Der Kies knirschte unter den Reifen, als Cole Whitethrone sein Auto zum Stehen brachte. Da war er. Nach acht Jahren wieder zurück auf der Ranch. Nichts hatte sich hier verändert. Vor ihm befand sich das Haupthaus. Das riesige Holzhaus, in dem er aufgewachsen war, stand auf einem massiven Steinsockel. Die Fassade war in den letzten Jahren neu gestrichen worden, denn sie strahlte in einem warmen Braun. Die Dachschindeln waren etwas heller als die Klappläden der Fenster. Cole stieg aus und ließ seinen Blick über die gepflegte Einfahrt gleiten. Weiter hinten war der Stall zu sehen und auf der angrenzenden Weide erblickte er ein paar Pferde. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal im Sattel gesessen hatte?
Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Haupthaus. Entschlossen schritt er darauf zu. Die massive Eingangstür war offen, wie immer tagsüber. Nichts hatte sich verändert. Der Eingangsbereich sah genau so aus, wie er ihn in Erinnerung hatte. An den Garderobenhaken hing ein verbeulter Hut, ebenso wie Walkers dunkle Reitjacke. Er ging weiter, registrierte die frischen Blumen auf dem kleinen Beistelltisch und warf einen schnellen Blick in den darüber hängenden Spiegel. Konnte er seiner Mutter nach der langen Autofahrt so gegenübertreten? Die lange Fahrt war nicht ohne Spuren an ihm vorübergegangen und seine blauen Augen sahen müde aus. Zumindest der Maßanzug eines New Yorker Designers saß wie angegossen. Das hellblaue Hemd hatte er am Hals offen stehen lassen, wie er es immer trug, wenn er keine offiziellen Termine hatte. Das braune Haar war etwas zu lang, aber es gefiel ihm so. Würde er den Ansprüchen seiner Mutter genügen? Er wusste, wie viel Wert sie auf Äußerlichkeiten legte.
„Cole?", hörte er die vertraute Stimme seiner Mutter. „Cole, bist du das?"
Ehe er antworten konnte, erschien Abigail Whitethrone auf der Treppe. Sie blieb stehen und sah ihn eine ganze Zeit lang stumm an. Dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht und sie beeilte sich, ihm entgegenzugehen.
„Cole, endlich bist du zurück."
Cole lächelte und schloss sie in seine Arme. Er überragte sie um etliche Zentimeter. Ein vertrauter Geruch nach Wärme und Geborgenheit, Lavendel und Heu stieg ihm in die Nase und rief Kindheitserinnerungen wach. Vorsichtig schob er sie ein wenig von sich, um sie in Ruhe ansehen zu können. Die Zeit war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Die Haut war faltiger, die Schläfen leicht ergraut. Dennoch trug sie, wie früher, kunstvoll die Haare hochgesteckt. Sie löste sich von ihm und winkte ihn mit einer charakteristischen, grazilen Bewegung ins offizielle Wohnzimmer. Seine Mutter, die unangefochtene Königin von Quebec, was Stil und selbstauferlegte Etikette betraf. Ungeachtet der Tatsache, dass sie sich auf einer Ranch befanden, trug sie ein knielanges, schlichtes Kostüm in Dunkelblau und Pumps.
„Wo bleiben Walker und Laura?" Suchend sah sie sich um und wartete ungeduldig an der Tür, bis Cole den Wohnraum betrat.
„Setz dich!", forderte sie ihn auf. Erwartungsvoll zog sie ihn zu einem Sessel und nahm ihm gegenüber auf dem Sofa Platz. „Erzähl! Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen? Ich bin ja so froh, dass du endlich zurück bist. Es ist wundervoll, dass du mit ins Familienunternehmen einsteigen wirst."
Jetzt fiel ihm wieder ein, warum er nur Walker von seiner Rückkehr erzählt hatte und es ihm überlassen hatte, die restliche Familie inklusive seiner Mutter darüber zu informieren. Sie nervte ihn schon jetzt. Vermutlich hatte sein jüngster Bruder Jeffery alles richtig gemacht, indem er die Schule abgebrochen hatte und verschwunden war. Seit Jahren hatten sie keinen Kontakt zu ihm, wussten nicht, wo er lebte.
Abigail schniefte. „Dein Vater wäre so glücklich, könnte er diesen Tag miterleben."
„Mutter."
Sie winkte ab. „Er wäre überaus stolz auf dich."
Das bezweifelte Cole, sagte aber nichts dazu. Sein älterer Bruder war immer der Stolz von Tate Whitethrone gewesen. Egal was Walker tat, der Vater war begeistert gewesen. Ebenso bei Jeffery, der das Nesthäkchen der Familie war. Derjenige, der sich alles herausnehmen konnte und grundsätzlich aus der Reihe tanzte. Und er, Cole? Er hatte nie richtig dazugehört. Das war der Hauptgrund, warum er nach dem Studium so schnell fortgewollt hatte. Er hatte damals das Gefühl gehabt, in Quebec nicht genug Luft zu bekommen. Die Millionenstadt Montreal war zu nahe an der Ranch und so hatte es ihn zuerst nach London und dann nach New York verschlagen. Warum er überhaupt zurückgekommen war? Der Grund dafür trat in diesem Moment durch die Tür.
„Unfassbar, du bist tatsächlich zurück", begrüßte Walker ihn lachend, zog ihn in eine feste Umarmung und schlug ihm auf den Rücken.
„Du meintest, du könntest Unterstützung gebrauchen."
Walker lachte noch immer, als er einen Schritt zurücktrat und Cole von oben bis unten musterte.
„Das tue ich. Wer ist besser dafür geeignet, das Unternehmen international fit zu machen, als einer, der in Europa und den Staaten gearbeitet hat." Die unverhohlene Anerkennung seines Bruders ließ ihn um ein paar Zentimeter wachsen. Er freute sich auf die Zusammenarbeit mit ihm. Walker war schon immer derjenige gewesen, der die Familie zusammenbehalten hatte. Über all die Jahre hatten sie stets Kontakt gehalten und Cole müsste lügen, wenn er behauptete, er wäre derjenige gewesen, der regelmäßig zum Telefon gegriffen hätte.
„Ich hoffe, du setzt nicht zu große Erwartungen in mich." Etwas unwohl war ihm schon bei der Sache. Er wusste, worauf es ankam, hatte in riesigen Konzernen gearbeitet, die weltweit exportierten. Dennoch hatte er noch nie einen internationalen Vertrieb auf die Beine gestellt und auch, wenn er sich auf die Herausforderungen freute, hoffte er inständig, die Familie nicht zu enttäuschen.
„Das tue ich, aber die wirst du erfüllen", entgegnete Walker überzeugt.
Eine Bewegung an der Tür veranlasste Cole, seine Aufmerksamkeit dorthin zu lenken. Für einen Augenblick erstarrte er und hoffte, dass niemand seine Betroffenheit bemerkt hatte. Die blasse Frau, die in der Tür stand, hätte er auf der Straße nicht wiedererkannt. Laura, die Frau von Walker, war schon immer eine schlanke Frau gewesen, doch sie hatte seit ihrer letzten Begegnung noch einmal ordentlich abgenommen. In der langen Palazzo-Hose und der viel zu weiten Bluse wirkte sie regelrecht dürr.
„Laura", begrüßte er seine Schwägerin und gab ihr die Hand.
Ihre Wangenknochen zeichneten sich deutlich in dem abgemagerten Gesicht ab. Sie lächelte, doch es vertrieb die dunklen Schatten in ihren Augen nicht.
Walker trat an ihre Seite und legte seiner Frau einen Arm um die Schulter. Laura zuckte zusammen und wand sich unbehaglich in der Umarmung, bis er sie losließ.
„Vermutlich möchtest du zuerst auspacken und dich umziehen, bevor es Abendessen gibt", sprach seine Mutter Cole an.
Der nickte. „Das übliche Zimmer?"
„Selbstverständlich."
„Dann hole ich mein Gepäck." Mit einem entschuldigenden Kopfnicken in Richtung Walker und Laura machte er auf dem Absatz kehrt, um seine Koffer zu holen.
DU LIEST GERADE
A Touch of Royalty - Eine Nacht in deinen Armen
RomantizmNie hat Becky diese eine wunderbare Ballnacht vergessen, in der sie sich Cole Whitethrone hingegeben hat. Wie könnte sie auch, denn es sind seine Augen, die sie anblicken, wenn sie ihren Sohn ansieht. Als Cole aus den Staaten zurück nach Kanada komm...