26. Fuchsbau

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Am Abend war Severus nach dem Abendessen in der großen Halle, das Hermine auch ausgelassen hatte, auf dem Weg zu seinen Räumen. Als er an dem Korridor vorüber kam, der zu Hermines Räumen führte, hörte er leise Musik. Das war selten in Hogwarts, wo weder Elektrizität noch Batterien ihren Dienst taten. Hier funktionierte alles nur mechanisch. Ihre Wecker waren zum Aufziehen, die Wärme kam nur durch Feuer, ebenso wie das Licht. Also war auch Musik selten, denn sie musste hier zumeist, durch Instrumente oder Gesang, selbst erzeugt werden. Ein einziges altes mechanisches Grammophon gab es in Hogwarts für jedes der Häuser. Mit Hilfe dessen wurde damals den Schülern das Tanzen beigebracht, als das Trimagische Turnier und damit auch der Winterball in Hogwarts stattfand. Er blieb stehen, lauschte und erkannte die Klänge. Bob Dylan, dachte er, Lilys Eltern hatten seine Musik häufig gehört. Langsam näherte er sich Hermines Tür, lehnte sich daneben an die Wand und hörte ruhig zu. Er wusste, dass es, sollte ihn jemand sehen, ganz schön seltsam aussehen würde, aber die Melodie hatte ihn angezogen. Das Lied handelte von einem Mädchen, das irgendwo im Norden lebte und einmal seine große Liebe war und er sich fragte, ob sie sich überhaupt noch an ihn erinnere.  Das Lied war melancholisch und passte zu seinem Gemütszustand, nachdem er am Nachmittag mit Hermine über ihre gestohlenen Erinnerungen sprach. Noch immer war es schwer für ihn zu wissen, dass ihre Erinnerung von der Liebe für einen anderen Mann handelte. Wäre sie einfach ungebunden und ebenso ihr Herz, wäre es vielleicht leichter zu ertragen, immerhin könnte er die irrationale Hoffnung, die sich durch die Träume seiner bemächtigt hatte, so noch irgendwie Raum geben.  Er könnte sich einreden, dass sie gar nicht so irrational wäre - aber so? So war er einfach nur töricht und obwohl es ihn schmerzte, tat es ihm für Hermine leid. Weil sie nicht von diesem Buchhändler geliebt wurde und weil sie übermorgen zugeben müsste, dass sie gelogen hatte. Sie hatte es verdient geliebt zu werden und glücklich zu sein. In den letzten Wochen hatte er sie wirklich erlebt und kennengelernt, hatte feststellen müssen, dass seine Meinung von damals völlig unbegründet war und nur aus dem Hass auf Harry Potter, oder besser gesagt dessen Vater, resultierte. Er war all die Jahre so blind gewesen vor Hass und Verachtung. Aber hätte es etwas geändert, wenn er das früher begriffen hätte? Wenn er sich früher entschuldigt hätte? Aber wäre es überhaupt ohne die Träume je zu dieser Erkenntnis gekommen? Hätte er sich dann je in sie verliebt? Vermutlich nicht. Und selbst wenn, hätte er sicher ohnehin nie eine Chance gehabt. Jetzt konnte er nur hoffen, dass wenn sie morgen in die Ferien und zu den Weasleys aufbrach, der Abstand ihm helfen würde damit abzuschließen. Dass er verinnerlichte, dass diese Träume nur eine nette Ablenkung von der Realität waren, aber eben nicht wahr würden und dass seine Gefühle das bald auch widerspiegeln würden. Vielleicht konnte er auch irgendwie dafür sorgen, dass diese Träume aufhörten, sodass er nicht immer wieder damit konfrontiert wäre. Und irgendwann, so hoffte er, würde die Zeit dafür sorgen, dass es besser wurde, auch wenn es beim letzten Mal fast zwanzig Jahre gedauert hatte. Das Lied endete und er hörte Hermine hinter der Tür einige Schritte tun, dann konnte er sehen, wie der leichte Lichtschein unter der Tür verschwand. Er vermutete, dass sie nun zu Bett gehen würde und er entschloss sich dasselbe zu tun und stieß sich leicht von der Wand ab, ging mit leisen und langsamen Schritten hinüber zu seinen Räumen.

*

Mit einem leisen Plopp landete Hermine auf dem kleinen Feld vor dem Fuchsbau. Fest umklammerte sie die Reisetasche und versuchte ihr aufgewühltes Inneres zu beruhigen. Sie hatte nur noch 24 Stunden, bevor Molly spätestens erfahren würde, dass sie sie angelogen hatte. Denn es würde niemand für sie vor der Tür stehen, wenn morgen Mittag das Weihnachtsessen serviert wurde. Traditionell schliefen sie alle lange, sodass es schon fast Mittag wäre, wenn sie alle aufstünden, um im Pyjama ihre Geschenke zu öffnen und sich dann für das Festessen zurecht machten. Und dann, dann spätestens, musste sie Molly sagen, dass der Platz zu ihrer Rechten  am Tisch leer bleiben würde - so wie er es in den letzten sieben Jahren auch war. Am liebsten würde sie erneut lügen und sagen, dass es doch nicht gepasst hatte zwischen ihnen und er deswegen nicht käme, aber damit käme sie sich noch schäbiger vor. Am besten sollte sie es ihr sofort sagen, nachdem sich alle begrüßt hatten, aber sie hatte Angst, dass Molly enttäuscht von ihr wäre und auch sauer. Sie würde wohl auf ihr Gefühl hören müssen, wann der richtige Zeitpunkt wäre. Sie holte noch einmal tief Luft, fühlte wie die kalte Luft in ihre Lungen strömte, dann stieß sie sie aus, sah die kleinen Wölkchen in der Luft, die ihr Atem bildete und setzte langsam einen Fuß vor den anderen, um zur Vordertür zu gelangen. Sie war noch ganze zehn Meter entfernt, als die Tür bereits aufgerissen wurde und der zweijährige Albus und neben ihm Harry in der Tür auftauchten. Trotz dessen, dass Harry ihm sagte, dass er an der Tür warten sollte, lief der Kleine ihr aber mit ausgebreiteten Armen und nur mit Socken an den Füßen entgegen und rief begeistert: "Tante Mine!" Hermine ließ ihre Tasche fallen und fing ihn auf, wirbelte ihn einmal im Kreis.
"Hallo, mein Großer", begrüßte sie ihn und setzte ihn sich leicht auf die Hüfte, einen Arm um seinen Rücken geschlungen, damit sie nach ihrer Reisetasche greifen konnte. "Jetzt hast du sicher ganz nasse und kalte Füße. Dabei hat der Papa dir doch gesagt, du sollst drinnen warten", sagte sie ihm und ging langsam auf Harry zu, der ihr die Tasche abnahm und sie in eine leichte Umarmung schloss.
"Seit wir hier sind freut er sich nur auf Tante Mine", sagte er lächelnd und nahm ihr seinen Sohn unter Protest wieder ab, damit sie sich Jacke und Schuhe ausziehen konnte und trocknete Albus' Socken magisch.
"Du hast mich also vermisst?", fragte Hermine Albus gerührt und stupste ihm mit dem Zeigefinger leicht auf die Nase.
"Ja, sooo viel", sagte der Kleine und breitete die Arme wieder weit aus, um ihr das Ausmaß zu verdeutlichen.
"Sooo doll?", fragte sie lachend und nahm ihn Harry wieder ab, nachdem sie die Jacke an den Haken im Flur gehängt hatte.
"Ja", bestätigte Albus nochmal und Harry konnte nicht anders als wieder zu lächeln. Seine Kinder vergötterten ihre Tante und er liebte es zu sehen, wie Hermine mit ihnen umging. Sie würde einmal eine fantastische Mutter sein.
"Wo ist den deine Mama?", fragte Hermine ihn und Albus deutete auf die Küche, wo sie laute Stimmen vernahm.
"Aber du hattest sie eben schon!", hörte sie eine eingeschnappte Mädchenstimme rufen und vermutete, dass es sich dabei um Victoire handelte, die Tochter von Bill und Fleur, die sich wieder einma lautstark mit ihrer etwas jüngeren Schwester Dominique stritt. "Bill und Fleur sind heute Morgen kurz nach uns angekommen  und vor einer Stunde dann Ron und Nora", informierte Harry sie im Gehen, "George und Angelina, ebenso wie Percy und Audrey sollten mit den Kindern heute Abend zum Essen da sein."
"Was ist mit Charly?", fragte sie, als sie die Küche betrat und sich ihr ein Schlachtfeld präsentierte. Scheinbar hatten die Kinder mit Fingerfarben gemalt und sich dabei nicht nur auf das Papier beschränkt. "Ich war nur eine Minute weg", seufzte Harry und Hermine konnte sich ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen.
"Hey!", rief er und fing die vier-jährige Dominique ab, die vor ihrer Schwester floh, die sie mit lila beschmierten Händen verfolgte. "Was ist denn das Problem?", fragte er und während Harry die Streiterei der Mädchen schlichtete, sah sich Hermine suchend um. "Ich dachte Ginny wäre hier", sagte sie und bevor Harry ihr antworten konnte, betrat genannte die Küche. "Mine!", rief sie freudig und umarmte sie fest und sah anschließend das Chaos in der Küche. "Hast du sie allein gelassen?", fragte sie Harry ein wenig anklagend.
"Als Albus Hermine vom Küchenfenster aus gesehen hat, ist er einfach losgelaufen", meinte er entschuldigend und zückte den Zauberstab, nachdem die beiden Streithähne nun wieder einträchtig am Küchentisch saßen und weiter malten. Er befreite die Küchenwand von den bunten Handabdrücken und seufzte.
"Wo warst du denn?", fragte Hermine ihre beste Freundin. "Momentan muss ich alle halbe Stunde auf die Toilette. Deine Patentochter glaubt offensichtlich meine Blase wäre ein Klatscher, so sehr malträtiert sie sie mit Tritten", beklagte sie sich, strich aber dennoch liebevoll über ihren Bauch. "Und die anderen?"
"Bereiten die Bescherung für morgen vor", flüsterte Ginny ihr zu, "Und James und Teddy sind mit Ron, Nora und Dad zum Schlittenfahren losgegangen. Dad war ganz aus dem Häuschen als Nora davon angefangen hat. Ihr Vater ist doch Muggel und sie haben das früher wohl immer gemacht." Hermine nickte, auch sie war früher häufig mit ihren Eltern zum Schlittenfahren im Wald gewesen.
"Was ist mit Charly?", fragte Hermine noch einmal, "Harry hat gar nicht erwähnt wann er kommt."
"Oh, das ist ein heikles Thema", sagte Ginny verschwörerisch, "Mister 'Ich bin überzeugter Junggeselle' hat einfach, ohne es irgendjemandem zu sagen, in Rumänien geheiratet. Mum war fuchsteufelswild und hätte ihn fast wieder ausgeladen, weil er sie nicht zur Hochzeit eingeladen hat." Überrascht zog Hermine die Augenbrauen hoch. "Sie hat sich immer noch nicht wieder ganz beruhigt. Man sollte sie gerade wirklich nicht reizen oder aufregen", sagte Harry und legte Ginny einen Arm um die Schultern. Hermines Mut, ihrer Ersatzmutter die Wahrheit heute noch zu sagen, schwand. Wenn Molly jetzt schon so verärgert war, dann konnte sie ihr doch nicht auch noch die Wahrheit sagen. "Dann sollte ich mit meiner Bombe wohl bis morgen warten", flüsterte Hermine Ginny zu.
"Ihr habt das also nicht geklärt?", fragte sie, während Harry nur Bahnhof verstand. Natürlich wusste er von Hermines Lüge, aber offensichtlich gab es da ja doch jemanden, der ihr am Herzen lag. Davon hatte ihm aber weder sie noch Ginny etwas erzählt.
"Da gab es nichts zu klären, da es offensichtlich kein Missverständnis gab", meinte Hermine niedergeschlagen.
"Oh, Süße. Das tut mir Leid."
"Schon gut", wiegelte Hermine ab, sie wollte jetzt und vor allem vor den Kindern nicht darüber sprechen.
"Was wirst du Molly denn sagen?", fragte Harry, "Sie hat die letzten Male von nichts anderem gesprochen als davon, dass du aus deinem Freund ein riesiges Geheimnis machst und sie es kaum erwarten kann, ihn an Weihnachten endlich kennenzulernen."
Hermine verzog das Gesicht, so unangenehm war es ihr. "Keine Ahnung. Dass es doch nicht gepasst hat vielleicht? Aber erst morgen." Ginny und Harry nickten verständnisvoll. "Ist vielleicht besser", sagte Ginny, strich ihrer Freundin mitleidig über den Rücken. So wenig sie auch nach ihrer Vorgeschichte verstand, dass Hermine sich in Snape verlieben konnte, so tat es ihr dennoch unglaublich leid, dass sie nun unglücklich war.
"Wie lange werden die Anderen drüben noch brauchen?", fragte Hermine und deutete auf die Tür zum Wohnzimmer, wo Molly, Bill und Fleur sich gerade um die Geschenke und den Weihnachtsbaumschmuck kümmerten.
"Sie haben erst vor einer halben Stunde angefangen, also sicher noch eine Weile. Du kannst erst noch nach oben in unser altes Zimmer gehen und deine Sachen wegbringen, wenn du magst." Hermine war jedes Mal wieder gerührt, dass Ginny ihr altes Zimmer als ihr gemeinsames bezeichnete. Immerhin hatte sie dort immer mit ihr zusammen geschlafen, wenn sie in den Ferien zu Besuch war. Es zeigte, wie sehr sie für Ginny zur Familie gehörte, dass sie sie als eine Schwester ansah und nicht nur als ihre beste Freundin. Allerdings schlief sie dort seit einigen Jahren nun schon allein, denn seit die Kinder geboren waren, schlief sie mit Harry und den Kleinen in Freds altem Zimmer, da dies um einiges größer war, als ihr altes Kinderzimmer.
"Dann komm mal her, kleiner Mann", sagte Harry und nahm ihr Albus ab, "Wir malen noch ein bisschen mit Victoire und Dominique, bis Tante Mine zurückkommt."
"Ich werde Mine kurz helfen", kündigte Ginny an und folgte ihrer besten Freundin in ihr altes Zimmer.
"Also kein Missverständnis?", fragte Ginny nachdem Hermine die Tür geschlossen hatte.
"Kein Missverständnis", bestätigte Hermine nochmal.
"Und wie geht es dir jetzt?", hakte sie nach.
"Es tut weh", sagte sie, "Und ich frage mich die ganze Zeit, ob ich vielleicht eine Chance hätte, wenn er nicht mehr an Harrys Mutter hängen würde."
"Hat er das denn gesagt?", fragte Ginny überrascht, "Dass er sie noch liebt?"
"Das brauchte er nicht, ich nin ja nicht dumm, ich kann zwischen den Zeilen lesen."
"Autsch", flüsterte Ginny und setzte sich aufs Bett neben Hermine.
"Das trifft's. Ich hoffe nur die Träume hören jetzt bald auf. Ich kann das sonst einfach nicht ertragen, jede Nacht zu sehen, wie es sein könnte.. Wie soll ich sonst je wieder normal mit ihm zusammenarbeiten?", fragte sie verzweifelt.
"So wie du auch damals mit Ron befreundet sein konntest, während er an Lavenders Lippen hing?", meinte Ginny und zuckte die Schultern. 
"Das tat nicht mal ansatzweise so weh. Da wusste ich ja nicht, was ich verpasse. Und die Vorstellung davon, ist nicht einmal halb so schlimm, wie es tatsächlich zu wissen."
"Aber die Träume sind doch auch nur eine Vorstellung davon", meinte Ginny verwirrt.
"Das waren keine normalen Träume, es war viel zu real."
"Schöne scheiße", murmelte Ginny und Hermine nickte. Sie war nur froh jetzt hier zu sein, bei ihren Freunden - ihrer Familie und Severus nicht sehen zu müssen. In Hogwarts hätte sie es jetzt erstmal nicht ausgehalten. Aber sie musste in zwei Wochen spätestens zurück und sich ihm stellen, dann würde sie nicht mehr so leicht vor ihrem Liebeskummer fliehen können. 

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