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Meine nächsten Reaktionen waren eher intuitiv als gut überlegt. Als ich den Wagen geöffnet hatte, sah ich eine ähnliche Waffe, wie die, die der Mann, der nun langsam auf uns zu kam, in den Händen hielt und auf mich richtete. Sie lag zwischen den Sitzen. Omg. Lou stirbt. Für einen kurzen Moment lähmte mich der Gedanke. Ich wollte ihr helfen, sie wegbringen, die Wunde versorgen, keine Ahnung, einfach irgendwas tun. Doch ich konnte nichts tun. Ich war zu schwach, um ihr zu helfen. Tränen stiegen in meine Augen. Schnell schüttelte ich den Kopf. Im Moment war es wichtiger, den Mann loszuwerden. Danach würde ich Lou helfen können. Keiner von uns war geholfen, wenn ich nichts tat. Doch war es schwer mich zu konzentrieren, denn die Trauer schüttelte mich. Auch wenn es mir schwerfiel, ich musste fokussiert bleiben. Ich würde niemandem helfen können, wenn der Arsch auch noch auf mich schießt.

Meine rechte Hand schnellte vor und griff nach der Waffe. Mit der Linken krallte ich mich noch immer in die Autotür. Anscheinend standen noch immer ein paar Teile meines Körpers unter Schock. Schmerzhaft riss ich sie los und führte sie ebenfalls zur Waffe. Sie lag schwer in meinen Händen und das Metall fühlte sich kühl an. Für einen Sekundenbruchteil musterte ich sie interessiert. Doch dann wurde mir mein viel größeres Problem bewusst

Kacke. Keine Ahnung, wie das Ding funktioniert. Es war zwar schön, dass ich jetzt eine Waffe hatte, doch ohne zu wissen, wie funktionierte, konnte ich sie höchstens werfen wie einen Stein. Ich sprang in den Wagen, um ein paar Sekunden zu gewinnen. Es brannte mir ein Loch in die Seele als ich die Tür schloss und Lou allein ließ. Warte nur noch ein bisschen, sagte ich in Gedanken zu ihr.

Zwar hatte ich jetzt ein paar Sekunden mehr Zeit, doch wurde ich dadurch auch nicht schlauer. Ich hatte immer noch keine Ahnung von Waffen. Im Kala hatten wir keine. Alles, mit dem wir kämpften, fanden wir im Wohnhaus oder mussten es selbst bauen. Sowas hatten höchstens die Voog und ich konnte mich nicht erinnern, dass sie es jemals genutzt hatten. Erneut wurde ich panisch.

Dann hör doch einfach auf mit Denken. Deine Instinkte werden schon den Rest machen. Chris' Stimme hallte in meinem Kopf wider. Er hatte das zu mir eines Abends nach dem Training von Styn gesagt. Ich war vollkommen erschöpft gewesen und war frustriert. Egal, was ich mir überlegt hatte, Styn sah es immer kommen und besiegte mich. Zwar verhalf mir sein Tipp auch nicht zum Sieg, doch war die Niederlage nicht so zerschmetternd wie sonst.

„Oke. Nicht denken", sprach ich mir wie ein Mantra immer wieder laut vor. Ich überließ meine Hände sich selbst, die die Waffe hastig abtasteten. Man. Mir läuft echt die Zeit weg. Panik, Angst, Zeitdruck und Trauer waren echt keine gute Kombi. Sollte ich das überstehen, würde mein Herz wahrscheinlich kurz darauf schlapp machen. Ich verschob irgendeinen Riegel und zog an einem Hebel. Vor meinem inneren Auge tanzte das Bild eines Kleinkindes, das grade erst gelernt hatte Sachen zu greifen. Schnell verscheuchte ich es. Ich musste fokussiert bleiben.

Als die Waffe ein Klick-Geräusch von sich gab, atmete ich hörbar aus. Ohne groß nachzudenken, riss ich die Autotür auf. Ich fiel vom Sitz auf dem moosbedeckten Boden. Ich hatte vergessen, wie hoch das Auto war. Ich kniete vor Lou, die direkt vor mir lag. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, wenn auch nur schwerfällig. Ich konnte hören, wie ihre Lungen rasselten und beinahe spüren, wie sehr sie sich quälte. Aber das war jetzt egal. Sie atmete noch, also war es noch nicht vorbei.

Ich rappelte mich vom Boden auf und ging schnellen Schrittes  an Lou vorbei und rannte in den Wald. in Gedanken flehte ich sie an noch ein wenig durchzuhalten. Ich bin gleich wieder da. Gib mir bitte nur noch ein paar Minuten. Bitte verlass mich nicht. Auch wenn wir uns eigentlich kaum kannten, wollte ich sie nicht verlieren. Schließlich musste ich sie ja noch kennenlernen.

Ich hatte kein bestimmtes Zeil vor Augen als ich im Wald verschwand. Ich wollte nur so viel Platz wie möglichst zwischen mich und den Mann, der dem Auto gefährlich nahegekommen war, bringen. Ich hörte, wie er hinter mir her schrie und seine schweren Schuhe auf den Boden donnerten, als er mir folgte.

Nach ein paar Minuten Rennen, meine Lunge brannte bereits wie Feuer, (ich muss echt dringend mehr Sport machen), blieb ich hinter einem Baum stehen. Beim Wegrennen hatte ich einige Haken geschlagen, so konnte mein Verfolger meinen Standort nicht genau bestimmten. Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis er mich finden würde. Ich musste den ersten Schritt machen. Mit meinen letzten Kraftreserven kletterte ich auf die unteren Äste des Baumes, was gar nicht so einfach war. Noch immer brannten meine Beine und jetzt auch noch meine Lunge. Dazu kam, dass ich mich nicht traute die Waffe aus den Händen zu legen. Es musste ziemlich lustig ausgesehen haben, wie ich auf diesen Baum stieg.

Auf der zweiten Astreihe angekommen, setzte ich mich auf den erst besten Ast, von dem ich sicher sagen konnte, dass er mein Gewicht tragen konnte und sah mich um. Obwohl der Wald dicht bewachsen war, konnte ich von meiner Position sowohl die Hütte als auch den Wagen ausmachen. Zwar konnte ich nur Schemen erkennen, doch reichte es, um mich zu orientieren, wo ich grob war. Schnell hatte ich auch den Mann, der mir folgte, entdeckt. Wie ein Ameisenbär kroch er über den Boden, um meinen Spuren zu folgen. Nicht denken. Ich nahm die Waffe in beide Hände und konzentrierte mich auf den menschlichen Ameisenbär.

Die Welt um mich herum schwamm. Das Einzige, was für mich noch existierte, war der Arsch, der auf Lou geschossen hatte und das kühle Metall in meinen Händen. Langsam ließ ich die Luft aus meinen Lungenflügeln entweichen und wie von selbst spannte sich mein Zeigefinger, um den beweglichen Schalter. Überraschenderweise erschreckte mich der Schuss diesmal nicht. Ich war vollkommen ruhig als ich beobachtete, wie der arschige Ameisenbär in sich zusammenfiel.

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