56.

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Mit einem kurzen Blick begrüßte Shoyo Mae. Auch er sagte nichts zu ihr und seine Miene war ebenfalls nicht besonders freundlich. Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, dass er die Stimmung mit seiner fröhlichen und offenen Art entspannen würde und Mae überschwänglich begrüßen würde, doch auch er schien ein Problem mit Maes Anwesenheit hatte. Wen wundert es? Lou und Shoyo standen sich sehr nahe und ihretwegen war Lou verletzt worden. Da konnte ich es verstehen, dass er Mae nicht offen in die Arme schloss. Mae wirkte ein wenig irritiert, dass Shoyo so verschlossen war. Kein Wunder, denn sie wusste nicht, was sie Lou angetan hatte. Doch auch sie sagte nichts.

Schnell löste sich sein Blick von ihr und er sah Val und mich an. Er grinste dreckig. „Na wer spielt denn hier Prinzessin? Hat dich dein Märchenprinz gerettet, Liria?" Shoyo lachte laut über seinen eigenen Witz. Ich schmunzelte. Da war wieder der fröhliche Shoyo, den ich mochte. Seine lockere Art löste ein wenig die Anspannung in mir. „Schön wärs", brummte er. Bitte was? Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an. Val wollte also mein Märchenprinz sein. Sehr interessant. Nur mit Müh und Not konnte ich mir ein Kichern verkneifen. Val schien meinen Blick auf sich zu spüren. Auch er zog die Augenbraue nach oben als er meinem Blick begegnete. „Weil auf Ria geschossen wurde. Alles wäre besser als das", sagte er betont in meine Richtung. Na, ob das alles ist? Meine innere Stimme war mal wieder kecker als ich mich fühlte.

„Was?", rief Shoyo panisch. Mit nur wenigen Schritten kam er auf uns zu. Mit aufgerissenen Augen suchte er mich nach der Wunde ab. Dank Kaias Zauberkleid dauerte es einen Moment, bis er den Blutfleck auf meinem Oberschenkel entdeckte. „Wer war das?", brummte er bedrohlich. Es war schon süß, dass er mich rächen wollte, auch wenn sich dieser Zorn gegen Chris richten würde. Shoyo als meinen Schutzengel zu wissen, war beruhigend, auch wenn es unnötig war. Mit einem sanften Lächeln versuchte ich ihn zu beruhigen. „Alles gut Shoyo. Ist halb so wild." Val lachte trocken auf. Mit einem bösen Blick ermahnte ich ihn. Es brachte nichts, wenn Shoyo jetzt auf die Suche nach Chris ging. Wir mussten hier raus. Zurück im Sano konnten wir über alles sprechen.

Ein wenig verwirrt sah Shoyo zwischen uns hin und her, bevor er mit den Schultern zuckte. „Gut finde ich das nicht, dass du hier die Starke spielst aber nun gut. Dann wollen wir mal weiter machen." Mit einer Handbewegung deutete er Mae zu ihm zu kommen. Nur zögerlich kam sie seiner Aufforderung nach. Währenddessen setzte Val mich sanft am Fuße der kalten Marmortreppe ab und ließ sich neben mich fallen. Er ließ seine Schulten sacken und stützte  seinen Kopf in seinen Händen ab. Leise seufzte er und vereinzelt fielen ihm Strähnen in die Stirn. Ohne groß darüber nachzudenken, lehnte ich meinen Kopf gegen seine Schulter und schloss die Augen. Die kurzen Momente Ruhe sog ich gierig auf.

„Da du schlecht in deinen Klamotten am Ball teilnehmen kannst, hab ich hier welche für dich", hörte ich Shoyo sagen. Mae nuschelte etwas, dass ich nicht verstand. Irgendetwas raschelte, doch ich öffnete nicht die Augen, um zu sehen was. Mir war das Ganze im Moment ziemlich egal. Ich wollte einfach nur noch in ein Bett. Da ich keins hatte, musste Val als Ersatz herhalten. Um nicht über die vergangenen Stunden nachzudenken, konzentrierte ich mich auf den Duft, der von Val ausging. Apfel und Minze. In den wenigen Tagen, die ich mit ihm verbracht hatte, hatte ich mich bereits daran gewöhnt, dass dieser Geruch mich stets umgab. Anders wollte ich es auch nicht haben.

„Ria", sagte Val sanft und strich über meine Hand, die in meinem Schoß lag. Noch nicht. Ich möchte nur noch für ein paar Sekunden hier sitzen bleiben. Doch Val wurde dringlicher und ich öffnete die Augen. Er lächelte mich an und nickte in Richtung der Tür. Langsam standen wir auf, wobei Val mir wieder helfen musste. Dieses blöde Bein. Es nervte mich sehr, dass ich so gut wie nichts mehr allein machen konnte. „Geht es?", fragte mich Val als ich scharf Luft einzog. Ich nickte. Eine glatte Lüge, doch es musste gehen. Jetzt reiß dich mal zusammen. Er schien nicht wirklich überzeugt zu sein, drängte mich jedoch nicht ihm die Wahrheit zu sagen, wofür ich ihm sehr dankbar war. „Wir müssen jetzt durch den Saal und da kann ich dich nicht tragen. Wir dürfen jetzt nicht auffallen. Shoyo und Mae werden uns so gut wie möglich abschirmen, aber du musst versuchen so weit es geht normal zu laufen", sagte er vorsichtig. Wie, um es ihm zu beweisen, dass ich es könnte, ging ich ein paar Schritte um ihn herum. Ein Feuer brach in meinem Oberschenkel aus, der bis in meine Brust zog. Kurz fürchtete ich, dass er mein Herz lahmlegen könnte. Schmerzhaft biss ich die Zähne zusammen und zwang mich zu einem Lächeln. Mein Auftritt musste ziemlich erbärmlich gewesen sein, doch Val harkte nicht noch einmal nach.

„Geht es Liria?", fragte Shoyo besorgt. Er stand neben der Tür. Was? Neben ihm stauchte eine Frau in Uniform auf. Reflexartig zog ich nach einer Waffe und zielte, dabei war es mir mittlerweile egal, welche es war. Ich wollte all das hier nicht mehr. Wieso stellt sich immer wieder jemand uns den Weg? Vertraut vibrierte die Waffe in meiner Hand und ich war bereit zu schießen. Die Frau hob die Hände. „Ria. Nimm die Waffe runter. Das ist Mae", sagte Val lachend. Ich blinzelte ein paar Mal. Tatsächlich. Wie konnte ich ihre Haare nicht erkennen? Mein übermüdetes Hirn war echt zu nichts mehr zu gebrauchen. „Sorry", stieß ich hervor und schob die Pistole wieder in ihren Halfter. Hörbar atmete Mae aus und Shoyo grinste.

Ich straffte die Schultern und ging möglichst normal auf die Tür zu, wobei es sich anfühlte als würde jeden Moment mein Bein abfallen. Als ich den Türklinge in die Hand nahm, grinste ich in die Runde. „Wollen wir?", fragte ich provokativ als wäre ich nicht der Grund, dass wir noch immer hier standen. Val tauchte neben mir auf und bot mir seinen Arm an. „Wir wollen." 

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