Kapitel 9 || Geohrfeigt

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In der folgenden Nacht kann ich nicht schlafen.

Charles hat sich in der Kälte einen Schnupfen eingefangen und schaut schon seit nachmittags, als ich nach Hause gekommen bin, Cartoons. Die Geräusche dringen nur halb gedämpft durch die dünnen Wände in der Wohnung. Ich kuschle meine Wange in eine Ecke der Decke und suche einen Ausweg aus meinen Gedanken, aus meinen Gefühlen, aus meinem Leben. Alles verwirrt mich so sehr. Was genau empfinde ich für Nick? Kann das gut gehen? Und was ist mit Philip? Habe ich wirklich nur zugesagt, weil ich meinen besten Freund nicht verlieren will? Oder ist es etwas anderes?

Ein Schauder läuft mir über den Rücken, als es plötzlich donnert. Keine zwei Sekunden später prasselt der Regen an mein Fenster, rüttelt mich wach und verbietet mir, zur Ruhe zu kommen. Ich verfolge ihren Lauf eine Weile lang, sehe zu, wie sie um die Wette nach unten rollen, sich zusammentun und ein stärkerer Strom werden, bis plötzlich Charles in meinem Türrahmen erscheint. Sie hat eine leicht gerötete Nase und schimmernde, große Augen, und ich weiß sofort, dass sie geweint hat.

"Kann ich zu dir?", flüstert sie mit erstickter Stimme und ich breite die Arme aus, damit sie sich zu mir kuscheln kann. Flink wie ein Eichkätzchen klettert sie zu mir ins Bett und schmiegt sich an meinen Körper. Ihr Atem geht schnell, und durch ihren dünnen Schlafanzug kann ich ihr Herz schlagen hören. Als der nächste Donner über uns hereinbricht und ein Blitz den Himmel wie mit tausend Sternen zum Strahlen bringt, klammern sich Charlottes Arme um meinen Rücken. Ich spüre, wie sie die Hände um mein T-Shirt zu Fäusten ballt. "Ich hab Angst." Fast kann ich sie nicht hören, so leise klingt ihre hohe Stimme. Ich drücke sie fester an mich, wiege vor und zurück, drücke ihr Küsse in die Haare. "Ich auch, Schatz. Aber es wird alles gut."

"Ganz sicher?", fragt sie zurück. Ihr Brustkorb bebt von der Furcht, die ihr im Herzen sitzen muss. Fast muss ich lächeln, als ich an mich selber in ihrem Alter denke, ebenso verschreckt wie sie. "Ganz sicher. Und wenn nicht, dann hast du nicht genug gewartet."

x. X. x. X. x. X. x.

Gerade als ich Charlotte in ihr eigenes Bett getragen und mich dann selbst wieder hingelegt habe, um wenigstens ein bisschen Ruhe zu finden, vibriert mein Handy auf dem Nachtkästchen. Etwas mürrisch öffne ich die Augen und tappe umher, bis ich das Teil gefunden habe, und sehe auf den Bildschirm. Anruf von '+171358....', keine Ahnung, wer das sein soll.

Einen Moment schwebt mein Daumen über dem roten Hörer. Aber dann entschließe ich mich dazu, abzuheben. Kann ja was von der Arbeit aus sein.

Das glaubst du ja wohl selber nicht...

"Angelina Jones?", sage ich mit leicht kratziger Stimme und räuspere mich möglichst unauffällig.

"Deine Stimme klingt auch am Telefon ziemlich sexy, Lina..."

Sofort stellen sich bei mir sämtliche Haare auf den Armen auf. Ich verdrehe die Augen und grummle etwas Unverständliches in mein Kissen, dann antworte ich Phil: "Du hast echt den Anstand, mich um drei Uhr morgens anzurufen? Geht’s noch?!"

"Hey, ganz ruhig, Prinzessin. Ich wollte nur sichergehen, ob unsere Abmachung noch gilt." 

Seine Frage bleibt in der Luft hängen, ohne richtigen Abschluss, ohne die Intonation einer Frage, aber trotzdem weiß ich, dass er es ernst meint. Das ist sie, meine Chance, meine letzte Gelegenheit, um nein zu sagen. Und vielleicht meinen Freund zu verlieren.

Eine kleine Pause entsteht. Ich räuspere mich erneut.

"… Ja. Ja, steht."

Phils Lachen klingt amüsiert und zufrieden. Aber noch etwas anderes, etwas, das ich nicht begreifen kann, schwingt darin mit. Ich runzle die Stirn, reibe über den Sattelpunkt meiner Nase und überlege.

"Also, warum rufst du wirklich an? Was gibt’s?"

Ich bin misstrauisch, und das lasse ich ihn spüren. Er mag mir diese Entscheidung aufgedrängt haben, aber dafür kann er mir nicht vorschreiben, inwiefern ich seine Konditionen zu erfüllen habe. Zumindest zynisch darf ich bleiben.

"Schade, ich dachte, du wirst dich zumindest ein bisschen darüber freuen..." Für einen Moment lang habe ich das Gefühl, dass ich ihn aus dem Konzept gebracht habe, aber er fängt sich.

"Dienstagabend, 19 Uhr 30, ich lasse dich abholen. Zieh dir was... Schickes an." Sein Zögern verwirrt mich.

"Was genau meinst du? Wohin gehen wir?", will ich wissen. Meine Laune sinkt auf den Nullpunkt, als ich mir vorstelle, an welchen Ort er mich mitnehmen will. Der Umstand, dass er sich nicht einmal selbst die Mühe macht, mich abzuholen, gibt mir ein Gefühl der Machtlosigkeit. Als wäre ich bloß sein Spielzeug.

"Das verrate ich dir später. Oder auch nicht. Ich überleg's mir. Schlaf schön, Prinzessin."

Als er auflegt, brennt der Kosename sich hinter meinem Ohr ein, langsam und schmerzhaft wie der Nachhall einer Ohrfeige.

x. X. x. X. x. X. x.

Hallo, meine Lieben! :)

 

Erst einmal: Danke für unglaubliche 777 Reads!! Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann mal über 500 schaffe! :D

Hier mal wieder ein kurzes Update. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, hab ich in letzter Zeit nicht mehr viel geschrieben, mir ist schlichtweg nichts eingefallen bzw. meine Ideen haben sich schwer in Worte fassen lassen.

 

Es freut mich, wenn ihr immer noch dranbleibt, ich arbeite da an etwas :)

 

-metacarpal

The Escort Girl || ReactivatedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt