27.

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Schwer atmend kam sie vor Val zum Stehen. Lou und ihre Träger hatte sie vollkommen ignoriert. "Problem." Mehr sagte sie erstmal nicht. "Ach was." Sobald ich es gesagt hatte, tat es mir schon leid. Ich war so müde, dass mein Sarkasmus voll durch schlug. Zum Glück ging niemand darauf ein.

"Quinni. Was ist los?", fragte Val. Dafür, dass sie extra her gerannt war, war er unangenehm ruhig. Quinni. Der Junge liebt echt seine Spitznamen. Es dauerte noch einen Moment bis Quinn genug Luft geholt hatte, um zu antworten. Shoyo und Riyu waren weiter gegangen, um Lou vernünftig zu versorgen.

"Mae ist weg." Schock und Panik breitete sich in mir aus. Wie weg? Wo ist sie? Wie kann sie weg sein? Mae ist doch viel zu clever, um verloren zu gehen. Nachdem, was mir Val erzählt hatte, konnte ich mir gut vorstellen, wie sehr Val die Info mitnehmen musste. Doch als ich ihn ansah, war dieser vollkommen entspannt. Ich glaubte sogar ein Augenrollen sehen zu können. Hä? Immer, wenn ich dachte ihn endlich verstanden zu haben, brachte er mich erneut aus dem Konzept. Während Quinn und ich ihn schockiert anstarrten, setzte sich Val wieder in Bewegung.

Quinn und ich sahen uns an. Sie wirkte aufgelöst, verwirrt und verängstigt. Als ich sie das erste Mal gesehen hatte, wirkte sie so kühl und viel zu hart für die Welt. Doch mit dem zerbrechlichen Mädchen, das mir nun gegenüber stand, hatte sie nichts gemein. Als ich den Arm um sie legte, spürte ich, wie sie leicht zitterte. Wie kann Val nur so hart und desinteressiert sein? Eben hält er mir noch einen Vortrag, wie wichtig seine Familie ist und jetzt ist es ihm egal, dass Mae weg ist? Der Typ macht mich echt fertig. "Lass uns erstmal reingehen und dann kannst du mir erzählen, was passiert ist", sagte ich betont ruhig. Noch immer ängstlich nickte Quinn leicht. Sie hatte ihre Arme um sich selbst geschlungen wie ein kleines Kind. Bis wir gemeinsam im Speisesaal ankamen, sagte keiner mehr ein Wort.

Als wir den Saal betraten, saßen Shoyo, Val und jemand, mit dem ich noch nicht gesprochen habe, aber aus meiner ersten Nacht hier kannte, (das muss Mozzy sein) bereits am Tisch. Riyu war nicht zu sehen. Wahrscheinlich kümmerte er sich irgendwo um Lous Wunde. Den Gesprächsfetzen nach zu urteilen, die ich aufschnappen konnte, berichtete Val von den Geschehnissen in der Hütte. Er hatte wieder einen Befehlton angelegt und sofort sah ich ihn wieder mit seiner Entenarmee vor meinem inneren Auge. Mein Kopf war echt nicht mehr zu gebrauchen.

Als Quinn und ich den Raum betraten, deutete er mit einer Kopfbewegung auf die freien Stühle, doch unterbrach seinen Monolog nicht. Am liebsten hätte ich ihn angeschautzt, dass er Maeves Verschwinden einfach ignorierte. Mit etwas zu viel Kraft zog ich mich auf meinem Stuhl zum Tisch. Lautstark scharbten die Stuhlbeine über den Boden, wodurch mir die Aufmerksamkeit aller galt. Ich nutze die Chance, um meinem Ärger Luft zu machen. "Wir müssen jetzt mal über den Elefanten im Raum sprechen. Mae ist weg und euch scheint das gar nicht zu jucken. Was ist nur falsch bei euch?" Meine Ansage war etwas lauter als geplant, jedoch stand ich dazu. Leider schien sie nicht die Wirkung zu haben, mit der ich gerechnet hatte.

Quinn sah immer noch aus wie ein getretener Welpe. Die Jungs sahen jedoch aus als wären sie sich noch unsicher, ob sie lachen oder mir einen Lolli geben sollten. Doch ich wich nicht zurück. Ich setze mich noch ein Stück aufrechter hin und fokussierte Val direkt. Dieser fing meinem Blick auf und fesselte ihn mit seinem. Zunächst blickte er ebenfalls ernst und stur, bevor er in Gelächter ausbrach. Langsam werd ich echt wahnsinnig. "Sorry Ria. Ich weiß, dass du ernst schauen möchtest. Aber du hast einfach nicht das Gesicht dafür. Alles an dir ist einfach zu weich, als das man deinen bösen Blick ernst nehmen könnte", sagte Val lachend. Zu weich? Bitte was? Wut versuchte in mir aufzukochen, doch Val tiefes brummendes Lachen, in das nun auch Shoyo und Mozzy einstiegen, machte es mir schwer ernsthaft sauer zu sein. "Komm schon Ria. Entspann dich. Mae verschwindet immer mal wieder ohne was zu sagen. Quinn rastet immer aus, wenn was nicht abgesprochen ist. Mae kommt schon wieder, wenn sie fertig ist", sagte Val. Normal? "Ihr macht mich wahnsinnig." Diesmal sagte ich es laut.

"Aber aber Liria. Sowas sagt man doch nicht." Die fröhliche Stimme hinter mir ließ mich umdrehen. Riyu stand in der Tür. "Wie geht es ihr?", fragte Val nun ernst. "Alles gut. Sie schläft. Die Kugel hat nur ne Fleischwunde gerissen. Gib ihr ein paar Tage, dann ist sie wieder da. Bis sie wieder fit ist, dauert allerdings ne Weile", antwortete Riyu, während er sich auf den freien Stuhl neben mir fallen ließ. Als Antwort nickte Val nur.

Kühle Hände griffen nach meinen. "Hab ich dir nicht gesagt, dass du deine Hände schonen sollst, bis die Nähte verheilt sind. Was hast du gemacht?" Nur so nebenbei nahm ich mit, dass Riyu das Wort an mich gerichtet hatte. Genauso gedankenverloren antwortete ich ihm auch. "Bin auf einen Baum geklettert", nuschelte ich. "Wieso bist du auf einen Baum geklettert?", klingte sich Shoyo lachend in das Gespräch ein. "Mhm was?", fragte ich.

Meine Verwirrung schien zur allgemeinen Belustigung beizutragen. "Ich hab gefragt, warum du auf einen Baum geklettert bist", wiederholte Shoyo seine Aussage und holte mich damit gedanklich zurück in den Saal. "Oh das. Das kam durch..." Ich erzählte den anderen detailliert von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Gebannt hörten sie mir zu und als ich fertig war, fühlte ich mich wieder so erledigt, wie vor ein paar Stunden. Das Adrenalin, dass meinen Körper bei Mae's vermeintlichen Verschwinden erfüllt hatte, war vollständig verschwunden und meine Gliedmaßen schienen mich erneut abzustoßen. Meine Augenlider wurden schwerer und ich musste meinen Kopf abstützen, um nicht auf der Tischplatte aufzuschlagen.

"Oke. Ich glaub wir beenden die Abenteuergeschichten für heute. Komm. Ich bring dich ins Bett", sagte jemand hinter mir, doch ich war viel zu erledigt, um mich umzudrehen. Als ich nicht reagierte, griff eine Hand nach meiner und zog mich nach oben. Es war eine warme raue Wand, die mich fest hielt. Ich lehnte mich an den dazugehörigen Arm. Sofort stieg mir ein Geruch von Apfel und Minze in die Nase. Wie von selbst schlossen sich meine Augen und ich holte tief Luft. Meine Schritte wurden träger und ich stolperte. Langsam öffnete ich meine Augen als mich jemand hoch hob. Durch die halb geöffneten Lider erkannte ich Val. Er trug mich. Mein müdes Gehirn freute sich darüber und schloss die Augen. Meinen Kopf lehnte ich gegen seine muskulöse Brust und ließ mich von seinem Duft vollkommen einhüllen.

RevolteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt