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Ich schüttelte leicht den Kopf und versuchte, Jamals Anwesenheit zu ignorieren, während ich mich wieder Serhat zuwandte. Er erzählte mir von seinem neuen Song, der in den nächsten Tagen rauskommen sollte. „Omg, ich bin so gespannt! Ich freu mich schon total!", sagte ich begeistert und schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. Er erwiderte es, neigte den Kopf leicht zur Seite und beobachtete mich, als wolle er meine Reaktion in sich aufnehmen. Doch plötzlich spürte ich einen festen Griff an meinem Arm. Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was geschah, riss mich jemand mit ungeheurer Kraft zurück. Ich schrie erschrocken auf, und mein Körper prallte hart gegen eine breite, warme Brust. Mein Herz raste. Direkt stieg mir ein herber, intensiver Duft in die Nase – markant, männlich, fast betäubend. Reflexartig schloss ich die Augen, mein ganzer Körper spannte sich an wie eine Feder kurz vorm Zerreißen. „Leyla, öffne deine Augen.", hörte ich seine tiefe Stimme an meinem Ohr. Ruhig, aber ernst. Ich öffnete langsam die Augen – und sah Jamal. Sein Gesicht war so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte. Mein Herz schlug unregelmäßig. Er stand viel zu nah. Mein ganzer Körper war Alarmstufe ROT. Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu winden, doch er war wie ein Fels. Verdammt, wieso ist er so stark?! Ich zappelte, schlug gegen seine Brust. „Lass! Mich! Los!", rief ich, doch selbst meine Stimme klang schwächer, als ich es beabsichtigt hatte. Ich hielt inne – mein Körper gab langsam nach. Mein Atem war flach, unruhig. Ich war schwach – wieder einmal. Seit meiner Kindheit war es so: Sobald ich mich überforderte oder unter Druck stand, verließen mich meine Kräfte. Jamal flüsterte leise, fast mitfühlend: „Ulan Leyla", dann packte er mich entschlossen und zog mich mit sich. Ich blickte noch schnell zurück, sah Selin und Serhat, die uns verwirrt ansahen. Ich winkte ihnen flüchtig zu – ein letzter stummer Versuch, ihnen zu sagen, dass ich das nicht wollte –, ehe ich unsanft in ein Auto gedrückt wurde. Mein Kopf knallte an den Türrahmen, und ich verzog vor Schmerz das Gesicht. „Omg, geht's noch?!", rief ich wütend und rieb mir die Stirn. Jamal stieg wortlos ein, startete den Motor und fuhr los, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sein Gesicht war angespannt, sein Blick stur geradeaus gerichtet. Ich spürte seine Wut, auch wenn er schwieg. „Was soll das?!", fuhr ich ihn an. Keine Reaktion. „Hallo?! Wohin fahren wir?!" Nichts. „Antworte doch!", presste ich gereizt hervor, doch er schwieg weiterhin. Ich knallte mit der flachen Hand gegen das Armaturenbrett. „Hast du deine Zunge verschluckt, oder was ist dein scheiß Problem?!" Und genau in dem Moment trat er mit noch mehr Kraft aufs Gas. Ich wurde gegen den Sitz gedrückt, mein Herz machte einen Sprung. Ich sah ihn an – seine Kiefer waren so fest zusammengepresst, dass ich glaubte, sie würden gleich brechen. Die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor. Was zur Hölle geht hier gerade ab?! Ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch meine Stimme klang laut, fast panisch: „Ich hab gesagt, fahr langsamer!" Doch er reagierte nicht – oder wollte es nicht. Dann seine Stimme. Ruhig. Eisig. „Leyla, noch ein Wort, und ich lass dich hier raus." Ich starrte ihn an, fassungslos. „WAS?! Ich hab dir nur Fragen gestellt – und deswegen willst du mich RAUSWERFEN?!" Plötzlich fuhr er abrupt an den Straßenrand und blieb stehen. Der Motor lief noch, aber seine Augen starrten stur nach vorn. Er sah mich nicht an. Nicht ein einziges Mal. „Steig aus", sagte er nur. Die Kälte in seiner Stimme ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. „A-aber..." Ich konnte den Satz nicht beenden. „Steig aus, hab ich gesagt", knurrte er diesmal, und ich zuckte zusammen. Mein Körper begann zu zittern, nicht nur vor Wut, sondern aus Angst. Draußen begann es zu regnen, erst leicht, dann immer stärker. Es blitzte, in der Ferne grollte Donner. Ich öffnete die Tür. Mein Herz pochte wild – ein Teil von mir glaubte fest daran, dass er mich gleich aufhalten würde. Dass er sagen würde: „Steig wieder ein." Aber nichts. Ich stieg langsam aus, zögerlich, fast trotzig. Kalte Regentropfen trafen meine Haut wie kleine Nadelstiche. Ich schloss die Tür leise. In dem Moment gab er Gas und fuhr einfach los. Ohne auch nur einmal zurückzuschauen. Mein Herz schmerzte. Er... er ließ mich einfach stehen. Im Regen. Allein. Obwohl er doch mein Schutz sein sollte. Der, der auf mich aufpassen soll. Er fuhr einfach davon. Die Tränen kamen ganz von allein. Sie brannten nicht – der Regen machte sie weich. Sie liefen lautlos über meine Wangen, mischten sich mit dem Regen, wurden eins mit der Kälte, die sich in mir ausbreitete. Ich sah mich um, doch ich erkannte nichts. Ich wusste nicht mal, wo ich war. Nur eins war klar: Ich war allein. Und ich verstand nicht...
Was soll das nur werden, Jamal?

LeylaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt