Ben dachte nach, seine Gehirn lief seit langem wieder auf Hochtouren. Doch genau das gefiel ihm. Er diktierte Rey mehrere Schritte, die sie durchgehen mussten. Ab und zu warf sie auch eine Idee ein, da sie seine Meinung nicht ganz teilte. Es blieb dennoch ein wissenschaftliches Gespräch, was Rey sehr freute.
"Kannst du mal da hinten in den Schrank schauen? Da müsste noch mein altes Tafelwerk liegen."
Rey stand auf und lief zu dem beschriebenen Schrank. Eigentlich war es eher ein großes Bücherregal, welches bis zur Decke reichte und vor Fachbüchern fast überquoll. Bens Tafelwerk fand sie trotzdem sehr schnell, da an den Regalbrettern kleine Schilchen aufgeklebt worden waren, die die verschiedenen Bücherrubriken auswiesen.
Das Tafelwerk war definitv oft benutzt worden. Der Umschlag war schmuddelig und die Seiten hatten leichte Knicke. Als Rey den Einband aufschlug sprangen ihr gleich zwei Wörter ins Auge. Ben Solo. Der Name prangte in wunderschön geschwungenen Buchstaben auf dem hellen Papier.
"Deine Mutter hat wirklich eine schöne Handschrift", bemerkte Rey, als sie sich wieder neben Ben setzte.
"Nun, eigentlich habe ich das geschrieben", gab Ben leise zu und errötete leicht.
Rey konnte es nicht glauben. Er schämte sich dafür, dass er eine wunderschöne Handschrift hatte?! Sie hatte immer das Problem gehabt, dass niemand ihre krakeligen Buchstaben erkennen konnte.
"Oh sorry. Warum schämst du dich dafür? Es sieht wirklich toll aus." Rey blickte ihn fragend an.
"Naja, also früher, als ich noch klein war, so in der Grundschule, da konnte ich weder fliegen noch Physik. Ich habe Sport gemacht und gelesen, aber mich hat die Kalligraphie irgendwie begeistert. Meine Mutter schrieb manchmal so und ich wollte es lernen. Dann habe ich immer weiter geübt und nie damit aufgehört. Bis vor ein paar Jahren, aber da konnte ich ja überhaupt nichts mehr." In seiner Stimme schwang etwas Trauer. Er vermisste diesen Ausgleich, das merkte Rey sofort. Doch schlechte Laune konnte sie nicht gerbauchen.
"Na dann müssen wir deine Hände so schnell und gut wie nur möglich wieder funktionsfähig machen", lächelte Rey.Dieses Lächeln. Es machte etwas mit Ben. Es ließ sein kalt gewordenes Herz warm werden. Er musste regelrecht aufpassen, dass er dieses ansteckende Lächeln nicht mit einem dummen Grinsen erwiderte.
"Wie willst du das eigentlich anstellen?", fragte Ben. "Ich meine, meine kaputten Wirbelkörper wiederherstellen ist die eine Sache, aber meine Nerven sind fast noch kaputter. Die kann man nicht ersetzen."
Reys Lächeln wurde immer breiter.
"Das ist genau mein Part hier. Erzähl es vorerst noch niemandem-"
"Wem soll ich das denn erzählen, außer meiner Mutter, der wir sowieso alles mitteilen", schnaubte Ben belustigt.
"Okay...", murrte Rey genervt. "Ums auf den Punkt zu bringen: ich habe es geschafft künstliche Nervenbahnen zu züchten", rief sie euphorisch.Ben stockte augenblicklich der Atem. Künstliche Nervenbahnen, das war mehr als nur genial. Sie war ein Genie. Das erste Mal seit Beginn der Forschungen flammte in ihm Hoffnung auf. Es überraschte Ben selbst, aber er empfand Hoffnung. Hoffnung darauf, dass er wieder sein altes Leben zurückhaben könnte. Dass er wieder laufen, rennen, schwimmen und radfahren konnte. Er würde die Welt wieder auf eigene Faust erkunden können. Er würde wieder fliegen können. Er würde seine Freiheit zurückbekommen.
"Du bist genial!" Bens Stimme war viel höher als sonst, so sehr freute er sich.
"Naja, freu dich nicht zu früh." Diese Worte dämpften Bens Glücksgefühle deutlich ein. Es wäre auch zu schön gewesen.
"Ich habe den Grundstein gelegt. Jetzt müssen wir das auf dich zuschneiden. Das ist relativ kompliziert. Diese Zellen müssen irgendwie deine DNA entwickeln, damit dein Körper auch bestmöglich damit arbeiten kann. Ich muss die Zellen auf dich anlernen und das ist ziemlich kompliziert. Außerdem müssen wir früh genug damit anfangen."
"Okay, was brauchst du von mir? Ich würde alles geben!"
"Eigentlich nur ein paar Tropfen Blut, vielleicht ein wenig Speichel und schlimmstenfalls ein etwas größeres Stück Gewebe."
Bei den letzten Worten verzog Ben das Gesicht. Blutabnehmen, kein Problem. Eine Speichelprobe, lächerlich. Aber die Vorstellung, dass Rey ihm irgendwo etwas ab- oder herausschneiden würde, ließ ihn etwas erschaudern.Die nächsten Stunden arbeiteten sie ohne Pause durch. Leia hatte ihnen das Mittagessen in den Keller gebracht und Rey hatte ihn gefüttert. Es war erstaunlich, wie wenig sie das störte.
Danach stürzten sich sich wieder in einen großen Haufen Arbeit. Ben las Fachtexte auf seinem Tablet. Darauf war eine spezielle Vorlesefunktion installiert, die es ihm möglich macht Online-Artikel entweder vorgelesen zu bekommen oder sie in seinem Lesetempo zu scrollen. Gerade nutzte er die zweite Funktion, damit er Rey nicht störteRey versuchte, sich zu konzentrieren. Doch Ben neben ihr machte seit ein paar Minuten so komische pustende Geräusche. Das war doch nicht normal...
Widerwillig löste sie sich von ihrer Arbeit und blickte Ben an. Dann konnte sie nicht anders, als herzlich zu lachen. Ihm waren mehrere Strähnen ins Gesicht gefallen. Da er sich nicht bewegen konnte, versuchte Ben seit Minuten angestrengt, sich die Haare selbst aus dem Gesicht zu pusten. Was ehrlich gesagt ziemlich, ziemlich seltsam aussah.
"Du hättest doch was sagen können", kicherte Rey vor sich hin.
"Ja schon, aber ich wollte dich nicht stören."
"Als ob dieses Geschnaufe weniger stört, als wenn du mich einfach darum bittest, dir kurz die Haare aus dem Gesicht zu entfernen", lachte sie höchst amüsiert. Anhand von Bens Gesichtsausdruck sah Rey ganz genau, dass das auch nicht der eigentliche Grund gewesen war.
"Ich will nicht so uneingenständig wirken", gestand er geknickt. Rey erwiderte seinen Blick mitfühlend.
Wortlos rückte sie ihren Stuhl etwas näher an seinen Rollstuhl heran und fuhr sanft druch seine Haare. Schöpfer - sie waren noch weicher, als sie sie sich vorgestellt hatte. Dann löste Rey ihr Haargummi. Ben brauchte es mehr als sie.
Geschickt flocht Rey die Strähnen, die ihm ständig ins Gesicht fielen, auf seinem Kopf zusammen. Es wirkte leicht komisch, aber es stand ihm gut, fand sie.
Dann setzte sie sich wieder vor Ben und sah ihn an. Erschrocken musste sie feststellen, dass ihm ein paar vereinzelte Tränen über die Wange liefen. Angst überkam Rey. Hatte sie etwas falsch gemacht? Doch Ben antwortete, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
"Du hast nichts falsch gemacht, Rey. Absolut gar nichts! Es ist nur..." Ben stockte und suchte nach den richtigen Worten.
"Es passiert selten, dass ich so natürlich behandelt werde. Dass man mich einfach wie einen normalen Menschen betrachtet und sich nicht über mich und meine Einschränkungen lustig macht. Du bist anders."
Wortlos beugte sich Rey vor und umarmte Ben fest. Sie wusste nicht, woher dieser plötzliche Impuls kam. Sie wusste nur, dass es richtig war. Überrascht genoss Ben diese Geste. Nachdem Rey sich von ihm gelöst hatte, sah sie ihn ernst an.
"Du kannst ein Arschloch sein, Ben. Das muss ich zugeben. Aber ich muss auch gestehen, dass du ein sehr gefühlvoller, emotionaler junger Mann sein kannst. Du hast deine Talente und Begabungen. Wer das und die vielen anderen guten Dinge an dir nicht erkennt, der hat dich nicht verdient. Solche Leute hast auch DU nicht verdient", meinte Rey ernst.
"Danke, Rey. Ich weiß diese Komplimente sehr zu schätzen."
Dann beugte sich Rey plötzlich vor und drückte Ben einen Kuss auf die Wangen. Danach wandte sie sich schweigend ihrer Arbeit zu.An diesem Abend lag Ben noch lange wach in seinem Bett. Er konnte Rey einfach nicht aus seinen Gedanken verdrängen, egal, wie sehr er das wollte. Ihr Geruch, der seine Sinne für einen Moment vernebelt hatte, als sie ihn umarmte, waberte scheinbar noch immer durch seine Nase. Und allein der Gedanke daran, wie wunderbar weich sich ihre Lippen auf seiner Haut angefühlt hatten, ließen ihn fast verrückt werden. Sie sollte ihn doch nur reparieren und er sollte dabei helfen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Doch mittlerweile fühlte sich irgendwie alles wie mehr an. Sie ist Forscherin, sie hätte ihn niemals füttern müssen. Dafür ist ja schließlich seine Mutter da. Und doch hatte sie das für ihn getan, hat ihm später ohne Murren die Haare zurückgebunden und sich voll und ganz um ihn gekümmert.
Ben mochte sie, das wusste er schon lange. Mittlerweile wurde ihm aber auch klar, dass er sie sehr mochte. Er schwärmte förmlich von ihr. Ben wusste, dass seine Wangen knallrot sein mussten und war froh, dass er ganz alleine in seinem dunklen Zimmer im Bett lag.
"Verdammt", murmelte er in die dunkle Stille hinein. Er wollte sich durch die Haare fahren den Kopf zurückwerfen, um seine Verwirrung über seine Gefühle auszudrücken. Doch er konnte nicht, er lag regungslos in seinem Bett und stellte sich einfach nur vor, sich wie ein verknallter Teenager zu benehmen. Verknallt. Nun, das traf es sehr gut.
"Scheiße", zischte Ben ins Dunkel. Er hatte sich verknallt. Das musste er sich einfach eingestehen. Er war verdammt nochmal in Rey Kenobi verknallt.
Mit diesen Gedanken sank Ben in einen traumlosen Schlaf, erschöpft von der Arbeit.
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Nichts zu verlieren - und du bist der Preis
FanfictionNach einem tragischen Flugzeugabsturz vor acht Jahren ist Ben Solo ein Pflegefall. Vom Hals abwärts gelähmt ist er nicht in der Lage sein Leben selbst zu bestreiten. Obwohl seine Mutter sich gut um ihn kümmert, leidet er unter Depressionen und wünsc...