12 - Wettersturz

81 20 84
                                    

In den letzten acht Wochen hatten Anna und er sich ein paar Mal mit Lari, Massimo, Ela und Thomaso getroffen. Sie waren beispielsweise einen Abend ins Kino gegangen, wo Larissa sich ganz verwirrt gezeigt hatte, als seine Freundin sich geweigert hatte, irgendwas während des Films zu naschen. Einerseits amüsierte es ihn tierisch, dass Lari und ihre Freunde es offensichtlich genauso wie er für selbstverständlich hielten, dass seine Liebste die gleichen Dinge machte wie normalgewichtige Jugendliche. Es machte ihn jedoch betroffen, weil Anna deswegen jedes Mal so vor den Kopf gestoßen war. Sie erwartete automatisch Häme und Spott, wenn sie etwas anderes als Wasser oder Kaffee in der Öffentlichkeit zu sich nahm.

Demnach hatte es ihn sehr gefreut, als Anna gegen Mitte des Films einmal in seine Tüte Popcorn gegriffen und sich eine Hand herausgenommen hatte. Er hatte sie beobachtet, wie sie es genüsslich verspeist hatte. Er hatte auch bemerkt, wie Laris Augen zufrieden und vergnügt geglitzert hatten. Zum Glück hatte niemand ihr Tun kommentiert. Das hätte sie womöglich wieder verschreckt. Aber so war es ok gewesen. Sie hatte ihn danach glücklich angelächelt und ihren Kopf auf seine Schulter gelegt.

Er hatte bemerkt, dass es sie Überwindung gekostet hatte, ihrem Verlangen nachzugeben, etwas in der Öffentlichkeit zu naschen. Aber er hatte auch gespürt, wie gerührt sie gewesen war, dass niemand daran Anstoß genommen hatte. Allein deswegen war es ein gelungener Abend gewesen. Er fand Larissa und ihre Truppe war genau, was sie brauchen konnten. In erster Linie Anna. Sie brauchte Menschen um sich herum, die sie nicht für ihre Maße verurteilten, sondern mit ihr umgingen, als hätte sie kein Übergepäck. Wenn er ehrlich war, sah er es nicht mal mehr. Sie war für ihn schön so, wie sie war.

Sein Studium hatte jetzt ebenfalls begonnen und er fühlte sich wie in einem Paralleluniversum. Alles Gleichgesinnte, die auch tagtäglich am Zeichentisch sitzen und die Zeit vergessen konnten. Gut, der Theorie-Studiengang langweilte ihn ein bisschen. Er war eher ein Praktiker, aber das gehörte einfach dazu. Doch ansonsten fand er alles ganz spannend und toll. Dafür bezahlte seine Ma jedoch auch eine Menge. Immerhin war die HfK-G* eine Privatschule. Sie hatte ihm aber versichert, das wäre kein Problem. Sie und sein Pa hätten schon seit seiner Ankunft in der Familie ein Sparkonto für den Fall gefüttert, dass er studieren würde. Also kam er mit seiner Halbwaisenrente, dem Kindergeld und dem Bafög gut hin. Wenn sich daran etwas ändern würde, konnte er sich immer noch einen regelmäßigen Aushilfsjob irgendwo suchen.

Anna hatte ja ihr Lehrgehalt, das Kindergeld und die Alimente, die ihr Vater ihr bezahlte. So kam auch sie ganz gut um die Runden. Sie war ohnehin sparsam. Viel mehr als er. Er würde sich in den Semesterferien Jobs suchen müssen, damit er ein paar Kröten extra hatte, aber das war kein Problem. Anna war ja sowieso im Büro, da konnte er auch arbeiten gehen. Für die Miete und die Lebenshaltungskosten legten sie fifty-fifty zusammen und wenn sie ausgingen, wechselten sie sich ab mit bezahlen. Es ging alles reibungsloser, als er sich das vorgestellt hatte. Mit Anna war es ohnehin mühelos. Sie war total anspruchslos. Für seinen Geschmack manchmal zu sehr. Sie forderte nie etwas.

„Hey, Flo, wie sieht's aus? Kommst du noch mit auf einen Absacker? Damian, Berni und Phil kommen auch mit. Eventuell noch Silvia", fragte Carola aus seinem Kursus und er sah auf die Uhr.

‚Eigentlich hab ich heute nach Hause wollen. Zu Anna. Aber vielleicht kann ich sie diesmal überreden, dass sie zu uns stößt? Ich möchte nicht vor der Glotze hocken. Ich bin viel zu aufgedreht. Die erste Projektarbeit...', dachte er und nickte, ehe er sagte: „Ja, wieso nicht? Ich frag meine Freundin, ob sie dazukommt, ist das ok?"

„Klar. Wir sind schon alle gespannt, ob es deine Phantomfreundin auch gibt oder ob es nur eine Ausrede ist, damit die Mädels dich nicht anbaggern...", neckte Carola ihn und er schnaubte.

„Wieso sollte man eine Fake-Freundin erfinden, um nicht angebaggert zu werden? Und warum zum Teufel sollte jemand mich anmachen wollen...", fragte er automatisch und bemerkte, wie Carola sich über die Lippen leckte.

Mein Name ist Anna!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt