32.

8 4 0
                                    

„Das ist der Plan?", fragte ich Val entsetzt als er ihn mir auf dem Weg zur Hütte im O'rmon erzählte. Das war kein Plan. Das war ein sicherer Weg in den Knast. Val nickte ruhig. „Das kannst du mir nicht erzählen. Das wird niemals funktionieren." Ich konnte nur den Kopf schütteln. Bei diesem Plan bereute ich es beinahe mitgegangen zu sein. Aber nur beinahe. Keiner der anderen hatte etwas gesagt, sondern alle hatten während Vals Ausführungen einfach nur genickt. „Mach dir nicht so ne Platte. Lou weiß, was sie macht. Vertrau ihr ein bisschen", sagte Shoyo neben mir. Er legte einen Arm um meine Schulter und entlockte mir ein Lächeln.

„Genau. Vertrau mir mal", erklang Lous Stimme im meinem Ohr. Es war so schön sie wieder zu hören. Sie war mittlerweile wieder halbwegs fit, jedoch noch nicht mobil. Daher hatte uns Quinn ,als wir aufgebrochen sind, kleine Ohrstöpsel gegeben. Dank ihnen konnten wir uns über Funk auch über weite Entfernung unterhalten können. Allerdings war die Reichweite nicht unendlich. Lou konnte uns nur hören, solange wir im Sano waren. Untereinander würden wir uns allerdings auch später noch unterhalten können.

„Ich würde dir mehr vertrauen, wenn du hier wärst", nuschelte ich vor mich her. Hätte sie neben mir gestanden, hätte sie mich wahrscheinlich nicht gehört. Da sie jedoch direkt in meinem Ohr war, konnte sie alles hören. „Ich wäre da, wenn du dich nicht so einfach hättest wegtragen lassen." Es war ein Scherz und sie meinte es nicht böse. Das konnte ich ihrer Stimme anhören. Sie machte mir keinen Vorwurf. Ich dafür machte mir umso mehr. Schuldgefühle übermannten mich. Val tippte mich an und holte mich in die Gegenwart zurück. Dankbar lächelte ich ihn an, doch besser fühlte ich mich nicht.

Lou und Shoyo machten die ganze Zeit Witze und unterhielten sich über Funk. Für Außenstehende musste es ziemlich albern ausgesehen haben, denn ohne Lou zu sehen oder zu hören, wirkte es so, als würde Shoyo mit sich allein reden.

Val und ich liefen ein Stück hinter der Gruppe. Mit einem Fingertippen auf sein Ohr bat er mich das Funkgerät herauszunehmen. Seinem Wunsch kam ich nur allzu gerne nach, denn Shoyo und Lou gingen mir langsam echt auf die Nerven. Ich verstaute ihn in einer kleinen Innentasche meines Mantels. Dabei streifte meine Hand leicht die silberne Betäubungspistole, die unter meiner rechten Brust im Halfter steckte. Das kühle Materiale beruhigte sofort meine Nerven. Für einen Moment ließ ich meine Hand auf ihr ruhen und holte tief Luft. Ich habe eine Chance. Mit ihnen habe ich eine Chance nützlich zu sein.

„Ich kann die Beiden echt nicht mehr hören. Zuhause ist es schon schlimm, aber wenn sie das auch noch in meinem Ohr machen. Das ist einfach zu viel", sagte Val fröhlich. Zwar beschwerte er sich über Shoyo und Lou, doch konnte ich ihm anhören, wie viel sie ihm bedeuteten. Es war wirklich süß. „Ist doch schön, dass sie trotz dieser hirnrissigen Idee noch so munter sind", sagte ich. Auch ich musste lächeln. „Der Plan ist nicht hirnrissig. Er wird funktionieren. Glaub da doch mal dran", entgegnete Val aufgesetzt empört.

Als Antwort lachte ich nur. „Es ist gut, dass du mitkommst", sagte Val leise, beinahe so als hätte er Angst ihn könnte jemand anderes als ich hören. „Die anderen vertrauen dir. Sie setzen auf dich." Er machte eine kurze Pause. „Ich vertraue dir", sagte er noch leiser mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen. Meine Reaktion war ebenfalls ein Lächeln. Mehr nicht, denn ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.

Stattdessen versuchte ich subtil das Thema zu wechseln. „Erzähl mir was über dich", forderte ich Val auf. Wow. Richtig subtil. Val schien von meiner Aussage ähnlich verwirrt zu sein wie ich. „Was willst du denn von mir hören?" Ja. Eine gute Frage. Zu meinem Glück sprach Val weiter. „Eigentlich unterscheiden wir uns nicht so sehr. Nur, dass ich ein paar Jahre vor dir im Sano gelandet bin. Am Anfang war ich auch ziemlich verloren und musste erstmal lernen irgendwie meinen Weg zu finden. Genau wie du." Er erzählte es so als es vollkommen normal verstoßen und verloren zu sein.

Mehr sagte er nicht. Ich wusste, dass er mir etwas verheimlichte, doch hakte ich nicht nach. Val musste seine Gründe haben, warum er mir nichts über sich erzählen wollte. Darum versuchte ich das Gespräch in entspanntere Gefilde zu lenken. „Und woher kennst du Mae?" Kaum war die Frage ausgesprochen, wollte ich mir auf die Zunge beißen. Er machte sich so viele Sorgen um Maeve und seine Familie, dass es wahrscheinlich nicht das Klügste war, genau in diese Kerbe zu schlagen.

Zum Glück störte sich Val nicht an dem Thema. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen und blieb sogar beim Reden. „Mae und ich haben uns zufällig getroffen. Sie hatte vorher ein Jahr im Vermell gelebt und wurde in der Pflege eingeteilt. Sie saß direkt an der Quelle von Medikamenten und Verbandsmaterialien. Und das nutze sie." Sein Grinsen wurde breiter. „Keine Ahnung wie, aber sie hatte schon sehr früh vom Sano und den Zuständen, in denen die Menschen hier leben mussten, erfahren. Kaum hatte sie im Pflegeheim angefangen, bestahl sie es auch schon. So oft sie konnte, brachte sie, soviel sie tragen konnte zu den Bedürftigen. Leider hab ich das nicht immer so gesehen." Er lachte leise vollkommen in seinen Erinnerungen versunken. Wie niedlich.

Ich musste ihn gar nicht ermuntern weiterzusprechen. „Ich habe eine Tour durch die Gassen gemacht, um zu schauen, ob die Alivu Probleme machten. Was man halt so macht." Was für ein harter Kerl. Ich kicherte leise, doch Val ignorierte es. „Ich sah von weitem, wie sie sich über eine Frau, die auf der Straße lagt, beugte. Im Nachhinein hab ich erfahren, dass sie der Frau nur helfen wollte, doch das wusste ich nicht. Ich dachte, dass sie eine von denen war. Also hab ich nicht gezögert und ein Messer nach ihr geworfen." Das Lachen blieb mir im Hals stecken und ich verschluckte mich. „Du hast was?", fragte ich hustend.

Val nickte mit einem fetten Grinsen. „Ich dachte, sie will die Frau töten. Ich musste was tun. Mein Messer traf sie genau zwischen den Schulterblättern. Erst als sie wegstrauchelte, sah ich, dass sie die Frau nicht verletzte, sondern eine Wunde gereinigt hatte. Man, war mir das vielleicht unangenehm." Er schüttelte den Kopf. „Erst musste ich Mae wieder auf die Beine bringen und mich an die tausend Mal entschuldigen. Dann bin ich sie nicht mehr losgeworden. Keine Ahnung, wie das passiert ist, aber sie ist immer wieder aufgetaucht. Als sie dann verbannt wurde, ist sie einfach geblieben."

Er wirkte so glücklich als er mir die Geschichte erzählte. Es schein eine reine und schöne Erinnerung zu sein. So fühlte ich mich immer, wenn ich an meine Kindheit dachte. Klar war das Kala hart, dreckig und ich hatte es gehasst, doch mit Chris war alles besser. Sobald er bei mir war, war ich fröhlicher, glücklicher. Und genau das sah ich bei Val. Mae war sein Chris und das verband uns. Wir wussten beide, wie es war, wenn ein Mensch die ganze Welt besser machen konnte. Umso wichtiger war es also, dass wir sie aus Zrad holten.

RevolteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt