäre endgültig gestorben. Kaum miteinander vereint bog sich ihr Rücken und sie erbrach einen letzten großen Schwall Wasser. Ich lehnte sie gegen meinen Oberkörper und griff unter ihre Beine, um sie hochzunehmen. Das Amulett schob ich mir in die Tasche und brachte sie zurück zum See, wo ich Yumi hinter einem Gebüsch platzierte. Ein paar kleinere Sprüche ließen ihre Wunden vergehen und sie in einen erholsamen Schlaf gleiten.
Während sie schlief, kam es mir fast wie eine böse Ironie des Schicksals vor, die uns beide zusammengeführt hatte - als ob wir uns unfreiwillig abwechselten mit der Wache über den Schlaf des anderen. Schon seltsam, was in dieser Welt alles passierte.
Sie würde noch ein paar Stunden ruhen und gewiss nicht vor der Dämmerung erwachen, dafür hatte ich gesorgt. Deswegen nutzte ich die Zeit, sie näher zu betrachten, ohne mich für einen Blick rechtfertigen zu müssen. Ihre Haare bedeckten gänzlich ihren Rücken und waren von einem leichten Braun. Sie schien äußerst dünn und ein pinkfarbenes Halsband mit einer eingefassten Perle umschloss ihren Hals. Das Kleid war, abgesehen vom Blut, fast zur Gänze in reinem Weiß gehalten. Es wirkte schlicht und besaß eine seitliche Raffung am Rock.
Ich untersuchte auch ihr Amulett. Es war etwa so groß, dass es grade noch in meine Hand passte. Ich spürte, dass eine schwache Kraft davon ausging, offensichtlich nicht nur wertloser Plunder. Alles in allem trug sie eigentlich nicht mehr als das leichte Kleid und diesen Schmuckanhänger.
Keine passende Reisekleidung, befand ich.
Ich bewachte sie den Rest der Nacht. Die Erinnerung an das, was dieses Mal mit ihr geschehen war, als ich sie nur einen Moment aus den Augen gelassen hatte, wollte mich einfach nicht loslassen. Und so hoffte ich, das Morgengrauen ließ nicht zu lange auf sich warten. Abgesehen von der Sonne bedeutete der neue Tag auch, dass ich meinen Zylinder zurück erhalten würde. Hoffentlich.
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Auch Engel dürfen träumen
RomanceYumi erwacht im Himmel. Doch ein dunkles Meer versucht, sie zu verschlingen und in unergründliche Tiefen zu ziehen. Auf Geheiß von Erzengel Gabriel muss Yumi ihre Ausbildung abbrechen, auf die Erde zurückkehren und fortan unter den Menschen leben. V...