Love is everything [6.12.]

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Der Schnee fiel sanft vom Himmel, landete auf der Straße, auf Gehwegen, Balkonen und Fensterbrettern, und es schien, als würde er sich mit jeder Sekunde immer mehr in der sonst so monotonen und langweiligen Landschaft verbreiten. Die kleinen Schneeflocken, die so wirkten, als wären sie bloß vom Himmel fallende Kugeln, faszinierten Akaashi jedes Mal aufs Neue – schon oft hatte er draußen jene aufgefangen und angesehen, dabei jedes Mal neue, sehr kleine Muster entdeckt.
Er wusste nicht, wie viele Fotos von ihm auf Bokutos Handy existierten, auf denen er mit Schnee in der Hand, roter Nase wegen der Kälte und Ohrenschützern auf dem Kopf zu sehen war, und eigentlich wollte er es gar nicht wissen, denn vermutlich war das der Grund, wieso sich sein Verlobter seit Wochen darüber beschwerte, dass er keinen Speicherplatz mehr hatte.
 
In dem Café, in dem er es sich gemütlich gemacht hatte, war nicht viel los, und die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlte, half ihm, sich besser auf seine Arbeit zu konzentrieren, als die Wohnung, die er sich mit Bokuto teilte, wo dieser sich eingebildet hatte, dass er dort unbedingt ein Chaos veranstalten müsse.
 
Akaashi seufzte, strich sich über die Stirn, während er sich zurücklehnte und an seinem Kakao nippte.
Für einen Moment schloss er die Augen, ließ die verschiedenen Gerüche und Eindrücke auf sich wirken, bevor ihn eine allzu bekannte Stimme aus seinen wirren Gedanken riss.
 
„Will ich wissen, wie lange du hier schon sitzt, wenn es jetzt gerade erst kurz nach Neun Uhr morgens ist und du schon mit voller Ausrüstung und deutlicher Übermüdung hier bist?“
Akaashi bewegte sich nicht, sondern öffnete bloß die Augenlider, wodurch seine metallblauen, wunderschönen Augen zum Vorschein kamen. „Dir auch einen schönen guten Morgen, Tenma. Und um deine Frage zu beantworten: Ich sitze seit einer halben Stunde hier.“
 
Sein Kollege grinste, schüttelte den Kopf. „Kann ich mich zu dir setzen?“
„Klar.“
 
Tenma setzte sich, musterte den Jüngeren, dessen Blick nun starr auf den Bildschirm vor ihm gerichtet war, während er eine kleine, viereckige Schachtel hervorholte und sie ihm über dem Tisch rüberschob. „Alles Gute nochmal. Ist nicht viel, aber trotzdem.“
 
Akaashi lächelte etwas betrübt, während er das kleine Geschenk entgegennahm. „Danke.“ Seine Stimme klang so unbeeindruckt, doch in Wirklichkeit freute er sich darüber, dass wenigstens einer sich daran erinnert hatte, dass gestern sein Geburtstag gewesen war.
 
„Wie war die Überraschung?“, fragte der Dunkelhaarige neugierig, während Akaashi die Schokolade auspackte. Schokolade war in solchen Situationen immer gut, und gefühlt jeder wusste, dass der einstige Setter sich mit dieser Süßigkeit immer besser fühlte – oder mit Süßigkeiten und Onigiri im Allgemeinen.
Der Dunkelhaarige hob die Schultern, klappte seinen Laptop zu, um sich auf seinen Kakao zu konzentrieren, der vermutlich schon zu lange so dagestanden hatte, den so langsam wurde er zu einem Eiskakao. „Gab keine.“
„Was? Wie-“
„Keine Ahnung.“ Und wie er eine Ahnung hatte.
 
Akaashi war seit fast Acht Jahren mit dem Wing Spiker der MSBY zusammen, und er kannte ihn in- und auswendig. Es gab nichts, was er nicht über ihn wusste, und andersherum war es auch immer so gewesen. Und da er ihn so gut kannte, wusste er, dass Bokuto zu der Sorte Mensch zählte, die des Öfteren Sachen vergaß, und normalerweise störte ihn das auch nicht, schließlich konnte das jedem mal passieren.
Aber dass er tatsächlich seinen Geburtstag vergessen hatte, hatte ihn etwas verletzt.
 
„Oh“, sagte der Mangaka bloß. „Aber eure Reise steht noch?“
„Denke schon.“
 
Sein Handy machte sich in seiner Tasche bemerkbar. Demotiviert holte er es heraus, seufzte innerlich, als er die vielen Nachrichten darauf sah.
 
Bokuto
KEIJI
             09:09
 
Bokuto
KEIIIIJIIIII
             09:10
 
Bokuto
BABY
             09:10
 
Bokuto
BAAAABYY
             09:10
 
Bokuto
Wie schaltet man den
Feueralarm aus??
                          09:11
 
Akaashi blinzelte ein paar Male.
Dann nahm er seine Brille ab, putzte sie, betrachtete die Nachricht noch einmal.
Dann rieb er sich über die Augen, betrachtete die Nachricht noch einmal.
Dann näherte er sich dem Bildschirm, betrachtete die Nachricht noch einmal.
 
Und dann wählte er Anrufen.
 
Erst nach Ewigkeiten nahm Bokuto den Anruf an.
 
„Was zur-“ Noch bevor er irgendetwas sagen konnte, hörte er das Piepsen im Hintergrund. „Was hast du getan?“
„Ich weiß es nicht, das hat plötzlich angefangen!“
„WIE KANN DER FEUERALARM ANFANGEN OHNE DASS ES BRENNT?!“, rief er ins Mikro.
 
Die Leute an den Nachbartischen starrten ihn irritiert an, weshalb Akaashi sich etwas kleiner machte, da ihm sein Ausrutscher dann doch etwas peinlich war.
 
„Wie kann es sein, dass der verdammte-“
„Soll ich jetzt die Feuerwehr rufen?“
„DAS WÄRE GUT!“
„Okay, warte…“ Kurz blieb es ruhig. „HEY! KANNST DU MAL DORT ANRUFEN?“
„WO?“, fragte jemand anderes, dessen Stimme Akaashi auch sofort erkannte. Sofort strich er sich wieder über die Stirn, denn er wusste, wenn Bokuto und sein bester Freund alleine in einem Raum waren, stand der Raum nicht mehr lange.
„Wo ist das jetzt, Keiji?“, fragte Bokuto – er klang etwas verzweifelt.
 
Akaashi seufzte, erhob sich, packte seine Sachen ein. „Ich komm nachhause, sonst haben wir heute Nacht keinen Schlafplatz.“
„Okay! Soll ich mit dem Anruf war-“
„NEIN!“ Der Dunkelhaarige beendete den Anruf, hängte sich seine Tasche um, wandte sich dann an Tenma. „Entschuldige, ich muss meine Küche retten.“
„Äh- Ja, kein Problem, schätze ich“, sagte dieser etwas verwirrt, bevor sein Kollege das entsprechende Geld auf den Tisch legte und aus dem Café verschwand.
 
 
 
Er konnte nicht beschreiben, wie wütend er war.
Einmal! Einmal ließ er ihn alleine, und sofort stand die gesamte Wohnhausanlage unter Gefahr abzufackeln.
 
Überraschenderweise sah er keinen Rauch und keine Feuerwehr, als er das Auto einparkte und schließlich das Gebäude betrat.
 
Hastig öffnete er die Tür, lief in die Küche. „Was hast du bitte-“
 
Ihm stand der Mund offen, als er auf der Kücheninsel alle möglichen Snacks und Weihnachtskekse sah, die er so liebte – mittendrin eine große Stoffeule, die ein Weihnachtsmannkostüm trug.
 
„Kotaro?“, fragte er leise in die Wohnung hinein.
 
Zum Umsehen kam er nicht, denn da wurde er plötzlich von hinten ganz fest umarmt – beinahe hätte er vor Schreck geschrien.
 
„HAPPY BIRTHDAY!“, rief das ehemalige Ass überglücklich, blies dabei in eine dieser Geburtstagstrompeten. Als Akaashi den Kopf etwas drehte, erkannte er einen Geburtstagshut auf den gestylten Haaren des Älteren.
 
Für einige Sekunden starrte er ihn ungläubig an – er war tatsächlich sprachlos.
Aber nicht, weil sein Verlobter sich die große Mühe gemacht hatte, ihm eine Freude an seinem Geburtstag zu machen – und dabei das Haus beinahe abgefackelt hätte –, sondern weil das Datum ganz eindeutig Sechster Dezember zeigte.
Dass Bokuto ganz schön vergesslich war, wusste er ja, aber dass er sich um einen ganzen Tag vertat, war eher ungewöhnlich.
Einerseits wollte Akaashi ihm das sagen, doch andererseits fühlte er sich etwas schlecht dabei, weil Bokuto sich eben so viel Mühe gegeben hatte.
 
„Kotaro…“, sagte er leise.
Bokuto ließ ihn los, küsste ihn zärtlich auf die Lippen. „Hm? Freust du dich nicht?“
 
Akaashi zog aus Reflex die Augenbrauen zusammen, sah ihm tief in die Goldenen Augen. „D-Doch, aber…“ Er biss sich auf die Unterlippe, während Bokuto nach seiner Hüfte griff und ihn zu sich zog. „Ich hatte gestern Geburtstag…“, erklärte er leise.
„Nein, du vertust dich! Heute ist der Fünfte Dezember!“
„Nein, der war gestern.“
„Nein, der ist-“ Der Größere sah auf den Kalender, der auf der Küchentheke stand. „Da! Fünfter Dezember – Keijis Geburtstag!“, las er vor, ließ dabei die tausend Herzen weg, die er nachträglich darauf gezeichnet hatte.
„Ja, das war gestern.“ Akaashi seufzte, holte sein Handy hervor, auf dem ganz klar Sechster Dezember zu lesen war.
 
Bokuto starrte den Bildschirm an, als würde darauf stehen, dass er sich nicht mehr bewegen und nicht mehr atmen dürfte.
 
Mit schlechtem Gewissen schaltete Akaashi das Handy aus, steckte es zurück in seine Tasche.
 
Der Ältere sah betrübt zu Boden.
 
Der einstige Setter wollte die Situation unbedingt retten, doch stand zuerst hilflos da. „Hey, ist doch egal! Lass uns einfach nachfeiern, ja?“ Er schaffte es zu lächeln.
„I-Ich hab deinen G-Geburtstag-“
„Sind das da drüben Onigiri?“ Akaashi löste sich von ihm, lief zu der überfüllten Kücheninsel.
„Deine Lieblingssorten…“
„Ich seh’s!“ Vorsichtig nahm er sich eines, biss genüsslich davon ab. Dann fiel sein Blick auf die Eule, und irgendwie war das der Auslöser dafür, dass seine Freude echt wurde – er freute sich plötzlich wahnsinnig, in seinem Körper strömten die Glücksgefühle auf und ab. „Aaaaww!“, quietschte er, nahm sich das Stofftier, knuddelte es.
 
Und das war auch der Auslöser dafür, dass Bokuto seine eigene Vergesslichkeit vergaß, zu seinem Verlobten lief und ihn so fest umarmte, wie es nur ging.
Verliebt verteilte er Küsse auf seinem Hals und seiner Wange, und Akaashi schmiegte sich an ihn, legte seine Arme um den trainierten Oberkörper des Profispielers, seinen Kopf vergrub er an seiner Halsbeuge, während er glücklich die Eule betrachtete.
„Gefällt sie dir??“
„Ja!“
„Wirklich??“
„Ja!“
 
Bokuto hob Akaashi auf, wirbelte ihn durch die Gegend, während er mehrmals in die Geburtstagstrompete blies. „YAAY!“, rief er.
Akaashi musste lachen, klammerte sich dabei an seinem Partner fest. „Lass mich runter!“, kicherte er.
 
Als der Volleyballer das folgsam tat, zögerte Akaashi keine Sekunde, ihre Lippen miteinander zu verbinden.
Sanft küsste er ihn, und wie so oft auch schon dauerte es nicht lange, bis Bokuto die Küsse intensivierte, auch auf seiner Wange und seinem Hals welche verteilte.
 
 
 
Eines war klar: Für den Dezember hatte er jedenfalls genug Süßigkeiten – obwohl er noch nicht ganz wusste, ob er überhaupt so viel brauchte.
Schlussendlich zählte für Akaashi das alles nicht.
Er war einer der Menschen, die sich nicht um so etwas scherten – für ihn war Weihnachten immer noch das Fest, an dem sich die Familie versammelte und an dem man Beisammen und glücklich war.
Und glücklich war er auf jeden Fall.
 
Bokuto hatte ein Dauergrinsen am Gesicht, als Akaashi sich mit der Weihnachtseule im Arm an ihn gekuschelt hatte.
Er konnte von seiner Position nicht ausmachen, ob der Jüngere schlief oder dem Weihnachtsfilm, der gerade im Fernsehen lief, aufmerksam zusah – und nachsehen wollte er nicht, denn Akaashi schien, als würde er gemütlich liegen, und das wollte er nicht zerstören.
 
Sanft strich er ihm durch die schwarzen Locken, genoss diese angenehme Nähe seines Geliebten dabei mit allen Sinnen.

„Kotaro“, sagte Akaashi da plötzlich.
„Ja?“
„Was war da jetzt mit dem Feueralarm los?“
 
Kurz blieb es still.
 
„Also- Es könnte sein, dass ich etwas Hilfe beim Backen hatte, und naja… Keine Ahnung, der Alarm ist einfach losgegangen, und dann haben wir dort angerufen und gesagt, dass es ein Fehler war und-“
Akaashi kicherte leise, dann legte er den Kopf auf seiner Brust ab, was Bokuto zum Unterbrechen seiner Rede brachte. „Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.“ Er machte eine kurze Pause, dann sah er zu ihm, lächelte schüchtern. „Aber das nächste Mal, wenn ihr so etwas vorhabt, sagt es mir bitte vorher. Ich fände es auch toll, wenn wir gemeinsam backen würden.“
Bokuto grinste breit, während er Akaashi ein paar dunkle Strähnen aus dem Gesicht strich. „Ich liebe dich so sehr.“
„Ich dich auch, Kotaro.“

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