Kapitel 8: Wer zuletzt zuschlägt, schlägt am besten

70 7 0
                                    

Wie beim letzten Mal, als ich hergekommen war, überrollten mich die ungewohnten Sinneseindrücke der Menschenwelt mit der Macht einer Nizaak-Horde.

Lautes Rattern und Rauschen schien von überall her zu kommen und dröhnte nach der Stille des Lilienwalds schmerzhaft in meinen Ohren.

Der Blumenduft der Lilien wurde von einem Wechselspiel aus scharfen Essensgerüchen und dem beißenden Gestank, den Autos verursachten, abgelöst.

Selbst das Licht hier war anders als in der Seidenwelt.

Die Umrisse der hohen Häuser, die die Gasse säumten, zeichneten sich kaum von dem dunklen Himmel ab, an dem blasse Sterne zu erkennen waren.

Die einzige Lichtquelle stellte eine gelblich leuchtende Straßenlaterne dar, die leicht flackerte, als ich auf sie zutrat.

Aus Büchern und meiner Erinnerung wusste ich, dass die Laterne weder mithilfe von Flammen noch unter Nutzung lebendiger Feen funktionierte. Stattdessen erhellte Menschenmagie die Straße: Elektrizität.

Wenn meine Zeit nicht so knapp bemessen gewesen wäre, hätte ich das menschengemachte Pseudo-Feuer vermutlich länger bewundert. So aber trat ich schnell an der Laterne vorbei und wandte mich wie bei meinem letzten Besuch in dieser Welt nach rechts, in die Richtung des ohrenbetäubenden Lärms.

Ich durchquerte einen dunklen Hof und kam an eine Straße, die so breit war, dass mehrere ratternde Autos nebeneinander fahren konnten. Dort angekommen, sah ich mich ein wenig ratlos um.

Vor zwei Jahren hatte ich genau an diesem Fleck herumgestanden, bis ein alter Mann mir anbot, mich in seinem Lastwagen mitzunehmen. Von ihm hatte ich erfahren, dass mein Heimatdorf mit dem Auto nur eine Stunde von der riesigen Stadt, in der ich mich aktuell befand, entfernt lag.

Das Problem war nur, dass ich keine lärmende, selbstfahrende Kutsche besaß.

Wobei ich ohnehin kaum in der Lage wäre, sie zu fahren, die Dinger ließen sich schließlich nicht mit Möhren bestechen.

Blieb nur die Option, jemanden zu finden, der mich fahren würde.

Während ich abwog, wie ich eines der rasenden Gefährte auf der Straße zum Stehen bringen sollte, erschien von links ein kleines rotes Modell, das auf mich zuhielt.

Ich sprang aus dem Weg und das Auto brauste an mir vorbei.

Noch im Sprung drehte ich mich so, dass ich für einen potenziellen Angriff bereit war.

Aber das Auto fuhr kein zweites Mal auf mich zu. Stattdessen hielt es etwa zehn Schritte von mir entfernt zwischen zwei anderen Gefährten, die ich nun im Scheinwerferlicht auf dem Hof erkennen konnte.

Ich wartete in geduckter Haltung, während sich die Autotür öffnete und eine junge Menschenfrau ausstieg.

„Jimmy, ich lege jetzt auf. Lass dir deine Sachen von Rosie geben", der Tonfall der Frau war schneidend. Anscheinend hatte Jimmy Mist gebaut. Oder vielleicht wollte sie ihm auch einfach die Sachen nicht geben, von denen da die Rede war.

Ich wartete darauf, dass Jimmy ebenfalls aus dem Auto stieg oder wenigstens kontra gab, aber stattdessen sprach nach einiger Zeit wieder die Frau, die sich jetzt schnellen Schrittes auf mich zu bewegte.

„Nein, es geht dich nichts an, wo ich gerade bin ... Lass mich einfach ...", in diesem Moment musste sie mich im Schatten stehend wahrgenommen haben, denn sie unterbrach sich in dem Gespräch, an dem nur sie teilzunehmen schien.

Die Fremde starrte mich einen Moment mit ihren dunkel geschminkten Augen an, bevor sie den Blick senkte und sich anschickte, an mir vorbeizugehen.

In einer fließenden Bewegung trat ich vor sie. Die Augen erschrocken geweitet hob sie den Blick und strauchelte. Ob ihr Stolpern allerdings von mir oder von ihren gut handbreiten Absätzen verursacht wurde, war schwer zu beurteilen.

SeidenweltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt