Kapitel 38: Reisende sollten sich nicht aufhalten lassen

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Evelyn stellte zwei Tassen voll erdig riechendem, braunen Gebräu auf dem Couchtisch vor Nathanel und mir ab.

„Ihr seht aus, als könntet ihr beide eine Mütze voll Schlaf gebrauchen, also hier das Nächstbeste."

Der Seidene zu meiner Linken reagierte mit einem scharfen Einatmen auf die Unterstellung, er würde müde aussehen. Doch das Geräusch ging in dem Surren der Maschine, die gerade ein weiteres braunes Getränk herstellte, unter.

„Milch, Zucker?", fragte Evelyn.

Ich nickte, weil mir das wie die richtige Antwort erschien. Nathanel folgte meinem Beispiel.

Unsere Gastgeberin stellte eine kleine Schale kristallinen Süßstoffs und einen Milchkarton auf den Tisch, bevor sie sich wieder in ihren Sessel plumpsen ließ.

Ich hatte schon ewig keine Kuhmilch mehr getrunken. Gierig streckte ich die Hand danach aus, aber Nathanel war schneller.

Nach kurzem Friemeln mit dem Verschluss des Kartons, füllte er seine Tasse bis zum Rand mit Milch, bevor er sie weiterreichte. Nachdem auch meine Tasse mit Milch und ein wenig Zucker gefüllt war, hob ich sie an den Mund und tat so, als würde ich nippen. Erst als Evelyn bereits ihren gesamten „Fairtrade-Bio-Kaffee" getrunken hatte und ihre Tasse in die Spüle räumte, fiel Nathanel auf, dass ich nicht von dem Getränk gekostet hatte.

„Es ist ein bisschen bitter, aber nicht schlecht", flüsterte er, als wäre seine fast leere Tasse dafür nicht Beweis genug.

„Noch nicht bitter genug", murmelte ich zurück, während meine Finger mit der Kette um meinen Hals spielten. Erkenntnis weitete seine Augen, als er den Anhänger mit dem Johanniskraut daran erkannte. Er sprang auf und verstellte Evelyn die Sicht auf mich, indem er vor sie trat.

„Darf Raven ein bisschen hier rumhüpfen?"

Ich nutzte die Gelegenheit, um endlich ein wenig Kraut auf meinen Kaffee zu schütten.

Es war bescheuert, eine menschliche Speise zu würzen, wenn man sich überlegte, wofür es eigentlich da war. Aber das interessierte Zachlans Befehl, alle Speisen damit zu würzen, natürlich nicht.

Als ich mit dem tatsächlich nicht schlechten Kaffee fertig war, hatte sich die Meinungsverschiedenheit zwischen Evelyn und Nathanel, die mit einem Kommentar zu Ravens Namen begonnen hatte, zu einem Streit ausgeweitet.

„Vielleicht sollte ich meine Katze ‚Katze' nennen. Oh ‚Katze', komm doch mal her!", keifte Evelyn sichtlich erregt und hielt sich eine Hand ans Ohr.

„Hm, darauf hört er nicht, vielleicht Kater?"

„Weißt du wie man dich nennen sollte?", blaffte der Seidene zurück, von dessen Beherrschung auch nicht mehr viel übrig war.

„Nein, aber dich sollte man einen unhöflichen Bastard nennen, warum hast du eigentlich immer noch deine Kapuze auf?"

Als ihre Hand auf Nathanels Kopf zuschoss, entschloss ich mich, einer gewissen Belustigung zum Trotz, einzugreifen.

„Jetzt, wo wir mit unserer flüssigen Mütze Schlaf fertig sind...", begann ich.

Evelyns Kopf schwang zu mir herüber.

Ihre Mimik änderte sich schlagartig.

„Wir können sofort los!", erklärte sie mit einem Strahlen und marschierte ohne einen weiteren Blick zu Nathanel zu der Tür, hinter der sie Felix eingesperrt hatte.

„Aber erstmal bekommt ihr etwas Unauffälligeres zum Anziehen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir wäre es lieb, nicht alle paar Meter mit den Stars des World Wide Web fotografiert zu werden."

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