Alatar

90 0 1
                                    

Keuchend kam der alte Mann zu sich. Kälte und Schmerz breiteten sich in ihm aus. » Wo bin ich...?«, stammelte er in die Dunkelheit hinein. Lediglich ein kleiner Lichtschein des Mondes fiel durch das vergitterte Fenster in die Zelle, in der sich Alatar der Blaue befand. Sein Kopf dröhnte von dem Schlag, den er auf der Dagorlad abbekommen hatte.
Die Prinzessin...hat sie es geschafft zu entkommen?, dachte der alte Mann und versuchte sich aufzusetzen. Sein ganzer Körper schmerzte. Seit Tagen hielt man ihn hier unten fest und nur wenn ihm Essen gebracht wurde, sah er einen anderen Menschen. Alatar konnte sich noch gut an den Verlauf des Kampfes auf der Ebene erinnern, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ihn jemand mit einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf zu Fall brachte. Danach wurde es dunkel um ihn, bis er in dieser schummrigen Zelle wieder zu sich kam. Bislang wurde er nicht verhört. Allerdings hatte man ihn wohl durchsucht. Dies stellte Alatar der Blaue fest, als er in die eingenähte Innentasche seines zerzausten und verdreckten blauen Mantels griff und ein für ihn sehr wichtiges Dokument fehlte. Er zermarterte sich Tag und Nacht den Kopf über das Schicksal seiner Begleiter. Ob die rhûnischen Diplomaten noch am Leben waren? Die Soldaten waren es wohl kaum noch, außer sie hatten sich ergeben. Nicht gerade ungewöhnlich für die Ostlinge, zumal die Waldläufer wohl zahlenmäßig deutlich überlegen gewesen sein mussten. Doch am meisten dachte Alatar über den Verbleib seiner Prinzessin nach. Das damit verbundene Scheitern einer sehr wichtigen Mission war für ihn zweitrangig, es ging ihm vor allem um Shayles Wohlbefinden.
Krachend öffnete sich die Zellentür und riss den Zauberer aus seinem unruhigen Schlaf. Es traten drei groß gewachsene Männer in den Raum, deren Gesichter durch die Kapuzen ihrer Mäntel verborgen blieben. Einer der Männer hatte einen kleinen Krug und eine Schüssel in den Händen und stellte sie auf ein Zeichen des Hauptmanns vor Alatar auf den Boden. »Esst. Wir wollen doch nicht, dass Ihr uns verhungert oder austrocknet, bevor wir Euch verhört haben.« Doch Alatar rührte sich nicht.
Der Hauptmann ergriff erneut das Wort. »Wer seid Ihr und was führt Euch und Eure Begleiter über die Dagorlad? Sprecht rasch.« Der alte Mann hob seinen Kopf und blickte in Richtung des Hauptmanns. » Ihr habt kein Recht mich und meine Begleiter festzuhalten.«
» Oh doch, ich habe jedes Recht dazu«, entgegnete der Hauptmann und strich seine Kapuze aus dem Gesicht. Ein junger Mann kam darunter zum Vorschein mit dünnem braunen Bart und zerzausten Haaren, die ihm knapp bis zur Schulter hingen. Alatar erkannte den Hauptmann sofort. »Ich hatte schon vermutet, dass Ihr persönlich kommen würdet, Herr von Ithilien. Ich kannte Euern Großvater und dessen Vater vor ihm. Ein altehrwürdiger Familienname begleitet Euch, Elboron«, flüsterte der Blaue Zauberer und hustete dabei stark.
» Ihr seid ein elendiger Narr, wenn Ihr meint, mich mit der Kenntnis meines Namens davon überzeugen zu können, dass Ihr friedlich und als Freund meiner Familie die Grenzen meines Reiches überquert habt. Ich frage Euch deshalb noch ein Mal: Wer seid ihr und was führt Euch nach Gondor?«
Alatar richtete sich im Sitzen auf, um besser sprechen zu können. »Ich muss mit dem König sprechen. Umgehend.« Das Sprechen fiel dem alten Mann sichtlich schwer und er griff schließlich bereitwillig zu dem Kelch, der ihm gereicht worden war und leerte ihn in einem Zug.
» Ihr habt wohl den Verstand verloren. Ich werde Euch nicht nach Minas Tirith schicken. Ihr habt die Grenzen MEINES Reiches verletzt und somit unterliegt ihr meinen fürstlichen Gesetzen. Erzählt mir von euren Absichten oder sterbt«, antwortete Elboron.
» Ihr seid ein entschlossener Mann, mein Fürst. Ihr habt mir ein wichtiges Dokument gestohlen, auf dem Ihr die Antwort auf Eure Frage vermutlich bereits gefunden habt. Ich muss weiterreisen. Solltet Ihr euch weigern mich gehen zu lassen, wird das König Elessar sehr verärgern.« Der Hauptmann blickte Alatar finster an, befahl, ihm den Teller und den Kelch weg zu nehmen und ging in Richtung Kerkertür. » Sprecht am besten alle Gebete, die Ihr kennt, alter Narr. Bei Sonnenaufgang werde ich über Euch richten und solltet ihr Eure wahren Absichten nicht gestehen, werdet Ihr öffentlich gehängt.« Mit diesen Worten schlug Fürst Elboron die Kerkertür zu und Alatar der Blaue blieb in der feuchten Dunkelheit seiner Zelle zurück...

Der Neue Schatten- Eine Herr der Ringe StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt