Kapitel 11 || Nicht zum letzten Mal

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Während des gesamten Hauptganges und auch des Desserts blieben ihre geschwungenen Lippen, die im gedämpften Licht des Restaurants verführerisch dunkelrot schimmerten, verschlossen. Nur das Essen, das sie in kleinen, mundgerechten Stücken zu sich nahm, durfte die unsichtbare Barriere überschreiten, die jegliche Worte im Zaum hielten. Er warf ihr unter seinem angeregten, aber immer noch leise gehaltenen Gespräch immer wieder fragende Blicke von der Seite zu, die sie gut zu übersehen wusste. Ihre jadegrünen Augen hafteten an dem Porzellanteller, ebenso funkelnd, aber stählern wie das Besteck in ihren Händen. Sein Mund wurde trocken bei dem Gedanken an all die Dinge, die diese Hände wohl schon vollbracht hatten und in naher Zukunft hoffentlich noch vollbringen würden.

Ein hartes Scheppern rief ihm in Erinnerung, warum er heute Abend eigentlich hier war. Mit einem entschuldigenden Lächeln beugte er sich hinab, um sein Messer aufzuheben, das ihn vorwurfsvoll anzustarren schien. Gerade als sein Gesicht jenseits des Tischtuches verschwunden war, schlug sie ihre Beine in einer einzigen geschmeidigen Bewegung übereinander, mit dem Effekt, dass seine Kinnlade einige Stockwerke tiefer fuhr. Er bemühte sich, seine Fantasien unter Kontrolle zu halten, aber seine Finger suchten vergeblich nach ihrem Ziel, weil er immer noch wie paralysiert ihre schlanken Beine anstarrte, die genau den verführerischen Ansatz von Muskulatur zeigten, der fest und schön aussah statt gedrungen und plump.

„Entschuldigung, suchst du etwas?", fragte plötzlich ihre Stimme von oben. Hätte er sie nicht schon so lange heimlich beobachtet, wäre ihm die Schärfe in ihrem Ton wohl nicht aufgefallen, die sie so sehr zu unterdrücken versuchte, aber sie war da, unmissverständlich und forsch. Schnell griff er nach seinem Besteck und tauchte wieder nach oben. Die Wärme des Kerzenlichts trieb ihm leicht die Röte ins Gesicht, aber nicht so sehr wie sämtliche Blicke des Tisches, die sich ihm zugewandt hatte. Er ignorierte die amüsierten Blickaustausche zwischen dem älteren Ehepaar neben sich, denn längst hatten sich seine hellgrünen Augen in die ihren gebohrt. Ein Hauch der Farbe des roséfarbenen Champagners, den sie so gerne trank, fiel ihm auf ihren Wangen auf, unschuldig, süß. Er spürte, wie sie sich auf dem Stuhl bewegte, die Kühnheit ihrer Worte wie weggeblasen.

Sie wusste es ebenso genau wie er.

Er richtete sich auf, die Intensität des Moments noch genauso heftig in den Knochen, als hätte man ihm das Himmelszelt auf die Schultern geladen. Seine Hände fanden die Tischkante, das Messer landete vergessen irgendwo neben der Serviette. Als er sich langsam setzte, huschten ihre Augen zu seinen schlanken Fingern, die sich in Richtung ihres Knies bewegten. Ihr schlagendes Herz kämpfte mutig gegen das seltsame Gefühl an, das sich langsam bis in ihre Brust ausbreitete, fast zu warm, oder doch kühl?

Die nächste Sekunde schien eine Ewigkeit zu dauern. Ihre Haut prickelte dort, wo sie die seine berührte, zärtlich wie ein Kuss. Ihre Lider flatterten, berauscht von der Süße seines Dufts, der plötzlich überall war, in ihrer Nase, in ihrem Mund, in ihrem Kopf. Er schmeckte herrlich. Ein Mann unter vielen, der Diamant aus all den Kieselsteinen, die sie in ihren Händen hin und her gedreht und gewendet hatte. Ecken und Kanten, doch seine Rauheit fühlte sich prickelnd und glühend unter ihren Fingerspitzen an, sein Glanz betörte ihre Sinne und raubte ihr schier den Verstand.

Er wusste es ebenso genau wie sie.

Aus einem Finger wurde ein zweiter, ein dritter, vierter, bis seine gesamte Hand ihr Knie liebkoste. Er sah, mit wieviel Anstrengung sie es unterdrückte, wie sie schluckte und versuchte, es in sich verschwinden zu lassen, aber plötzlich lag ihre Hand auf seiner, nicht länger vorsichtig. Drängend schloss sie sich um sein Handgelenk, und als er den Blick von ihrem Bein hob, sah er, wie sehr sie nach ihm verlangte. Die Gier trieb ihr die Schwärze in die Augen und plötzlich waren sie nicht länger grün und klar, sondern dunkel und verwegen.

The Escort Girl || ReactivatedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt