Als Jamal seine Augen öffnete, sah ich ihn verwirrt an. „Äh... alles okay?" fragte ich vorsichtig, während ich ihn genauer betrachtete. Seine Körperhaltung war angespannt, seine Schultern leicht angehoben, als würde er jede Sekunde explodieren. Und doch stand er einfach nur da. Regungslos. Wie eingefroren.
Mal wieder trug er seinen pechschwarzen Anzug – komplett durchgezogen, vom Hemd bis zu den Schuhen. Klar, hässlich sah er darin nicht aus, eher wie jemand, der zu viel Kontrolle über sich selbst haben will... und doch jeden Moment die Fassung verlieren könnte. Irgendetwas stimmte heute nicht mit ihm. Mehr als sonst.Ich hob den Blick – und bemerkte, dass meine Haare durch den Wind immer noch leicht gegen sein Gesicht peitschten. Peinlich. Scheiß Wind.
„Leyla", kam es plötzlich tief und knurrend aus ihm, seine Stimme vibrierte fast in der Luft.
„Was ist?" fragte ich, fast schon erschrocken, aber ich ließ es mir nicht anmerken.
„Nimm deinen Ball... und geh."
Oh. Einfach so. Ohne Blickkontakt drückte er mir den Ball mit leichtem Druck gegen die Brust. Ich nahm ihn emotionslos entgegen, spürte aber seinen Blick auf mir brennen, als ich mich umdrehte und wieder zu den Jungs lief.„Hier", sagte ich knapp und ließ den Ball zu ihnen rollen.
„DANKEEE LEYLAAAAA!" kam es im Chor zurück, ihre Stimmen so voller Leben, dass ich trotz allem lächeln musste. Ich warf einen letzten Blick zurück zu Jamal – und da war es wieder. Dieses unruhige Auf-und-Ab-Laufen, sein Blick auf den Boden, dann wieder in meine Richtung. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt, als würde er innerlich gegen irgendetwas ankämpfen. Nervosität? Wegen mir? Was zum... Ich ignorierte es. Ich wollte es nicht fühlen. Ich wollte es nicht wissen. Ich drehte mich um und ging zurück zu Selin und Serhat.Als ich bei den beiden ankam, schien sich gerade eine kleine Diskussion anzubahnen. Ich hob fragend eine Augenbraue.
„Was ist los?" fragte ich und ließ mich neben Serhat auf die Tischtennisplatte fallen. Weil sie so hoch war, baumelten meine Beine in der Luft, was mich kurz kindlich fühlen ließ.
„Ich sage doch, Malik ist einer von den Schlechten geworden!" zischte Selin, sichtlich sauer.
Ich erstarrte. Mein Herz sackte ein kleines Stück nach unten. „Was... sagst du da, Selin?" fragte ich ungläubig und hielt mir die Hand erschrocken vor den Mund.
„Ich schwöre, Leyla. Gestern Abend hab ich ihn mit diesen Dealern gesehen. Die haben ALLE dran gezogen. Ohne Scham, mitten im Viertel."Mir wurde schlecht. Wie konnte das sein?
Ich lehnte mich wortlos an Serhats Schulter. Ich fühlte mich leer. Malik war mal einer von uns gewesen. Einer von mir. Ich hatte Gefühle für ihn – stark. Tief. Und so lange. Und dann wurde er immer... distanzierter. Ohne Erklärung. Ohne Worte. Irgendwann war er einfach verschwunden. Und mit ihm meine Hoffnung. Aber die Leere, die blieb. Ich verdrängte ihn. Oder versuchte es. Doch jetzt... all das kam zurück.Serhat, der das spürte, hielt mir plötzlich ein blaues Wassereis entgegen.
„Hier."
Meine Augen funkelten sofort. „Ohhh Serhat, danke! Und dann noch in blau! Mein Herz." Ich lächelte wie ein Kind und nahm es an.
Er grinste schief, nickte nur. Dieser Blick, den er mir gab – ein bisschen Brüderlichkeit, ein bisschen Stolz, ein bisschen „Du schaffst das schon."„Ey Leute, wartet, meine Mutter ruft an", sagte Selin plötzlich und entfernte sich ein Stück mit ihrem Handy am Ohr.
Ich drehte mich leicht, setzte mich so, dass ich Serhat direkt ins Gesicht sehen konnte. Ich liebte es, mit ihm zu reden, weil er mich nie verurteilte.„Serhat... wann war das mit Malik?" fragte ich leise, meine Stimme fast zerbrechlich.
Er seufzte, aber lächelte. Ein warmes, ehrliches Lächeln. „Leyla... ich weiß, du hast viele Fragen. Ich kenn dich. Aber glaub mir... es bringt jetzt nichts. Wenn du darüber nachdenkst, wird's dir nur wehtun. Und du hast schon genug davon."Er hatte recht. Leider. Ich nickte stumm und sah auf mein Eis, ließ es leicht schmelzen.
„Ach man... komm her."
Er stand auf und breitete seine Arme aus. Ich ließ mich sofort von der Platte gleiten und sprang ihn fast an. Ich drückte mich fest an ihn. „Du bist der Beste, Serhat. Ich hoffe, du weißt das."
Er lachte leise, rau. „Ich weiß, Leyla. Du aber auch."
Ich lächelte gegen seine Brust, spürte, wie viel Echtheit in seinen Worten lag.Als ich mich löste, stand Selin mit zusammengekniffenen Augen da.
„Ich muss nach Hause. Mein Bruder macht Faxen", knurrte sie genervt. Wir umarmten sie schnell, und schon war sie verschwunden.Ich ließ mich wieder auf die Bank fallen. Serhat scrollte durch sein Handy, lehnte sich entspannt an die Platte. Ich nutzte die Gelegenheit, warf einen schnellen Blick rüber zu Jamal.
Er sprach mit einem unserer Securitys, ernst, fast angespannt. Ich atmete auf – ich weiß nicht wieso, aber irgendwie... war es beruhigend zu wissen, wo er war. Dass er da war. Es war fast, als wäre sein Schatten ein Teil meines Alltags geworden. Und sobald er nicht da war, fehlte etwas. Unverständlich. Unlogisch. Und trotzdem... echt.„Lass auch nach Hause, Leyla. Ich bin müde", sagte Serhat gähnend.
Ich sah auf mein Handy. 00:03 Uhr.
„Krass, wie die Zeit rennt." Ich stand auf, umarmte ihn fest.
„Pass auf dich auf, Leyla", flüsterte er in mein Ohr, und ich drückte ihn noch fester.
„Du auch."Er verschwand in der Dunkelheit der Nacht, und ich blieb. Stand allein unter dem gelb-orangen Licht der Straßenlaterne, mein Körper fühlte sich plötzlich schwer an. Ich setzte mich wieder auf die Bank, vergrub mein Gesicht in den Händen. Meine Ellenbogen ruhten auf den Knien. Mein Herz klopfte zu schnell, zu unruhig. Und dann kam es wieder – dieser Satz. Die Stimme. Eiskalt.
„Richte Jamal aus... dass du bald meins bist."
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Seit Jamal in meinem Leben ist, ist nichts mehr wie es war. Alles ist komplizierter. Undurchsichtiger. Als würde ich durch Nebel laufen.
Etwas stimmt nicht. Irgendwas ist faul. Und ich weiß... das hier ist erst der Anfang.

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Leyla
RomanceLeyla lebt ein ruhiges, zurückgezogenes Leben unter der strengen Aufsicht ihres Vaters, der viele Feinde hat. Als Jamal als ihr persönlicher Beschützer auftaucht, beginnt sie sich zum ersten Mal in ihrer Nähe sicher zu fühlen - obwohl sie nicht vers...