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Erschöpft sah ich mich in der Küche um. Ein paar Meter von mit entfernt standen die Anderen an einer glänzenden Küchenzeile. Die Küche war unglaublich groß. Von meinem Blickpunkt aus, konnte ich nicht mal das Ende erkennen. Es gab so viele Arbeitsflächen und Stauraum, dass in dieser Küche wahrscheinlich das gesamte Essen für das Kala hätte gekocht werden können. Natürlich tat das Keiner. Wir mussten trotzdem hungern.

Alle waren da. Quinn, Riyu, Shoyo, Val und natürlich Mae. Nur Mozzy fehlte. Doch laut Plan war das nicht verwunderlich. Es hat alles geklappt. Wahnsinn. Wir würden alle zusammen nach Hause gehen können.

Langsam rutschte ich an der Tür herunter. Mein Körper sehnte sich nach den kühlen Fliesen und als ich sie berührte, stieß ich ein leises Stöhnen aus. Durch den dünnen Stoff meines Kleides konnte ich die Kühle sehr gut spüren. Mein Bein brannte. Nicht nur die Schusswunde selbst schmerzte, sondern das ganze Bein brannte. Der Schmerz schien sich wie ein lästiger Pilz ausgebreitet zu haben. Wahrscheinlich hatte ich es zu sehr belastet. Kaias hohe Schuhe waren nicht grade zuträglich in dem Bereich. Ohne meine Hände streifte ich sie ab und ruhte meine Fußsohlen auf den Boden aus. Es war so verdammt angenehm.

Val sah kurz zu mir herüber. Mit besorgter Miene musterte er mich. Mit einem ausgestreckten Daumen vergewisserte ich ihm, dass alles in Ordnung war. Das war zwar gelogen, doch konnten wir an meiner Situation eh nichts mehr ändern.

Keiner sagte ein Wort. Shoyo hatte sich auf die Arbeitsplatte gesetzt und richtete seinen Blick auf den Boden. Riyus Augen huschten zwischen mir und Val, welcher mich noch immer ansah, hin und her. Nur Quinn sah unverhohlen Mae an. Ihrem Blick konnte man deutlich die Wut und Trauer, die in ihr brodelten, ansehen. Doch glaubte ich, auch einen Funken Freude darin mit schwimmen zu sehen. Quinn musste sich ebenfalls Sorgen um Mae gemacht haben. Der Drang Mae zu umarmen, musste unermesslich groß gewesen sein. Doch Quinn tat es nicht. Sie bewegte sich kein Zentimeter. Genauso wie Val schien sie unheimlich mit sich zu kämpfen. 

Die Stimmung im Raum war erdrückend, denn keiner sagte ein Wort. Es lagen ein Haufen Vorwürfe in der Luft, die niemand gesagt hatte. Irgendwann räusperte sich Riyu. „Ich sprech jetzt mal die einen von zwei Giraffen im Raum an. Eure Funkstöpsel haben auf dem Weg zu den Zellen nicht funktioniert und jetzt wurde auf Liria geschossen. Was ist da bitte passiert?" Bei seinen Worten zuckte ich leicht zusammen. Natürlich hatten sie ein Recht darauf, es zu erfahren. Sie sollten wissen, wer Chris war und warum ich nur noch humpeln konnte. Ich würde ihnen alles erklären und ihnen alles von meiner Kindheit erzählen, was sie wissen wollten. Irgendwann. Nur nicht jetzt. Jetzt konnte ich es nicht. Ungeachtet von der Situation, in der wir uns grade befanden, würde ich wahrscheinlich einfach nur in Tränen ausbrechen. Ich durfte jetzt nicht an Chris,, unsere Vergangenheit und die nicht existierende gemeinsame Zukunft denken. Mein Herz würde das wahrscheinlich nicht aushalten.

Fieberhaft überlegte ich, wie ich ihn vertrösten konnte. Ich wollte ihm nicht vor dem Kopf stoßen, da er nichts Falsches gesagt hatte und dennoch musste er es verstehen, ohne, dass ich weinen musste. 

Wie schon so oft kam Val mir mal wieder zur Hilfe. „Können wir das bitte Zuhause besprechen? Wir sollten hier langsam weg, bevor wir noch Gesellschaft bekommen." Seine Stimme war drängelnd, aber auch bittend. Er bat die anderen in meinem Namen um ein wenig Zeit, um das Ganze erstmal für mich zu verarbeiten. Und, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, nickten alle und akzeptierten Was für eine wundervolle Familie. Wahnsinn.

„Dann können wir ja jetzt wohl los. Jetzt fehlt nur noch..." Riyu drehte seinen Kopf leicht zur Seite. „Mozzy, wie sieht es aus?", fragte er in den unendlichen Raum. Es knisterte in meinem Ohr, bevor ich Mozzys Stimme hören konnte. „Sehr gut meine Lieben. Alles läuft. Ich steh ungefähr 50 Meter vom westlichen Küchenausgang entfernt. Es scheint auch alles frei zu sein. Ihr könnt also kommen." „Oke gut, dann machen wir jetzt los. Ich will hier wirklich so schnell wie möglich weg", befahl Val. Keiner widersprach. Wieso auch? Wir alle wollten in Sicherheit sein. So schön es auch war, hier in der Küche Luft zu holen, würden wir doch erst Ruhe finden, wenn wir Zrad verlassen hatten.

Wie selbstverständlich kam Val zu mir und half mir auf die Beine. Sofort sehnte ich mich wieder nach den kalten Fliesen. Mein Körper schien in sich zu verbrennen. „Alles gut? Geht es?", fragte Val besorgt. Ich nickte lediglich. Die Lüge wollte mir einfach nicht über meine Lippen kommen.

Val stützte mich bis zur Eisentür am Westausgang. Wären die anderen nicht bei mir gewesen, hätte ich raten müssen, welchen Ausgang ich hätte nehmen müssen, denn ich hatte keine Ahnung, wo Westen war. Val ließ mich los und stellte sich an die Spitze der Gruppe direkt vor die Tür. Da war er wieder. Der Anführer der Entenarmee. „Wollen wir?", fragte er in die Runde. Wie auch er vorhin antwortete ich: „Wir wollen."

Mit einem Ruck stieß Val die schwere Tür auf, ging jedoch nicht direkt hinaus. Vor uns lag ein großer offener Hof. Vereinzelt gab es ein paar Büsche und Laternen, doch alles im allem, war es eine Freifläche. Für einen kurzen Moment setzte mein Herzschlag aus. Diese Fläche lag als einziges zwischen mir und einem Bett. Mehr nicht. Einfach nur diese 50 Meter bis zu Mozzy. Dennoch war ich nervös, beinahe so als wäre ein Teil von mir noch nicht bereit sich von Zrad zu verabschieden. Wie absurd.

Ich sah, wie alle vor mir losrannten. Ein Stück entfernt konnte ich einen kleinen grünen Transporter. Mozzy stand in der Ladefläche und winkte uns zu. Die Strecke bis zu ihm war wirklich nicht lang und dennoch hatte ich Angst. Wir mussten über einen offenen Hof. Jeder, der hinausschaute, würde uns sehen können. Es war ein Risiko, doch danach würde es vorbei sein. Ein letztes Mal holte ich tief Luft und schüttelte meine Hände aus. Und los.

Ich kam nicht besonders weit. Kaum war ich ein paar Schritte aus der Tür herausgetreten, knallte ein dumpfer Schuss durch die Luft. Eine grüne Dose schlug ein paar Meter vor mir auf den Boden. Noch bevor ich überhaupt überlegen konnte, was es war, explodierte sie. Reflexartig ging ich in die Hocke und schützte eine Augen mit meinen Händen. Auch die anderen machten sich klein. Doch kam keine Druckwelle oder ein lauter Knall, wie wir erwartet hatten, sondern die Dose stieß eine unglaublich große Menge an Rauch aus. Bereits nach wenigen Augenblicken war der gesamte Hof mit den Schwaden gefüllt. Ich konnte kaum meine eigenen Hände erkennen.

Auf einmal pfiffen Schüsse durch die Luft. Sofort zog ich meine goldene Kurzwaffe, doch half sie mir nicht besonders viel, da ich nicht sehen konnte, wo mein Feind war. Wenn ich einfach in den Nebel schieße, treffe ich noch einen von uns. Selbst mit der Betäubungspistole wäre das zu riskant. Ich steckte sie weg. Die einzige Möglichkeit, die uns blieb, war, dass wir irgendwie zum Wagen kommen mussten. Egal wie, wir mussten Mozzys Auto erreichen.

Ich sprang auf und wollte rennen. Meinen törichten Fehler strafte mein Bein umgehend. Es verspannte sich schlagartig und wurde heiß. Hart schlug ich auf dem Boden auf. Mein Oberschenkel schien in Flammen zu stehen. Ich sah, wie immer mehr Füße im Nebel verschwanden und vor den Schüssen flohen, doch hatte ich nicht genug Kraft, um mich hochzuziehen und ihnen zu folgen. Eine Kugel schlug kurz vor meinem Kopf in den Boden ein. Scheiße. Ich musste mich zusammenreißen. Mit einem lauten Stöhnen versuchte ich mich hochzudrücken, doch sobald ich mein rechtes Bein belasten wollte, gab es direkt wieder nach. Bevor ich wieder auf dem Boden aufkommen konnte, griff ein starker Arm nach mir und hielt mich fest. Es war Shoyo. Dankbar sah ich ihn an als mir auf den Beinen hielt. Nur einen kurzen Augenblick später hob er mich komplett hoch und drückte mich an seiner Brust. Jeglicher Widerspruch in mir erstarb als er losrannte.

Die Schüsse pfiffen uns hell um die Ohren. Reflexartig zog ich die Schultern an und betete, dass wir es zum Wagen schafften. Durch den Nebel hindurch konnte ich Val bereits sehen, wie er im schützenden Laderaum verschwand. Es waren nur noch wenige Schritte bis auch Shoyo und ich in Sicherheit sein würden, doch wir schafften es nicht. Shoyo stolperte und bevor ich verstehen konnte, was passiert war, warf er mich nach vorne. Val griff nach mir und zog mich zu sich den Wagen. Es kam mir so vor als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Viel zu langsam fiel Shoyo und auch mein verzweifelter Schrei klang verzerrt. Ich war in Sicherheit, aber nur, weil er es nicht war.

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