50 - Wolkenfront

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‚War ich besoffen den Abend', erinnerte sie sich ein paar Wochen später, während sie sich im Büro umsah und ein Seufzen unterdrückte.

Sie sollte erneut die Regale auswischen. Könnten seit gestern ja wieder eingestaubt sein. Ihr Kopf blockierte heute, dass sie lernte, und sie wurde ja weiterhin ignoriert. Außerdem konnte sie nochmal von den Erlebnissen des weiteren Abends zehren, dachte sie und schickte ihre Gedanken zu dem Moment, an dem Lina verkündet hatte, sie müsse ihr was mitteilen. Sie hatte schon ein bisschen getrunken und gewitzelt, dass sie wohl hoffentlich nicht Tante werden würde und ihre Schwester hatte die Augen verdreht und gemeint, ihre Mutter würde sich von Hartmut trennen.

Daraufhin war nicht nur ihr die Klappe heruntergefallen, entsann sie sich und Flos fassungsloses Gesicht baute sich vor ihrem inneren Auge auf, während sie erneut den Kopf schüttelte und die Leiter für die hohen Regale holte. Irgendwann würde sie sich sicher noch den Hals brechen, so wie ihre Knie immer zu zittern begannen, wenn sie auf die Tritte stieg. Aber es half nichts, sie musste wenigstens ein bisschen das Gefühl haben, sich ihr Geld zu verdienen.

Wieder wanderten ihre Gedanken zurück und sie musste eingestehen, dass sie Lina nicht geglaubt hatte. Nicht, bis sie die Geschichte zu dieser Feststellung erzählt hatte. Es war ihr eiskalt den Rücken hinabgelaufen, als Alina geschildert hatte, dass Hartmut sie vor der Freundin ihrer Mutter bloßgestellt hatte. Indem er Lina dafür kritisierte, wenn sie sich schon rasiere, könnte sie die Intimbehaarung wenigstens aus der Wanne entfernen. Obwohl er damit recht hatte, könnte er das auch in einem Vier-Augen-Gespräch klären und überhaupt: Falls sie daran dachte, wie oft sie SEINE Haare irgendwo weggewischt hatte, wurde ihr weiterhin anders.

‚Aber da hat schon immer zweierlei Maß gegolten', stellte sie fest und wusch den Lappen aufs Neue aus, um das nächste Regalbrett zu reinigen.

Letztlich habe ihre Mutter da einen Streit begonnen, weil sie nicht einsah, wieso Hartmut Lina so bloßstellte. Das hatte sie ehrlich gefreut - nein, das brachte sie weiterhin zum Strahlen. Also hatte ihre Mama zu guter Letzt doch noch ein Einsehen gehabt. Sie hatte ihre Ma ein paar Tage später angerufen und die hatte ihr die Tatsache bestätigt. Zwar hatte sie sich geärgert, wieder den ersten Schritt gemacht zu haben, aber vielleicht war das egal. Lina würde künftig in Sicherheit sein und das befreite sie von einer weiteren Last.

‚Das war jedoch nicht das Highlight gewesen', erinnerte sie sich und jetzt schmunzelte sie aus ganzem Herzen.

Denn plötzlich war Massimo vor Lari auf die Knie gefallen und hatte ihr einen Antrag gemacht. Sie hatte ihre Freundin selten so sprachlos und gerührt gesehen, wie in dem Moment. Jonah war genauso vor Freude durchgedreht, wie Massimos Angehörigen. Wie immer zog sich ihre Brust vor Rührung zusammen, als sie an Jonahs Leuchten dachte, derweil er verkündete, dann wären sie bald eine richtige Familie. Sie hatte gemerkt, wie alle Anwesenden inklusive Massimo die Luft angehalten hatten, während sie auf Laris Antwort warteten.

Die natürlich zugestimmt hatte. Was hieß, sie würde wohl bald ein Kleid tragen, da sie die Trauzeugin sein sollte. Erneut schüttelte ungläubig den Kopf. Wie viel sich in den vergangenen Monaten geändert hatte! Sie hatte echt das Gefühl, langsam wieder bei sich anzukommen. Die Bandproben taten ihr Übriges dazu. Allerdings ballte sich sofort aufs Neue Anspannung an ihr, wenn sie an den bevorstehenden Gig bei Massimos Großeltern dachte, die ihre diamantene Hochzeit feierten. Heilige Scheiße, das war schon eine Nummer und genau deswegen würde sie sich überwinden und das zusammen mit ihren Freunden durchziehen.

‚Immerhin hab ich ja nichts zu verlieren. Sie sind ja bei mir und der Teil, den ich von Massimos Familie kenne, ist so wunderbar warmherzig', dachte sie und grinste automatisch, als sie ihr Thomasos Lachen in den Sinn kam, als seine Mutter sofort ihn ins Visier nahm, nachdem Lari bejaht hatte.

Mein Name ist Anna!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt