Kapitel 15 - Dunkle Blicke

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Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so über die Montagmorgen meines Lebens freuen könnte.

Ein Wochenende, angefüllt mit Brettspielen und einer Partie Monopoly, die sich über beide Tage hinweg gezogen hatte, lag hinter mir und ich konnte es kaum erwarten, dass die Tage vorübergingen.

Früher waren meine Schultage nie besonders spannend gewesen. Es gab nichts, das ich zu Hause hätte erzählen können ... oder wollen. Aber nun hatte die Eintönigkeit sich verzogen, um einer kribbeligen Anspannung Platz zu machen.

Nia hatte nichts gesagt, als Frau Lautner uns nach einem strengen Blick im Gang stehen liess und die Angelegenheit damit beendete.

Ich hatte selbst kein Problem damit, die nächsten Wochenenden mit Malen und Bastelarbeiten zu verbringen, denn das bewahrte mich nicht nur vor unzähligen Blamagen, sondern hielt mir auch Björn und dessen ekligen Sprüche vom Leib.

Ich war in meinem ganzen Leben noch von keinem Lehrer in die Schranken gewiesen worden und nun waren die Konsequenzen meines Handelns auch noch ausgerechnet etwas, über das ich mich freute.

Heimlich, natürlich, aber innerlich war ich schon dabei gewesen, durch den Gang zu springen und zu jubeln. Nia hatte die Nachricht so gelassen hingenommen, wie ich hätte wirken wollen und sich dann mit einem knappen Nicken verabschiedet. 

Ich hatte ihm nachgeschaut und obwohl ich dann nicht schnell genug aus der Schule herauskommen konnte, waren meine Gedanken irgendwo dort im Gang geblieben.

Das, was Nia mir über seine Panikattacke im Theatersaal verraten hatte, liess mich nicht los. „Das war doch nicht dasselbe", hatte er gesagt.

Aber wieso nicht? Wieso hatte das eine Problem nichts mit dem anderen zu tun?

Und wusste er nicht, dass er meine Neugierde mit solchen Worten nicht nur weckte, sondern sie geradezu aus dem Bett zerrte?

Ich würde mich ganz bestimmt nicht mehr von ein paar groben Bemerkungen beirren lassen. Schon gar nicht, wenn er im nächsten Moment Sachen sagte, die mich zum Lachen brachten.

Gut möglich, dass er mich damit ablenken wollte, aber es war offensichtlich, dass er einen schelmischen Humor besass und ich wollte zu gerne mehr davon aus ihm herauskitzeln und vielleicht würde er dann auch etwas zugänglicher werden.

Unterdessen wollte ich nicht mehr nur verstehen, weshalb er manchmal so mürrisch war oder gar zornig. Ich wollte wissen, wie die Welt durch seine Augen aussah; was er nach der Schule tat, wenn er alleine war und niemand etwas von ihm wollte. Ob er Geschwister hatte?

Ich hatte ihn in der ersten Woche sagen hören, dass seine Grosseltern hier lebten und er deshalb Deutsch sprach. Seine Mutter kam allerdings aus Norwegen und der Vater war Schwede. Zu alledem lebten seine Cousins und Cousinen wohl alle in Grossbritannien und das zeigte sich im Schulalltag deutlich.

Unsere Englischlehrerin war mächtig beeindruckt gewesen und hatte nachgehakt: „Dann bist du also mit vier Sprachen gross geworden?"

Nia, dem das unangenehm zu sein schien, murmelte: „In etwa" und das mit einem Gesichtsausdruck, als würde man ihm gerade einen Zahn ziehen.

Er hatte wahrscheinlich gedacht, man würde ihn als Streber abstempeln und das konnte man ihm nicht mal verdenken. Aber stattdessen hatten ihn die meisten davor bewundert und ihn noch cooler gefunden.

Ich hingegen musste bei seinen Worten an den grossen Unterschied zwischen uns denken und daran, was er wohl schon alles erlebt haben musste, an wie vielen Orten er schon gewesen war und wie wenig ich dagegen von der Welt wusste.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt