Ben saß seit mehreren Stunden in seinem Zimmer und sprach kein einziges Wort. Mit niemandem. Er starrte nur aus dem Fenster und beobachtete die fallenden Regentropfen und die ein oder andere Möve, die ihre Kreise über der Nordsee zog. Zwischendruch entdeckte er ein junges Pärchen mit einem kleinen Kind an der Hand. Sie spazierten seelenruhig über den Strand und spielten fröhlich im Sprühregen. Wie er solches Wetter hasste!
Doch dann fiel sein Blick wieder auf das Kind und seine Gedanken schweiften zu der Frage, die Rey ihm gestellt hatte?
Warst du vor deinem Unfall zeugungsfähig?
Er wollte gar nicht daran denken, wie schief das damals alles hätte laufen können. Schnell versuchte Ben sich abzulenken. Er musste seine Vergangenheit einfach sterben lassen, nur so würde er sein neues Leben akzeptieren können.Rey saß währenddessen mit Leia im Wintergarten, schlürfte Kakao und aß Kuchen. Doch ihre Gedanken konnten sich in keiner Weise von Ben lösen. Seine absolut miserabel aussehende Wirbelsäule, ihr Streit, die Art, wie seine wunderschönen braunen Augen sie musterten und seine Antworten. Irgendetwas passte daran nicht. Er hatte alle Fragen beantwortet, depressiv angehaucht, ja, aber bei der letzten Antwort schwang etwas anderes in seiner sonst so ruhigen, tiefen Stimme mit. Er klang erschrocken, ängstlich und irgendwie auch peinlich berührt. Sie musste einen Punkt in ihm getroffen haben, den er sonst allen verschwieg. Doch was das war, wollte Rey beim besten Willen nicht einfallen.
"Was ist passiert?" Leia brach die seltsame Stille zwischen ihnen. "Zwischen dir und meinem Sohn, meine ich. Er war ganz durch den Wind. So habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt."
Rey sah beschämt nach unten. Es war komisch, mit seiner Mutter über ihn zu reden. Außerdem war sie auch irgendwo schuld an seinem Verhalten.
"Rey, ich bin zwar seine Mutter, aber das sollte deine Antwortmöglichkeiten nicht einschränken." Die ältere Dame lächelte Rey freundlich an.
"Wir haben uns gestritten, heute früh schon. Er kann wirklich ein Idiot sein, wenn seine Depressionen mit ihm druchgehen. Aber wir haben uns wieder zusammengerauft und... Ich habe seine Wirbelsäule gesehen. Leia, das ist..." Rey brach ab, da ihr die Worte fehlten, um dieses skurrile Bild zu beschreiben.
"Zusammengeflickt ist eine sehr schöne Beschreibung für das, was ich gesehen habe. Er wird wirklich nur von einem Haufen Schrauben zusammengehalten. Dann habe ich fast vergessen, ihm seine Halskrause wieder umzulegen. Bis dahin war auch alles okay. Ben war richtig gut drauf. Ich war mit meinem Fragebogen nicht einmal fertig, als er plötzlich so komisch wurde", versuchte Rey sich zu erklären.
"Was war denn die letzte Frage, die du ihm gestellt hast?", wollte Leia wissen.
"Ich fragte ihn nach dem Erhalt seiner Manneskraft. Er wusste es nicht. Also fragte ich ihn, wie es vor seinem Unfall aussah. Da wurde er plötzlich so bitter und verschlossen."Zu Reys Überraschung tat sich ein verständnisvoller Blick auf Leias Gesicht auf. Sie schien zu wissen, warum Ben so reagiert hatte.
"Rey, gib ihm Zeit. Drängel ihn zu dieser Frage bitte nicht. Wenn er mit dir darüber reden möchte, dann wird er es von selber tun, wenn nicht, dann nicht. Mach dir aber keine Hoffnung, er hat noch nie mit jemand fremden darüber geredet."
Jetzt war sie erst recht verwirrt. Was war darüber? Was war damals passiert? Vielleicht würde Ben es ihr später erzählen.
"Ich denke, ich sollte mit ihm reden", schlug Rey vor. "Wir müssen so schnell wie möglich an unserem Projekt weiterarbeiten. Wenn alles nach Plan läuft, kann er Ende Januar seinen Kopf von ganz allein bewegen und muss nicht mehr diese scheußliche Halskrause tragen."
Leia nickte zustimmend und schickte die junge Forscherin nach oben.Ben stöhnte als er das zaghafte Klopfen an der Tür vernahm. Er war nicht an Gesellschaft interessiert. Das Genöle seiner Mutter konnte er sich auch später anhören und mit Rey wollte er auch nicht reden. Sie brachte ihn nur noch um den Verstand. Ihre fröhliche Art lenkte ihn ab, veränderte ihn irgendwie. Sie nahm seine Art nicht einfach, sie gab ihm Kontra. Ben musste feststellen, dass er die Kleine ziemlich mochte.
Wieder klopfte es an der Tür, dieses Mal etwas beharrlicher.
"Ich will nicht mit dir reden, Mum", rief Ben.
"Ich bins nur, Ben." Ein kleines Lächeln huschte über seine versteinerte Miene, als er Reys Stimme hinter der Tür hörte.
"Komm rein", murmelte er knapp.Rey setzte sich auf sein Bett und blickte ihn einfach nur an. Sie hätte nie gedacht, dass sie jemals einen Mann fand, den sie wirklich hübsch fand. Ihrem Mustertypen entsprechend. Eigentlich lag das auch eher daran, dass sie selbst nicht wusste, wie ihr Traumtyp aussehen sollte. Doch wenn sie Ben ansah, wusste sie, dass er dieser Beschreibung ziemlich nahe kam. Rey fand ihn hübsch, trotz der Narbe. Er sah dadurch irgendwie noch männlicher aus. Ein paar mehr Muskeln würden ihm gut stehen, aber die musste er eins gehabt haben, von dem, was sie heute gesehen hatte.
Dann waren da auch noch seine Augen. Zwei große bernsteinfarbene Augen, die manchmal fast schwarz wirkten und an anderen Tagen hell, warm und freundlich. Ben lächelte sie tatsächlich an.
Relativ schnell holte sich Rey auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie war hier, um seine Wirbelsäule mit ihm zu reparieren und nicht, um in Schwärmereien abzuschweifen. Außerdem würde eine Beziehung zwischen ihr und ihm das Forschungsprojekt nicht gut aussehen lassen. Außerdem dachte sie nie im Leben an eine Beziehung mit Ben. Nein! Außer abends, wenn ihre Gedanken irgendwie mit ihr durchgingen..."Sorry, ich wollte deine Forschungen nicht unterbrechen", nuschelte Ben schnell, als ob er Angst hätte, dass Leia Rey für dieses Geständnis geschickt hat.
"Alles gut, Ben." Sie schenkte ihm ein breites Grinsen. "Wir müssen uns halt noch ein wenig aneinander gewöhnen. Das wichtigste an unserer Arbeit ist, dass wir gemeinsam arbeiten. Keine Geheimnisse, kein Streit - wir können es uns zumindest vornehemen - und Vertrauen. Ich weiß, dass dir vertrauen besonders schwerfällt, aber gemeinsam schaffen wir das."
Ben zog leicht eine Augenbraue hoch.
"Du hättest Motivationstrainer werden sollen, nicht Forscherin", meinte er trocken. Für einen Moment wurde es still und gefühlt mehrere Grad kälter im Raum, dann fing Ben schallend an zu lachen.
Rey starrte ihn noch immer völlig überfordert an. Doch dann musste sie einfach mit ihm lachen.
"Okay, an deinem Sinn für Humor müssen wir noch ein bisschen arbeiten", kicherte Rey außer Puste.
"Wieso? Du hast gelacht", stellte Ben fest. Ja, es würde lustig mit ihm werden. Sehr sehr lustig.Nach ein paar Minuten hatten sie sich beruhigt und waren in der Lage ein sinnvolles Gespräch zu führen.
"Rey, du hattest vollkommen recht. Ich muss wirklich lockerer werden, aber verzeih mir, wenn mir das nicht immer gelingt. Wir müssen uns zusammenraffen, du und ich. Gemeinsam werden wir stark sein. Und hoffentlich auch erfolgreich."
Rey nickte zustimmend.
"Es tut mir wirklich leid, dass ich dir mit der Frage vorhin zu nahe getreten bin, das -"
"Rey, es ist alles okay. Mach dir bitte keinen Kopf deshalb."
Es fiel Rey schwer, ihm diese Worte einfach so abzukaufen, aber wenn er nicht darüber reden wollte, dann war es so. Was auch immer dieses darüber auch war.Ben bedeute Rey etwas umständlich, zu ihm zu kommen. Dort ergriff sie seine Hand und drückte sie einmal fest. Ben hatte verdammt große Hände, stellte sie fest. Groß und warm.
"Morgen früh legen wir beide richtig los."*************
Nach einer gefühlten Ewigkeit melde ich mich mit einem neuen Kapitel. Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat. Bei mir war es in den letzten Wochen so stressig, dass ich nie die Zeit hatte zu schreiben oder mein Kopf war so voll, dass ich nicht einen klaren Gedanken für diese feinfühlige Geschichte fassen konnte.Was denkt ihr, ist dieses "Etwas" worüber Ben nicht reden will?
Möge die Macht mit euch sein
Feuerherz05
DU LIEST GERADE
Nichts zu verlieren - und du bist der Preis
FanfictionNach einem tragischen Flugzeugabsturz vor acht Jahren ist Ben Solo ein Pflegefall. Vom Hals abwärts gelähmt ist er nicht in der Lage sein Leben selbst zu bestreiten. Obwohl seine Mutter sich gut um ihn kümmert, leidet er unter Depressionen und wünsc...