Kapitel 6: Was jetzt?

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<<Allein der Vortrag macht des Redners Glück.>> (Faust 1, Vers 546)

Atemlos lösten wir uns voneinander und ein Blick auf die Uhr verriet, dass wir spät dran waren. „Geh!", flüsterte ich ihr zu, „Es ist viel zu auffällig, wenn wir gleichzeitig kommen. Sehen wir uns nachher noch?" „Auf jeden Fall! Bis später!" Lille richtete ihre Bluse, küsste mich zum Abschied und verließ die Toilettenkabine. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen strich ich mein Jackett glatt und schob den Rock wieder auf die richtige Position. Wenn Alice wüsste, was sie in mir auslöste! Doch das konnte sie bestimmt schon erahnen. Nach etwa fünf Minuten machte auch ich mich wieder auf den Weg zum Plenarsaal.

Genau in dem Moment, als ich den Saal betrat, wurde die Sitzung von der Bundestagspräsidentin Claudia Roth eröffnet. Glück gehabt!

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Am Ende der Sitzung war nun Lille mit ihrer Austrittsrede an der Reihe. Am Rednerpult angekommen, ließ sie ihren Blick durch die Menschenmenge schweifen und blieb kurz an mir hängen. „Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wie der ein oder andere schon mitbekommen hat, werde ich aus der AfD austreten.", begann sie zu sprechen.

„Die Gründe sind vielschichtig und es wäre zu viel, alles im Detail zu erläutern. Im Großen und Ganzen geht es mir vor allem darum, mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Ich möchte für sie da sein; das können einige unter Ihnen sicherlich nachvollziehen. Abgesehen davon war ein anderer wichtiger Beweggrund der Wandel, in dem sich die AfD momentan befindet. Ich bin mit vielen Positionen nicht mehr einverstanden und halte es daher für richtig, auszutreten. Meine lieben Parteikolleginnen und -Kollegen, ich danke euch für die schönen Jahre und wünsche euch alles Gute für die Zukunft!" Sie legte eine Kunstpause ein. „Ich bedanke mich!"

Applaus von allen Seiten ertönte und Lille ging zurück zu ihrem Platz. Der Applaus aller Fraktionen, außer der AfD, waren wahrscheinlich vor Freude über ihren Rücktritt, nicht aufgrund ihrer Worte. Insgeheim war ich sehr froh, dass sie ausgetreten war, denn eine ernsthafte Beziehung mit einer rechten Politikerin wäre für mich nie und nimmer in Frage gekommen. Trotzdem hatte sie jahrelang eben jenes rechte Gedankengut verbreitet und vertreten, weshalb ich unbedingt mit ihr ein klärendes Gespräch suchen wollte, bei dem ich natürlich nicht nur über ihre wahren politischen Positionen, sondern auch über uns beide und wie es weitergehen würde, sprechen wollte.

Chatverlauf:

Sahra: Wann können wir reden?

Alice: Mäuschen, ich glaube wir werden nicht viel reden😼

Sahra: Lille...

Alice: War doch nur Spaß🤍

Alice: 20:00 in meinem Büro?

Alice: bzw Ex-Büro

Sahra: Ok💕

Nach der Plenarsitzung hetzte ich noch zu zwei Interviews und danach hatte ich so gut wie Feierabend. Nur das Gespräch mit Alice war noch ausständig, aber darauf freute ich mich schon den ganzen Tag. Vielleicht könnten wir gemeinsam zu Abend essen und dann noch zu mir fahren? Das wäre in der Tat ein wunderbarer Ausklang dieses anstrengenden Tages.

Dumm und ignorant, wie ich an jenem Tag gewesen war, dachte ich im Bundestag kein einziges Mal an Oskar.

nur wir zwei // weidelknechtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt