Kapitel 5 - Doppelte Schatten

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In der Nacht auf den Samstag wälzte ich mich unruhig hin und her.

Nachdem ich mich wieder aufgerappelt und das Heft aus dem Staub gefischt hatte, war ich noch lange oben bei der Burg geblieben und hatte über die Dächer der Altstadt in die Ferne gestarrt, ohne wirklich etwas zu sehen.

Erst als der Nachmittag schliesslich in den Abend überging, hatte ich das Heft verdrossen zwischen meine Bücher gestopft und den Weg nach Hause eingeschlagen.

Der makellos blaue Himmel, war mir beim Abstieg überhaupt nicht mehr fröhlich vorgekommen. Eher so, als wollte er mich verhöhnen und mir zeigen, wie gross der Unterschied zwischen den letzten Tagen und den kommenden Monaten war, die nun vom Theater überschattet wurden.

Und einer Person mit einem gewaltigen Schatten, dachte ich.

Wenn sich zwei Schatten übereinander legten, war es dann eigentlich doppelt so dunkel?

Es fühlte sich jedenfalls so an.

Ich seufzte tief.

Normalerweise waren mir meine Gedankenspiele ein willkommener Zeitvertrieb, aber im Moment lösten sie nichts als Unbehagen in mir aus. Ich wollte sie aus meinem Kopf verbannen ... oder irgendwo einsperren. Aber natürlich war das Unsinn. Sie gehörten zu mir, wie der Regen zum Wasser, und waren – genau wie jene auch – , in manchen Fällen willkommen und in anderen nicht.

Ausrichten konnte man dagegen aber nichts.

Trotzdem wehrte ich mich gegen die Gedanken, die nun unweigerlich an die Oberfläche sprudelten.

Ich wollte meine Freitagnachmittage nicht mit Theaterspielen verbringen und ich hatte keine Ahnung, wie ich die Proben überstehen sollte, wenn die ganze Klasse mich anschaute: Die Hälfte davon schwankend, zwischen Sensationslust und einem vorpubertärem Kichern, die andere zerfressen von Eifersucht, weil ich die Rolle bekommen hatte, die mit dem Arschloch auf Tuchfühlung ging.

Die Aussicht darauf, mit Nia eine Szene zu spielen, in der wir uns körperlich nahe kamen, liess mich trocken schlucken.

Wie sollte das überhaupt gehen?

Ich konnte doch nicht einfach an ihn heranrücken und ... Nein!

Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder loszuwerden. Bilder, in denen Nia auf mich zukam und mich in seine Arme zog. Szenen, in denen ich ihm so nahe war, dass ich seinen Herzschlag unter meiner Wange spürte.

Auf keinen Fall.

Oh mein Gott.

Die Vorstellung allein trieb mir den Schweiss auf die Stirn und brachte mich dazu, mit meinen Händen über mein Gesicht zu reiben und sie schliesslich in meinen Haaren zu vergraben, während ich durch das Dachfenster ins Dunkel starrte.

Ich drehte mich um und drückte mein Gesicht ins Kissen, um ein frustriertes Stöhnen zu unterdrücken. Ich wollte nicht an die kommenden Monate denken. Ich wollte nicht einmal an die kommende Woche denken.

Am liebsten hätte ich diese Gedanken einfach ausgestellt. Ich wollte mich im Gedankenschloss meiner fernen Zukunftsträume verlieren oder in verschwommenen Erinnerungen vergraben. Sogar die weniger schönen Ereignisse meiner Vergangenheit wären mir gerade eine willkommene Ablenkung gewesen.

Aber so sehr ich es auch wollte ... so sehr ich mir wünschte, ich könnte noch ein Wochenende in seliger Unwissenheit leben, es ging nicht. Ich hatte das Manuskript schon gelesen.

Ich konnte die Gedanken an das Theaterstück nicht wegschieben und mich erst am Montag wieder damit beschäftigen. Ich konnte Nia nicht aus meinem Kopf verdrängen und ich fragte mich unwillkürlich, was er wohl gerade in diesem Moment tat, während ich hier mit meinem Verdruss kämpfte.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt