Kapitel 11 - Bei Sonnenuntergang

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Ich ignorierte meine Mutter den ganzen Samstag über.

Den Freitagabend verbrachte ich mit meinem Vater auf der Couch bei einer seiner Natursendungen. Mein Handy hatte ich vorsorglich in meinem Zimmer gelassen und auch den Samstagmorgen über blieb es in meiner Schreibtischschublade.

Ich wusste nämlich ganz genau was meine Mutter wollte.

Sie hatte schon wieder einen vielversprechenden Therapeuten oder eine Therapiemethode gefunden, von der sie sich Wunder versprach und nun würde sie nicht locker lassen, bevor ich mich in mein Schicksal fügte und mich von ihr dazu überreden liess, hinzugehen.

Sogar ihre Klienten steckten ihr manchmal Visitenkarten zu oder vermittelten ihr einen Kontakt und das ging mir gewaltig auf die Nerven.

Man hätte annehmen können, dass sie sich für mein Stottern schämte und mit meinem Problem hinter dem Berg hielt, aber das tat sie nicht. Sie sprach offen darüber und ich wollte gar nicht wissen, was sie dabei so alles von sich gab.

Die Krux an der Sache war nämlich, dass sie nicht mich für mein Scheitern verantwortlich machte, sondern die Fachkräfte. Mein Stottern war für sie etwas, dass das Leben mir angetan hatte und dass ich es immer noch nicht losgeworden war, konnte daher nur am Versagen anderer Leute liegen.

Das war aber kaum verwunderlich, denn ihr gesamter Alltag drehte sich darum, den Fokus auf die Fehltritte anderer zu lenken und dabei das Problem in den eigenen Reihen herunterzuspielen.

Und wenn sie spät abends die Kanzlei verliess, dann mochte sie zu Hause ihr Kostüm ablegen, nicht aber ihre Haltung.

Ich machte ihr keinen Vorwurf daraus, denn so war sie einfach und die Suche nach dem nächsten Therapeuten gab ihr wohl das Gefühl, ihren Part als Mutter zu erfüllen.

Aber manchmal tat es auch ganz schön weh.

Sie schien in mir so gar nichts von sich selbst zu sehen und obwohl ich das Stottern so gerne losgeworden wäre, beschlich mich manchmal die Angst, dass ich auch ohne Sprechfehler eine Enttäuschung für sie bleiben könnte.

Und was dann?

Es gab im Grunde nichts, das uns verband und ich war mir ziemlich sicher, dass wir nur wegen ihrer Anrufe noch miteinander sprachen.

Oder eben auch nicht, weil ich keine Lust hatte mir ihre Predigten anzutun und mir ständig in meine Angelegenheiten reinreden zu lassen.

Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich liebte und nur deshalb so schroff war, weil sie sich Sorgen darüber machte, wie ich es auf mich alleine gestellt durchs Leben schaffen würde. Ständig sagte sie Sachen, wie: „Diese Welt ist grausam zu denen, die nicht normal sind. Du wirst schon sehen, Antonia."

Ich konnte über diesen Kommentar nur müde lächeln.

Ich war ein Teenager an einer öffentlichen Schule und da brauchte man nun wirklich keinen Erwachsenen, der einem erklären wollte, wie das „da draussen" und im „echten Leben" so ablief.

Das einzige was einen immer wieder aufs Neue überraschen konnte, war der Grad der Kaltherzigkeit, die manche Leute an den Tag legten, nicht dass sie so waren.

„Du musst dich durchsetzen, wenn du etwas willst", hiess es dann. „Stell dich gerade hin und sag, was du willst! Keiner nimmt Notiz von dir, wenn du den Mund nie auftust und wie willst du dann mal jemanden kennenlernen?"

Das war auch oft einer ihrer Punkte. Nicht nur, dass ich keine Freunde besass, sondern auch, dass ich kein Interesse am Daten zeigte. Aber das war mal sowas von das letzte Thema, über das ich mit ihr sprechen wollte.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt