Am nächsten Tag fehlte Nia.
Ein Gerücht ging herum, er hätte Janine tatsächlich versprochen, mit ihr auf ein Date zu gehen und würde sich nun davor drücken wollen.
Es überraschte mich nicht, dass manche Schüler diesen Schluss zogen, nachdem ihn keiner mehr gesehen hatte, aber die meisten mussten über diesen Unsinn nur lachen und sagten, dass seine Abwesenheit auf keinen Fall etwas mit einem Mädchen zu tun hatte.
Wieso auch? Nia hatte kein Problem damit, Annäherungsversuche mit einem Zwinkern und geschickten Flirten abzutun, und bei seinem entschuldigenden Grinsen konnte man ihm offenbar auch gar nicht böse sein. So wie es schien, kam er mit allen gut aus. Aber ganz entgegen seiner „Frohnatur", wie ich ein Mädchen sagen hörte, war es gar nicht so einfach, ihn besser kennenzulernen.
Ich musste schnauben, als ich das hörte. Frohnatur, aber sicher doch.
Nia besass alles andere als ein sonniges Gemüt. Möglicherweise nach aussen hin, aber ich hatte nun schon mehrmals durch die Risse seiner Fassade geblickt und dahinter steckte etwas, das man nicht mehr nicht sehen konnte, wenn man es einmal entdeckt hatte. Und es war ganz und gar nicht nett. Aber das wusste keiner, ausser mir und vermutlich würde das auch so bleiben.
Sein Image schien ihm ganz schön wichtig zu sein und wahrscheinlich hatte ich diese Seite an ihm nur deshalb zu sehen bekommen, weil meine Meinung ihn nicht kümmerte.
Ich schürzte die Lippen. Konnte es sein, dass er sich keine Mühe gab, seine Launen vor mir zu verbergen, weil ich ohnehin keinem etwas erzählen würde? Weil ich es nicht konnte? Das wäre ganz schön gewagt gewesen.
Doch dann kam mir in den Sinn, wie er mich davor gewarnt hatte, nichts zu sagen. Er hatte mich angeschaut, als ob ich überall herausposaunen würde, was ich gesehen hatte. Als ob ich mich nicht zurückhalten könnte, die Neuigkeiten brühwarm weiterzuerzählen. Er schien mein Stottern nicht als ein Hindernis zu sehen und das überraschte mich ein wenig.
Konnte es sein, dass unsere Unterhaltungen ihm den falschen Eindruck vermittelt hatten? Dass er mein Stottern für gar kein so grosses Problem hielt?
Ich runzelte die Stirn. Normalerweise hätte mich das gefreut, aber im Moment konnte ich nur daran denken, dass er mich angeschnauzt hatte und dass es nur einen einzigen Grund dafür geben konnte ... Er stellte meinen Charakter in Frage.
Und das ging mir stärker an die Nieren, als ich zugeben wollte. Besonders, weil er gesagt hatte, dass er ebenfalls ein guter Beobachter sei.
Sollte er dann nicht wissen, dass es keinen Grund gab, mir zu misstrauen? Und dass ich mich eigentlich nur mit ihm unterhielt? Dass er der Einzige war, mit dem ich freiwillig ein Gespräch begann?
Über meine eigenen Gedanken erstaunt, hielt ich inne. Stimmte das?
Nachdenklich starrte ich auf den Bildschirm des Schulcomputers. Ich hatte mich in die Bibliothek zurückgezogen, um der Recherche für meine Bio-Arbeit nachzugehen, die ich in zwei Wochen abgeben musste. Ich klickte mich durch die Webseiten und suchte nach brauchbaren Informationen, kehrte im Geiste aber immer wieder zu der Frage zurück, ob es mir mit Nia tatsächlich so ging.
Mein ganzes Leben lang war da diese Barriere zwischen mir und der Welt gewesen und wenn ich etwas sagen wollte, musste ich stets eine ganze Menge Mut sammeln, um durch diese Schranke zu brechen.
In den letzten Tagen hatte ich aber mehrfach drauflos geplappert.
Und es war immer mit Nia gewesen.
Ich lehnte mich zurück und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Es brachte nichts, darüber nachzudenken, was er denken könnte. Oder wie sehr ich wissen wollte, was er über mich dachte. Ich sollte meine Quellen heraussuchen und mich nicht von solchen Gedanken ablenken lassen.
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Hinter der Bühne (AT)
Teen FictionNia schweigt und das aus gutem Grund. Gehemmt durch ihr Stottern, behält die 15jährige Träumerin ihre Gedanken für sich und lebt in einer Welt aus Schulternzucken, Augenrollen und Kopfschütteln. Kopfschütteln vor allem über die sinnlosen Gespräche i...