46 - Wolkenwand

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Seine Brust war erfüllt von einem einzigen Klumpen aus Eis und Angst. Sie klang so entmutigt und ängstlich. Sie verletzte sich. Sie aß nicht. Diese Stufe hatte sie nun übersprungen. Sie sprach von sich, als wäre sie in mehrere Teile zerschellt. Er konnte kaum atmen. Das ging so nicht weiter. Er brauchte die Antwort. Dringend. Er musste ihr eine Alternative bieten können.

Denn er gab ihr Recht. Da drin würde sie irrewerden. Sie sehnte sich nach Beleidigungen, verdammt! Weil sie nicht mehr wahrgenommen wurde! Sie rutschte da in ganz gefährliche Verhaltensweisen, mit denen nicht zu spaßen war! Er musste dem Einhalt gebieten! Denn sie konnte es offenbar nicht weiter. Der Zustand ihrer Unterarme und Oberschenkelinnenflächen verriet das. Wieso hatte er nicht schon früher darauf bestanden, dass sie mit ihm sprach?

„Es tut mir so leid, Ace. Dass ich nicht stärker bin, das nicht aushalten kann. Das hast du nicht verdient. Jedes Mal meine Scherben zusammenkleben zu müssen. Es tut mir leid. So leid. Bitte verzeih mir...", hauchte sie jetzt und nun kapierte er, was sie in der Nacht flüsterte, wenn sie schlief.

„Es ist ok, Arielle. Wir bekommen das hin. Irgendwie. Hm, vielleicht, hm, äh, professionelle Hilfe?", schlug er leise vor und Anna sah ihn lange an, ehe sie seufzte.

„Meinst du wirklich, dass ich mit einem Fremden reden könnte, wenn ich nicht mal mit dir oder Lari sprechen kann?", hielt sie dagegen und er nickte betroffen.

„Ich lass mir etwas einfallen, ok? Wir kümmern uns darum, dass du gesehen wirst. Doch du solltest trotzdem drüber nachdenken, dir Hilfe zu suchen. Ich mach mir Sorgen", murmelte er automatisch und sie schniefte und weinte noch mehr.

„Ich will auch nicht aufgeben. Aber es ist so schwer geworden. Ich spür mich nicht. Wo bin ich hin, wo hab ich mich verloren? Ich brauch Hilfe, von dir, nicht von jemandem, der mich nicht versteht. Mein Kopf ist so leer und gleichzeitig so voll. Es tut mir leid", wisperte sie und er vergrub sein Gesicht in ihren Locken und brach ebenfalls in Tränen aus.

Sie klang, als stünde sie an einem Abgrund und würde an dessen Rand entlangbalancieren. Der sie zu verschlingen drohte. Falls sie nicht sofort daran arbeiteten, sie von dort zurückzuholen. Es half nichts, ihr jetzt Vorwürfe zu machen, wieso sie so lange geschwiegen hatte und nicht gewillt war, professionelle Hilfe aufzusuchen. Er konnte sich nur mit der Ist-Situation auseinandersetzen.

„Nicht. Es tut mir leid. Bitte wein nicht, Ace. Bitte. Gib mich nicht auf. Sonst geb ich auf. Ich kann nicht mehr. Es tut mir leid. Ich hätte früher sagen sollen, was in mir vorgeht. Aber ich dachte, ich hätte es im Griff. Und dann hab ich mich so geschämt, weil das nicht der Fall ist. Ich hab die Kontrolle verloren. Die ist doch wichtig. So essenziell, wie eine Ausbildung zu haben, damit man eine Zukunft hat. Was soll ich nur tun? Verzeih mir, Ace. Bitte. Wein nicht. Das bringt mich um. Ich liebe dich. Ich bin da. Noch bin ich da... irgendwo", flüsterte sie kaum hörbar und er hörte die Verzweiflung in ihren Worten.

Er begriff, dass er anerkennen musste, dass sie sich zwang, dem standzuhalten. Doch seine Tränen vermittelten ihr anscheinend, sie sei nicht mehr zu retten. Dabei heulte er nicht, weil er dachte, er hätte sie verloren, sondern da sie sich so quälte.

„Ich weiß, Anna. Ich sehe dich. Dein ganzes wunderschönes Farbspektrum eines Regenbogens, Arielle. Das in allen Facetten des Lichts seine Strahlkraft ausbreitet. Es hat sich nur eine Wolke vor die Sonne geschoben. Aber du bist da. Ich weiß das. Ich weiß, wie hart du kämpfst, um die Wolkenwand zu durchbrechen. Ich bin da, ok? Jetzt helfe ich dir. Uns fällt was ein, Arielle. Ich verspreche es dir. Wir geben nicht auf", raunte er und hörte, wie sie heftig ausatmete, weil sie die Luft angehalten hatte.

„Du bist mir nicht böse?", fragte sie so kleinlaut, dass ihm nochmal enger in der Brust wurde.

Darum hatte sie nichts gesagt: Sie hatte zu spät erkannt, worin sie steckte und wollte ihn nicht wütend machen. Doch er war nicht sauer. Betroffen, ja. Zu Tode erschrocken auch. Aber nicht zornig. Nicht auf sie. Auf die Leute in ihrer Arbeit schon.

Mein Name ist Anna!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt