Kapitel 2

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Der Besuch war nach fast endlosen 2 Stunden wieder gegangen, das bedeutete dass ich mich endlich wieder frei in unserem großen Haus bewegen konnte, ohne auf die langweiligen Kunden meines Vaters zu stoßen. Im Gegensatz zu mir waren meine Eltern begeistert davon ihren Kunden einen Einblick in unser Privatleben zu bieten und auch ihnen unsere "wundervolle" Familie vorzustellen.

"Denk dran Chloé, in 2 Tagen kommt Sylvain mit seiner Familie zu uns.", wies meine Mutter mich hin kaum als ich einen Fuß in die Küche gesetzt hatte. "Oui Maman.", antwortete ich ohne mir anmerken zu lassen, dass ich keine Lust darauf hatte Sylvain und seine Familie für mehrere Tage an der Backe zu haben. An den Tagen an denen wir Besuch bekamen musste ich immer auf meine guten Manieren achten und den Gästen meine andere, anständige Seite zeigen die ich so gar nicht mochte. Und wenn Sylvain uns besuchen kam musste ich mich noch besser anstellen, um von Besuch zu Besuch einen guten Eindruck bei seinen Eltern zu hinterlassen.

Ich schnappte mir eine Schüssel mit Chips und ging nach draußen, um mich auf die Veranda zu setzen und dort mein Buch weiter zu lesen. Ich war vertieft in die Geschichte und ich nahm Seite für Seite, Satz für Satz und Wort für Wort in mich auf. Ich könnte den ganzen Tag lesen und mich in andere Welten denken in denen so manches einfacher war als im echten Leben. Das Zwitschern der Singvögel das in meine Ohren drang heiterte meine angeschlagene Stimmung wenigstens etwas auf, genauso wie der sanfte Duft der Blumen die meine Mutter vor ein paar Wochen begeistert in die verschiedenen kleinen Beete eingepflanzt hatte.

Unser Garten war übersät mit verschiedenen Pflanzenarten und Bäumen die die große Rasenfläche säumten, außerdem hatten wir unzählige Sitzecken die den Garten um einiges gemütlicher machten. Meine Mutter legte viel Wert auf einen gepflegten Garten, deshalb hatten wir einen Gärtner der mindestens einmal in der Woche alles auf Vordermann brachte und unsere Pflanzen goss.

Mein Vater kam nach einigen Minuten in denen ich ununterbrochen gelesen hatte nach draußen und setzte sich zu mir an den Tisch. Aus dem Augenwinkel sah ich wie er zu mir blickte, also ließ ich das Buch sinken und sah ihm fragend in seine braunen Augen. "Chloé, ich wollte dich fragen, ob du schon weißt was du mit Sylvain unternehmen willst, wenn er kommt? Er soll sich bloß nicht langweilen."

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass meine Eltern Sylvain besser leiden konnten als mich, jedenfalls die Seite die sie von Sylvain kannten. Denn auch Sylvain hatte nicht nur seine feine Seite, er konnte auch anders sein, fast schon sympathisch und manchmal sogar lustig. Andauernd fragten sie mich, ob ich  bescheid wusste wie es ihm ging, wie seine Schulnoten waren und ob er irgendwelche Probleme hätte, aber nach mir fragten sie so gut wie nie. Meine Probleme waren zweitrangig und ob es mir gut ging war anscheinend nicht besonders wichtig.

"Nein, ich glaub ich frag ihn einfach worauf er Lust hat und dann sehen wir einfach mal was wir machen. D'accord?" "Oui, gute Idee. Aber überlege dir am besten trotzdem schon mal wohin ihr gehen könntet. Vielleicht könnt ihr ja etwas mit deinen Freunden unternehmen.", antwortete er und sah mich ernst an. Ich nickte nur und hob mein Buch wieder vor mein Gesicht, denn ich war mir nicht sicher wie lange ich noch vor ihm verbergen konnte, dass es mir scheiß egal war ob Sylvain bei seinem Besuch Spaß hatte oder nicht.

Ich wollte nicht, dass Sylvain meine Freunde kennenlernte, denn ich wollte nicht, dass er noch mehr über mich wusste als unbedingt nötig war. Und er sollte erst recht nicht Timothée kennenlernen, weil ich nicht wollte, dass die beiden Bekanntschaft miteinander machten und ich wollte auch nicht, dass Timothée wusste, dass ich das mit Sylvain nicht freiwillig tat. Ich musste Timothée in dem Glauben lassen, dass Sylvains Familie nur Freunde meiner Familie waren.

So war mein Leben eben, ein Gerüst aus Lügen die sich gegenseitig stützten, aber irgendwann würde es zusammen brechen und genau das machte mir Angst. Große Angst.

C'est la vie : Personne n'a dit que c'était facileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt