Kapitel 10 - Stock und Schirm

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Wir sassen in der Mitte der Bühne auf dem Boden und hatten Mühe den Instruktionen unserer Lehrerin zu folgen.

„Ihr braucht euch nicht hinzulegen und eine Umarmung ist auch nicht nötig. Aber Hendrick und Lisbeth sind Vertraute und so soll das Gespräch auch wirken. Rückt näher zusammen. Du könntest dich bei ihm anlehnen, Nia." Sie schaute auf mich hinunter. „Vielleicht mit dem Rücken zu ihm?"

Ich sollte mich zwischen seine Beine setzen?

„Nein, d-d-das möchte ich nicht!", rutschte es mir heraus. Doch ich hätte mich gar nicht wehren müssen, denn im selben Moment sagte Nia: „Kommt nicht in Frage!"

Erstaunt musterten wir uns gegenseitig.

Im Saal war mittlerweile ein Chaos ausgebrochen und Frau Lautner stöhnte. „Findet einfach eine Haltung, die euch beiden passt und dann fangt um Gottes Willen an." Und mit den Worten: „Herrgott nochmal, Markus, komm von den Stühlen runter!", war sie verschwunden.

Nia räusperte sich. „Was hältst du von einem Kompromiss mit der Regieanweisung? Du könntest dich vielleicht hinlegen und den Kopf auf meinen–"

Der Horror musste sich auf meinem Gesicht abzeichnen, denn er verstummte. Er verschränkte die Arme und tat unbeeindruckt, aber ich konnte die Anspannung in seinen Schultern sehen. Meine Reaktion hatte ihn verunsichert.

Aber wie kam er auch auf diese Idee? Gerade hatte er noch so vernünftig gewirkt und nun das?

Machte er sich eigentlich zu irgendeiner Sache in seinem Leben einmal ein bisschen mehr Gedanken?

„Nein." Ich hatte schon lange nicht mehr so laut gesprochen, doch sein Vorschlag weckte ungeahnten Widerstand in mir. „Ich finde, wir sollten n-n-n–" Ich nahm ein paar tiefe Atemzüge. „Ich finde, wir sollten n-nebeneinander sitzen."

Sein Schweigen zog sich in die Länge, vermutlich, weil wir damit Frau Lautners Anweisung mit der vertrauten Haltung ignorierten und ich hörte mich sagen: „Ich kann mich bei dir anlehnen."

In meinem ganzen Leben hätte ich niemals gedacht, dass ich mich irgendwann darum reissen würde, mich an die Schulter eines Typen zu lehnen, der mich da nicht mal haben wollte.

Glücklicherweise zeigte er sich mit meinem Vorschlag aber einverstanden und wir einigten uns darauf, dass ich mich an seine Schulter lehnen sollte.

Doch als ich an ihn heranrutschte, wich er zurück.

„Komm auf die andere Seite."

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Warum?"

Er stiess die Luft aus und schien mit sich zu hadern. Dann murmelte er: „Ich habe ein Problem mit dieser Schulter."

Ich runzelte die Stirn. Hatte Björn ihn dort erwischt? Oder war es eine alte Verletzung, die sich nach der Auseinandersetzung meldete?

Man sah von Aussen nichts aber Nia hätte bestimmt nichts gesagt, wenn es nicht wehgetan hätte. Er wirkte wie die Sorte Jungs, die Schmerzen litt und dabei keinen Mucks von sich gab. Ob es an seinem Stolz kratzte, dass er es zugeben musste?

Es sah ganz so aus, aber ich konnte ich nicht umhin zu fragen: „Ist es sehr schlimm?"

„Ich werd's überleben."

„Ist es w-wegen Björn, oder–"

Ich glaubte etwas Dunkles in seinen Augen aufflackern zu sehen. Etwas, das hinter dem nun ganz und gar erzwungenen Lächeln lag. Und plötzlich wusste ich eines ganz genau: Es war ein schönes Lächeln, aber es war falsch.

Es war wie beim letzten Mal im Gang, nur dass er es diesmal nicht ganz überspielen konnte und die Botschaft dahinter war so deutlich wie ein Neonschild: Nia wollte, dass ich das Thema fallen liess.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt