Kapitel 33: Wo ein Wille ist, ist nicht immer ein Weg

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Trotz meines Eingeständnisses gegenüber Lume verbrachte ich den Rest unserer Wanderung durch den Hexeneschenwald damit, von einer Rettung der gefangenen Menschen zu träumen.

Ich stellte mir vor, dass ich mächtiger war oder besser vorbereitet. Spann Fantasien zusammen, in denen ich mit einem Trupp menschlicher Ritter durch das Portal ritt und den verfluchten Wald in Schutt und Asche legte.

Meine Hirngespinste waren das Einzige, was den immer wiederkehrenden Anblick blutbesudelter Baumstämme erträglich machte.

Obwohl ich meinen Blick starr auf den Boden gerichtet hielt, nahm ich jedes Detail um uns aus dem Augenwinkel wahr.

Ich sah die winzigen Kerben, die Fingernägel bereits in die Rinde eines Baumes gerissen hatten.

Ich bemerkte, wie sehr die dunkle Farbe eines stark bearbeiteten Baumstamms der Farbe von Zachlans Bürotür ähnelte.

Und ich erkannte, dass sich die Beschaffenheit des Holzes an den blutbespritzten Stellen verändert hatte, dass es fester wirkte, glatter und glänzender.

Als sich der Wald vor uns endlich lichtete, ließ Madrien den Hügel vor uns golden erstrahlen. Ihrem Stand nach hatte der Marsch kaum eine halbe Stunde gedauert, hatte er sich auch angefühlt, wie viele Stunden.

Da das Gras auf dieser Seite des Waldes, von wenigen stacheligen Auswüchsen abgesehen, ungefährlich schien, ließ ich die Beine des Irrlichts los. Das Wesen glitt von meinem Rücken.

Erschöpft sank ich auf die Knie und sog Luft in meine Lunge, die frei war von dem metallischen Geruch, der den Wald erfüllt hatte.

„Nun, hier ist unser seidener Weggefährte schon mal nicht."

Das Irrlicht wandte demonstrativ den Kopf von links nach rechts.

Es hatte vor wenigen Atemzügen darüber spekuliert, wo Nathanel wohl auf uns warten würde. Dass ich auf seine Überlegungen ebenso wenig eingegangen war wie auf die Anekdoten, die es mir zuvor erzählt hatte, schien es nicht zu bekümmern.

Ich blickte den schmalen Streifen kniehohen Grases entlang, der zwischen den Bäumen und dem Hügel vor uns lag. Von Nathanel fehlte tatsächlich jede Spur.

Obwohl seine Abwesenheit mich freier atmen ließ, war es beunruhigend, nicht zu wissen, wo sich der Seidene aufhielt.

„Er hat gesagt, er geht zum Portal, da wird er schon irgendwo in der Nähe sein", erklärte ich Lume und auch mir selbst sein Fehlen, während ich mich langsam aus meiner knienden Haltung erhob.

Meine Glieder straften mich mit stechenden Schmerzen für den straffen Marsch, den ich ihnen aufgezwungen hatte, um keinen Wimpernschlag länger als nötig im Wald verweilen zu müssen.

„Es wäre auch möglich, dass er den hiesigen Seidenen einen Besuch abstattet", sagte das Irrlicht und wandte sich den Häusern zu, deren Dächer hinter dem Hügel aufragten.

Glücklicherweise konnte ich mir ziemlich sicher sein, dass Nathanel nichts dergleichen tat, schließlich verstieß jeder Schritt, der Adelias Heilung verzögerte gegen unseren Seidenhandel.

„Oder nicht?", Lumes freundliche Stimme klang betont beiläufig.

„Wenn du natürlich unbesorgt bist... Du kennst ihn ja jetzt schon eine Weile, oder? Und ihr werdet ja vermutlich auch einen Seidenhandel geschlossen haben, der ihn daran hindert, einfach abzuhauen...", fuhr es fort, als ich nicht antwortete.

Ich ließ meine Schultern kreisen. Mit leisem Knacken quittierten sie die Bewegung. Als sich meine Gelenke nicht mehr anfühlten wie unbewegliche Klumpen, nutzte ich sie, um Lume mit einem Schulterzucken zu antworten.

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