Seidenwelt

Kapitel 28: Wer Juck-Früchte erntet, wird Chaos säen

Zwei Tage später blieben wir zum ersten Mal fast in sumpfigen Morast stecken, der gut getarnt zwischen den Bäumen lauerte.

Wir hatten die schwimmenden Wälder erreicht.

Eine unüberschaubare Sumpflandschaft lag vor uns.

Seichte Becken, die von hochgewachsenen Wasserpflanzen bedeckt wurden, und tiefere Stellen, an denen schlammiges Moorwasser zwischen den Gewächsen schwappte, erstreckten sich so weit das Auge reichte. Hochgewachsene Bäume ragten aus dem Wasser empor und sperrten mit ihren fächerartigen Blättern einen Großteil des mittäglichen Sonnenlichts aus. Obwohl ich wusste, dass die Bäume in Wahrheit tief in der festen Erde unter dem Wasser verankert waren, war die Benennung der Region einleuchtend. Dank einiger Baumwurzeln, die über der Wasserlinie hervorragten und sich weit in den Sumpf hinein ausbreiteten, machten die Bäume tatsächlich den Eindruck, als würden sie schwimmen. An den Stellen, an denen mehrere Bäume dicht beieinanderstanden, festigten die oberen Wurzeln die Oberfläche des Moors, sodass diese Orte von Pflanzen dicht bewachsen waren. Farne in den verschiedensten Farben kämpften dort mit knorrigen Büschen und Gewächsen, die wie riesige bunte Schwämme aussahen, um die Vorherrschaft.

Nathanel und ich hatten uns Tage zuvor bereits geeinigt, dass wir die Wanderung durch diese gefährliche Landschaft voller ungesehener Tücken nicht ohne Vorbereitung wagen würden.

Statt uns also dem Sumpf zu stellen, wandten wir uns gen Westen und wanderten die bereits stellenweise unebene, aber spärlich bewachsene Grenze zwischen dem Schlingenwald und den schwimmenden Wäldern entlang.

Obwohl ich den Informationen der Zwergin bezüglich der Dschungelsiedlung traute, war ich erleichtert, als am Abend die ersten tanzenden Lichter vieler Fackeln durch die Zweige der Bäume hindurchstrahlten.

Vorsichtig näherten wir uns der unbekannten Siedlung.

Bereits hunderte Schritte vor dem mit dornigen Ranken bewachsenen Zaun, hinter dem unser Ziel lag, stießen wir auf die ersten Konstruktionen des Dschungeldorfs. Stolperseile, mit scharfen Waffen gespickte Fallen und verdächtig glühende Schutzartefakte, die uns beim Näherkommen vermutlich allerlei Flüche beschert hätten, säumten den Pfad, den wir uns bahnten. Die Dschungelsiedlung schien nicht allzu besucherfreundlich zu sein.

Als ich mich einige Schritte weiter hinter einen Baum kauerte und die Wachtürme musterte, die den hohen Wall der Siedlung überblickten, zupfte Nathanel aufgeregt an meiner Tunika. Schweigend wies er mit der Hand in die Bäume über uns.

Ich hob meinen Blick von den Türmen, hinter deren Scharten ich Gestalten zu sehen glaubte und stieß überrascht einen pfeifenden Atemzug aus. Was zunächst nach einer recht überschaubaren Siedlung ausgesehen hatte, stellte sich als eine Häuseransammlung heraus, die in ihrer Größe eher einer kleinen Stadt glich.

Nur war der Großteil der Häuser nicht am Boden, wo, wie ich jetzt begriff, vorrangig Verteidigungsanlagen errichtet worden waren. Die kugelrunden Behausungen der Siedlungsbewohner befanden sich viele Dutzend Schritte hoch in der Luft. In unzähligen von Fackellicht beleuchteten Gruppierungen hingen sie Traubenreben gleich von den umliegenden Bäumen. Je länger ich hinsah, desto unüberschaubarer wirkte das Ganze. Plattformen verschiedener Größe hingen zwischen den Häusern von den Bäumen. Und Brücken, die willkürlich platziert schienen, verbanden alles miteinander. Einige Brücken wanden sich wie Wendeltreppen hinab, während andere so schief verliefen, dass sie wie Rutschen wirkten. Manche von ihnen hingen an Seilen, manche schwebten unbefestigt in der Luft. Selbst Brücken, die sich von einem Haus zum nächsten bewegten, und solche, die scheinbar ziellos umherflogen, sah ich.

Etwas ratlos blickte ich zu dem Seidenen, der neben mir stand. Was nun?

Unser ursprünglicher Plan war es gewesen, ein kleines Boot zu entwenden, um das Gelände der schwimmenden Wälder passieren zu können. Aber im Angesicht der Größe und Unübersichtlichkeit der Siedlung wusste ich nicht einmal, wo wir mit der Suche danach beginnen sollten.