Intuition (TEIL II)

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DANIELS POV


Es passierte alles so schnell. Bevor ich Jons Kabinett im Badezimmer öffnen konnte, hörte ich Geschreie unten. Vergessen waren die benutzten Klingen. Mein Herz raste als ich die Treppen hinunterlief. Nur aus meinem Augenwinkel konnte ich erkennen wie die Haustür ins Schloss fiel, denn im selben Moment ist Nathan zusammengebrochen. Seine Augen rollten nach hinten und auf einmal sackte er in sich zusammen. Niemals würde ich dieses Bild vor mir vergessen.

Geschockt stand ich da und konnte mich nicht vom Fleck bewegen. Mein Hals war staubtrocken und mein ganzer Körper fing an zu zittern.

„Oh Gott, oh Gott, oh Gott", wiederholte ich geschockt. Nach gefühlten Ewigkeiten konnte ich endlich wieder meinen Körper kontrollieren und ich stürzte mich zu meinem Freund. Panisch ließ ich mich neben ihn auf meine Knie fallen und rüttelte ihn sachte an seinen Schultern. Ich wusste nicht wie ich reagieren, geschweige denn machen sollte.

Glücklicherweise kam er wieder zu sich, bevor ich den Notruf wählen konnte. Benebelt richtete er sich neben mir auf und rieb sich seinen Kopf. Er beantwortete keine meiner Fragen, wie es ihm ginge und wer an der Tür gestanden ist. Er schien selber verwirrt darüber, was genau gerade eben passiert ist.

„War Jon an der Tür?", fragte ich ihn und tastete seinen geschwollenen Hinterkopf ab.

Bei dem Namen seines Bruders zuckte er zusammen und schien aus seiner Trance herauszukommen. Dann kamen die Emotionen, auf die ich nicht vorbereitet war. Auf die man sich kaum vorbereiten konnte.

Er ließ seinen Kopf hängen und fuhr sich mit beiden Händen durch seine chaotischen Haare. Dicke Tränen tropften auf seine Jeans.

„Er ist tot", flüsterte er gebrochen.

Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Erst vorgestern haben wir die Nachricht bekommen, dass Jon wieder in einem einigermaßen stabilen Zustand sei und halbwegs ansprechbar war. Auch wenn Nathan es niemals zugeben würde, er war erleichtert. Es kam aus dem Nichts, dass sich sein Zustand anscheinend so sehr verschlechtert hat und er... tot war.

„Er ist tot", wiederholte er und erschöpft legte er seinen Kopf auf meine Schulter ab.

„Ich kann es nicht glauben", schluchzte er und auch mir kamen die Tränen hoch.

Ich legte meine Arme um Nathan und zog ihn so fest wie möglich an mich. Mein Zeitgefühl verließ mich und ich fokussierte mich darauf, dass ich wenigstens ein kleines Stück von Nathans Trauer abnehmen konnte. Schließlich war geteiltes Leid nur halbes Leid, aber leider war das nur einfach gesagt.

Er hat seine Familie verloren und ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich das anfühlen musste. Vor allem in seinem Fall, da er wirklich viele gute, aber auch höllische Erinnerungen mit ihnen verknüpfte. Es war schwer zu begreifen, dass nun auch Jon von ihm gegangen ist.

Ich kannte Jon schon ungefähr genauso lange wie Nathan. Er war wie ein großer Bruder, den ich nie hatte. Wenn unsere Eltern mal keine Zeit oder Lust hatten, mit uns auf dem Spielplatz zu gehen oder zum Kiosk zu gehen, war es immer er, der uns ohne zu zögern begleiten hat. Mit ihm hatten wir auch unsere ersten Erfahrungen mit Alkohol und Clubs, Gespräche über Pubertät und Gefühle.

Auf ihn konnten wir uns immer zählen bis er sich letztendlich verändert hat. Er hat sich von allen distanziert und schien ein anderer Mensch geworden zu sein. Ich konnte es nicht für möglich halten, aber: beide Jons waren jetzt nun weg. Es gab keine Hoffnung mehr seine Seite zu hören und eventuell alles aufarbeiten zu können.

„Es wird alles gut." Nathan hat sich langsam ein wenig beruhigt und nur sein Schluckauf verriet mir, dass er noch nicht eingenickt war. Der Stressfaktor war zu hoch für seinen zerbrechlichen Zustand.

JonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt