Blut

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„Das ist es also?", frage ich, während ich meinen Blick über die hohen Glasfenster, holzverkleideten Wände und verchromten Deckenleisten wandern lasse. Goldene und rote Farbakzente lockern die Atmosphäre im Innern des Restaurants auf und durch die Fenster haben wir eine faszinierende Aussicht auf den Times Square, auf dem noch immer ein ziemliches Gewusel herrscht.

„Ein erlesenes Gourmet-Restaurant", versichert mir Hope, kann ihr Gelächter aber kaum noch zurückhalten. Mir dämmert so langsam, dass ich hereingelegt worden bin.

Ich senke meinen Blick auf das Tablett, das vor mir auf dem Tisch steht. Darauf befinden sich zwei so genannte Burger, eine Schachtel mit Pommes Frites und eine mit Chicken McNuggets, Ketchup, Mayonnaise und zum Nachtisch ein McFlurry. Das hat Hope jedenfalls für mich bestellt. Ich kann mir darunter nichts vorstellen, aber da ich keine Herausforderung scheue und mein fleischlicher Körper nicht ausschließlich von Lust und Liebe leben kann, folge ich ihrem Beispiel und beginne mein Mahl mit einem der zwei Burger. Beim Hineinbeißen flutscht ein Großteil des Belags zwischen den Brötchenhälften hindurch und landet auf meinem Tablett.

Hope kichert wie ein Schulkind. „Tut mir leid", entschuldigt sie sich. Ihre Ohrringe klimpern. „Aber das hab ich irgendwie vorhergeahnt."

„Und da kam es dir nicht in den Sinn, mich zu warnen?"

Hope hält sich eine Hand vor den Mund, damit ich sie nicht lachen sehe. „Warst du wirklich noch nie bei einem McDonalds?"

„Wie schon gesagt: Ich bin nicht von hier."

„Aber diese Läden gibt es fast überall auf der Welt."

Ich kaue ausgiebig und nutze die Gelegenheit, um Zeit zu gewinnen. Außer uns sind nicht viele Menschen anwesend. Die meisten tummeln sich im Erdgeschoss, bei der Essensausgabe. Hope stellt sich beim Verspeisen ihres Cheeseburgers deutlich geschickter an als ich. Auch wenn ich mir sicher bin, dass sie meine Anwesenheit genießt, geht mir die Szene mit den zwei Männern nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich mich mit ihr vereine, werde ich erfahren, was es damit auf sich hat. Ich werde wissen, was Liam meinte, als er geheimnisvoll andeutete: Du weißt doch noch, was ich dir gesagt habe, oder?

Will ich das wirklich wissen? Bin ich bereit dafür? Oder sollte ich mir ein anderes Opfer suchen?

Doch ich will Hope. Nicht nur, weil ich den Duft ihres Psychors bezaubernd finde, sondern auch, weil ich mir gut vorstellen kann, dass sie eine wertvolle Ergänzung meines Wissens und Könnens darstellen wird. Auf dem Weg hierher hat sie mir erzählt, dass sie auf die Columbia geht und Medizin studiert. Wer weiß, vielleicht lerne ich durch unsere Vereinigung etwas Nützliches? Ich würde nur zu gern wissen, wie man menschliche Wunden behandelt. Möglicherweise geht dieses Wissen nach dem Akt auf mich über. Aber selbst wenn nicht, denke ich, dass Hope ein ausgezeichnetes Opfer sein wird, um meine hundertjährige Fastenperiode zu beenden.

„Wenn ich ganz ehrlich sein soll, hat mein Unwissen nichts mit dem Ort, sondern mit der Zeit zu tun."

„Wie meinst du das?"

„Ich komme sozusagen aus der Vergangenheit", erkläre ich, während ich mit den Fingern die Tomaten und Gürkchen aufsammele, die mir entwischt sind. Auch wenn es sich nicht um ein Gourmet-Restaurant handelt, bin ich positiv überrascht. Das Essen schmeckt jedenfalls deutlich besser als es aussieht.

Hope runzelt die Stirn, wobei sich wieder das süße Grübchen zwischen ihren Brauen bildet. „Aus der Vergangenheit?", wiederholt sie zweifelnd. Dann scheint sie zu glauben, dass ich einen Witz mache und lächelt. „Ach so. Deswegen auch der altmodische Name." Sie lutscht sich das Fett von den Fingern. „Und aus welchem Jahr kommst du?"

NachtmahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt