Emulsion

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„Ladies, bewegt eure Ärsche schneller übers Feld. Oder wollt ihr lieber von Bomben in die Luft gesprengt werden?", schrie der Offizier von ganz vorne und verschwand in den dichten Wald.

Die Mannschaft hinter ihm lief keuchend hinterher und erst in der Sicherheit des Schattens blieben die Soldaten stehen und stützten sich erschöpft auf ihre zitternden Oberschenkel ab. Der Schweiß rann jedem über deren überlasteten Muskeln hinab und die kiloschwere Ausrüstung war alles andere als atmungsfähig.

Auch der Offizier kam nun zum Stopp und tadelnd schnalzte er seine Zunge. Mit den Händen auf den Hüften musterte er seine müde Truppe vor sich und merkte sich die individuellen Reaktionen auf die relativ einfache Übung. „Schwach", dachte er sich. Sein Blick glitt hinweg über die noch vielen bestehenden Teilnehmer und bevor er den Lauf missmutig fortsetzen wollte, stockte er für eine Millisekunde und hielt kurz inne.

Ihm fiel ein junger Mann auf, ziemlich groß, aber doch relativ schlank. Er lehnte sich an einen großen Felsen und wie alle anderen auch, schnappte er gierig nach Luft. Auffällig war jedoch, dass er all das nur unterbewusst machte. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein und das so intensiv, dass er die Schmerzen in seinen Beinen und Atemwegen kaum zu merken wusste. Das Zittern seiner Glieder und seine Schnappatmung gingen völlig an ihm vorbei.

„Vielleicht ist die Einheit doch zu einfach", murmelte der Offizier vor sich hin und pfiff die Pause für beendet.

Die Mannschaft um ihn herum stöhnte laut auf und die wenigen Personen, die seine Aussage gehört haben, wichen ängstlich von ihm weg. Niemand würde so etwas als „einfach" sehen.

Er trieb laut klatschend alle vorwärts und wartete, bis alle an ihm vorbeiliefen. Von nun an terrorisierte er alle von hinten und doch blickte er manchmal zu Jon Blue, wessen Namen er später in den Dokumenten wiederfand. Sein Anblick wagte es, Mitleid in ihm auszulösen, auch wenn er mit seiner Kompanie hart und vor allem neutral umgehen musste und schon vieles in seinem Leben gesehen hatte.


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Jon richtete seine Kappe und ließ seine Arme wieder an seine Seite fallen. Er musterte sich im Spiegel und versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal sein Spiegelbild gesehen hatte. Nachdem er alle seine Veränderungen kurz aufnahm, schluckte er den Kloß hinunter und wandte mit zusammengezogenen Augenbrauen sein Blick ab.

Nach all den langen Monaten fiel es ihm immer noch schwer, sich zu ertragen. Jedes Mal sah er in die Augen seiner Mutter, in die Augen seiner Geschwister und in die Züge seines Vaters, auch wenn sie sich mit der Zeit immer mehr verändert haben. Seine Augen haben schon lange den glücklichen Schimmer verloren und seine scharfen Gesichtszüge hoben sich stark gegenüber seiner eingefallenen Haut ab. Schon lange haben sich seine Kameraden an seine tiefen Augenringe gewöhnt, aber Jon wollte nie über seine Albträume reden. Alles was sie wussten, war, dass er familiäre Probleme hatte und sich sein Bruder als ein sensibles Thema darstellte. Nur ungern erinnerten sich seine Zimmergenossen an diverse Diskussionen und Sticheleien, welche in Streit und Schlägereien ausarteten.

Glücklicherweise beruhigte er sich mit der Zeit, jedoch wusste niemand, ob das etwas Gutes oder Schlechtes war – hinter seiner gelassenen und leicht-zu-amüsierenden Fassade, steckte auch immer etwas Dunkles, etwas Trauriges. Er schien jeden Tag gegen seine Albträume und vor allem gegen sich selber zu kämpfen.

Nach drei Jahren füllte er mittlerweile seine Uniform gut aus und seine Muskeln schienen immer weiter zu wachsen. Nun komplett ausgewachsen, ragte er über viele seiner Kameraden und füllte ohne Probleme eine Tür aus. Sein Buzz-Cut brachte seine makellose Gesichtsform noch stärker hervor und seine perfektionierte Haltung schrie nach Konfidenz und Autorität, auch wenn er sich selten stark fühlte.

JonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt