Schicksalsschlag

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JONS POV


Ein leichtes Tippen auf meiner Schulter brachte mich aus meinem tiefen Schlummer heraus, jedoch wollten sich meine schweren Lider nicht öffnen und ich beschloss, einfach weiterzuschlafen. Ich genoss meine friedlichen fünf Sekunden, bis ein aufdringlicheres Rütteln mich nun völlig aus meinem Schlaf riss. Erschrocken richtete ich mich in dem zu harten Stuhl auf und blickte wild um mich. Meine aufgerissenen Augen fanden die der Bibliothekarin, welche mich genervt anschaute.

„Wir schließen in zwei Minuten", tadelte sie und zeigte auf die große Wanduhr gegenüber von mir. 21:58 Uhr.

Widerwillig packte ich meine Sachen ein und richtete mich langsam vom Stuhl auf. Meine Muskeln und Knochen protestierten und seufzend rieb ich mir meinen Rücken.

Bis auf die letzten zwei brennenden Lichter, war es stockdunkel in der Universitätsbibliothek und es schien so, als wäre ich tatsächlich der Letzte hier drinnen.

„Guten Abend, Jon", verabschiedete sich die Bibliothekarin und ich hob meine Hand, bevor ich die schweren Türen aufstieß.

Kalter Wind empfing mich und ich zog meinen Schal enger um mich. Ich setzte mich auf die Stufen und streckte meine Beine vor mir aus. Es war eine wolkenfreie Nacht und ein paar sichtbare Sterne funkelten trotz der hohen Lichtverschmutzung. Einzelne Straßenlaternen tauchten die Stadt in ein warmes Licht und für einen kurzen Augenblick schien die Welt sich vor der alltäglichen Hektik zu erholen.

Ich vergrub meine Nase in meinem Schal und stopfte meine Hände in meine Jackentaschen. Es waren die letzten Minuten, bevor ich nach Hause gehen müsste und ich wollte sie so lange hinauszögern wie ich nur konnte.

War es überhaupt noch ein Zuhause? Sie sind mir alle fremd geworden und ich fühle mich schon lange nicht mehr sicher und wohl. Mittlerweile sah ich Greta, die Bibliothekarin, öfters als alle meine Familienmitglieder zusammen. Früh morgens, bevor alle aufstehen würden, befand ich mich schon auf dem Weg zur Uni. Normalerweise würde ich 20 Minuten mit dem Bus fahren, jedoch lief ich die letzten Wochen den Weg dorthin. Tagsüber war ich an der Uni und arbeitete nachmittags am Kiosk, bevor ich abends schließlich in die Bibliothek ging und dort meine Uniaufgaben erledigen würde. Es kam allerdings auch oft vor, dass ich vor Erschöpfung auch einschlafen würde.

„Wir sind hier kein Hotel, mein Lieber", waren die ersten Worte von Greta. Es war das dritte Mal, dass sie mich beim Schlafen erwischt hatte und es blieb nicht dabei. Wahrscheinlich hat sie etwas geahnt, oder war einfach nur gutherzig, denn sie scheuchte mich in die hinterste Ecke der Bibliothek wo ich großteils ungestört verweilen konnte. Sie war momentan die Einzige, die sich in irgendeiner Hinsicht, um mich kümmerte.

Ich spazierte am Park entlang und trotz der beißenden Kälte, genoss ich die ruhige Atmosphäre. Nicht viel später erkannte ich eine männliche Silhouette, welche auf einer der vielen Bänke saß und auf jemanden zu warten schien. Kurz blieb ich stehen und sammelte meine Gefühle, meine Gedanken. Tief einatmend lief ich auf die Person zu und die nächste Straßenlaterne warf ein fahles Licht auf Olivers Gesicht.

„Hey", murmelte ich und überrascht blickte er hoch. Womöglich hatte er mich nicht kommen hören.

„Hey, Jon. Schön, dass du kommen konntest", meinte er und stand auf.

Ich trat einen Schritt zurück, als er seine Arme um mich legen wollte. Verwirrt zog er seine Augenbrauen zusammen und ließ seine Arme wieder an seine Seite fallen. Still blickte ich ihn an und erst als er auf den Platz neben sich zeigte, setzte ich mich hin. Erneut streckte ich meine Beine vor mir aus und blickte in die leere Parkanlage. Frost hat sich auf die verbleibenden Grashalme gelegt und der kleine Teich schien zugefroren.

JonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt