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Das Laub knirscht unter unseren Füßen während wir durch den schon dunkler werdenden Wald laufen. "Nur noch zwei Fragen, dann können wir wieder rein, mir is kalt!", jammert Tae rum. Es ist wirklich nicht grade warm und ich wüsste auch gerne, wie lange wir noch laufen müssen. Um die Frage Wie viele Statuen der ursprünglichen 10 sind in der Ruine der St.-Jakobs-Kirche noch erhalten? zu beantworten, müssen wir diese Ruine erstmal finden.

Ich dachte eigentlich, dass das einfach sein sollte, bei uns stehen an jeder Sehenswürdigkeit mindestens fünf Wegweiser, anscheinend gibt es hier aber nicht nur keinen Handyempfang sondern auch keine Touristen, für die man Wegweiser aufstellen müsste.

Wobei der Wald eigentlich ganz schön ist. "Stellt euch mal vor wie viele Geister hier wohl rumspuken", sinniert Hobi ohne bestimmten Zusammenhang. "Ich weiß dass du überzeugter Esoteker bist und an Geister und sowas glaubst, ich aber nicht. Schon mal was von Wissenschaft gehört?", entgegne ich ihm.

"Aber was denkst du, passiert dann nach dem Tod?", schaltet sich Tae in unsere Disskusion ein.

"Ich glaube wir sind dann tot" Ist meine nüchterne Antwort. Auch wenn ich für diesen Kommentar ein entrüstetes und gleichzeitig belustigtes "Pabo!" von meinem beiden besten Freunden ernte.

"Irgendwann glaubst du uns...", murmelt Hobi. Ich komme nicht dazu, einen weiteren unlustigen Witz zu bringen, da sich vor uns endlich eine Lichtung auftut. Die letzten verbliebenen Sonnenstrahlen brechen durch die Blätterdecke über uns und malen weiße Lichtpunkte auf das sandstein-farbene Gemäuer, das sich vor uns auftürmt. Große Teile des Gebäudes sind eingestürzt, nur der hohe Kirchturm wirkt unbeschädigt.

Das hölzerne Tor hängt noch schief in den Angeln und bewegt sich leicht im Wind. Ein paar der langen Kirchenbänke stehen noch unversehrt an ihrem Platz, andere sind von Moos überwachsen oder Teile wurden abgebrochen. Die gesamte Kirche wirkt klein, trotzdem majestätisch. Gleichzeitig schön und beängstigend.

"W-wollen wir diese Statuen suchen gehen?", bricht Tae unser eingetretenes Schweigen. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie wir aufgehört hatten zu reden.

Es fällt mir schwer die Augen von der Ruine zu nehmen, nach ein, zweimal Blinzeln gelingt es mir jedoch. "Ehm.... ja klar ", antworte ich ihm und laufe los.

Sobald wir den steinernen Torbogen passieren, fröstele ich. Ich kuschele mich ein bisschen weiter in meinen Schal und bereue es, nicht noch einen Pulli mitgenommen zu haben. Mein Blick huscht für einen Moment zu meinen besten Freunden und ich bemerke, wie auch sie ihre Hände in den Jackenärmeln verschwinden lassen und Hobi sogar seine Kaputze aufsetzt.

Im Kirchenschiff ist es still. Zu still. Kein Blätterrauschen, Ästeknacken oder Vogelgezwitscher wie mir nach einigen Sekunden auffällt. Komisch.

Taes Stimme reißt mich aus meinen Gedanken: "Seht ihr irgendwelche Statuen?" Ich verneine. Mein Blick wandert die schmucklosen Wände entlang. Eines Tages waren sie wohl einmal bemalt gewesen, das muss aber schon lange her sein.

Jetzt sind lediglich ein paar abgenutzte Farbflecken übriggeblieben. Der Sandstein ist an mehreren Stellen von dicken Schichten aus Spinnweben benetzt, nur Statuen befinden sich hier nicht. Irgendetwas stört mich, ich komm allerdings nicht drauf was es ist.

"Sicher dass das hier einmal eine Kirche war?", fragt Hobi. Er steht bei einer der Kirchenbänke und fährt mit seinen Fingern über das vermutlich ziemlich kühle Holz.

"Wieso?" frage ich ihn. Er dreht sich zu mir um und seine Antwort führt mir genau das vor Augen, was auch mir die ganze Zeit so komisch vorkam.

"Ich kann hier nirgendwo ein Kreuz finden."

Ich blicke mich ein weiteres Mal um. Nichts. Immernoch kein Kreuz zu sehen. "Vermutlich waren es irgendwelche Obdachlosen, die hier geschlafen haben und dann den Kirchenschmuck mitgenommen haben, um ihn zu verkaufen", meine ich schließlich achselzuckend.

"Schaut mal auf die Uhr, es ist schon kurz vor halb, wir müssen zurück", erinnert uns Tae. "Wir können einfach null hinschreiben, ich mein, was sollen wir sonst machen?", fügt er hinzu.

Hobi reicht den Stift herum und wir tragen alle die Antwort auf den Fragebogen ein. Dann verlassen wir das alte Gemäuer. Ich bin froh, wieder auf der Sonne durchfluteten Lichtung zu sein.

Auch wenn die Hälfte des Kirchendaches sich nicht mehr an seiner ursprünglichen Stelle befindet, war es in der Ruine dunkler und irgendwie beängstigend.

Trotzdem, auch das Sonnenlicht kann dieses beklemmende Gefühl nicht verdrängen, das mich seit dem Betreten der Kirche beschlichen hat.

obsessed I yoonmin ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt