28 - Wettererscheinung

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Wie sie sich hasste. Das war so, seit sie denken konnte. Seit ihr bewusst war, dass die Menschen ewig so auf sie reagieren würden, wie der Hauptteil das tat. Mit Unterbrechungen. Es hatte immer mal wieder Zeiten gegeben, da war sie mehr mit sich im Reinen gewesen, aber auch welche, wo sie den Anblick ihrer selbst im Spiegel kaum ertrug. Im Moment traf Letzteres zu. Sie hatte versucht, an dem festzuhalten, was sie gelernt hatte, seit Flo in ihr Leben getreten war. Dass ihr Name Anna war und sie keine anderen Bezeichnungen definierten.

Aber es war ihr nicht mehr möglich gewesen, sich damit aufzubauen, dachte sie und schrak zusammen, als sie hörte: „Anna, wir gehen dann los! Sollen wir was mitbringen?"

„Nein. Alles ok!", rief sie zurück und schloss die Augen, weil sie sich so sehr danach sehnte, dass er sie an seine Brust zog und ihr einen Kuss auf die Lippen drückte.

Doch sie vernahm nur Flos Zustimmung und dann, wie die Haustür zuklappte. Bedrückt zog sie sich aus, duschte schnell und schlüpfte anschließend in die weitesten Klamotten, die sie besaß. Mit denen gammelte sie sonst herum. Heute würden sie die Wohnung verlassen. Sie hatte einiges zu erledigen, immerhin hatte sie die letzten Tage gewütet wie ein Berserker. Sie seufzte und verließ die Wohnung. Im Grunde wollte sie sich verkriechen. Aber das würde Flo nicht milder stimmen.

*

Als sie die Wohnungstür aufschlossen, roch er frische Farbe und er warf seiner Mutter einen verwirrten Blick zu, die mit den Schultern zuckte. Von Anna war keine Spur, aber abgesehen von dem Geruch des neuen Anstrichs nahm er noch sachten Zitrusduft wahr. Sie hatte also geputzt. Sie war jedenfalls fleißig gewesen, dachte er, als er die Schuhe auszog und feststellte, dass auch eine frische Lage Zeitungspapier auf dem Schuhregal lag. So beschädigte die Nässe nicht das Möbelstück, hatte sie ihm verraten, als er sie damit aufgezogen hatte, ob sie während des Schuhanziehens die neuesten Angebote checken wollte.

Sie hatte ihn dann lange angesehen und ihn ernst gefragt, ob sie zu penibel sei. Sie habe sich das nur alles so angewöhnt, um Ärger mit Hartmut aus dem Weg zu gehen. Der trotzdem nie zufrieden gewesen war, erinnerte er sich und unterdrückte ein Seufzen. Er spähte ins Bad und stutzte, als er den neuen Spiegel darin entdeckte. Auch hier nahm ihn der Geruch nach frischgewaschener Wäsche und Zitronenduft in Empfang. Sie war wirklich fleißig gewesen. Während er missmutig neben seiner Mutter hergelaufen war. Er wusste nicht, wie er sich nach dem gestrigen Abend - oder besser - der Nacht verhalten sollte.

Er wusste nur, dass ihn schlagartig Erleichterung geflutet hatte, als er gehört hatte, dass sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Noch Sekunden vorher hatte er kraftlos in den Armen seiner Mutter gelegen, der festen Überzeugung, dass irgendwann die Polizei klingeln und ihm mitteilen würde, sie hätten Anna aufgefunden. Aber sie hatte vor ihm gestanden, völlig verunsichert. Weshalb er der plötzlich aufwallenden Wut nicht nachgegeben, sondern darum gebeten hatte, dass sie zu Bett gingen. Sie hatte so bekümmert gewirkt, als sie geflüstert hatte, sie liebe ihn.

Da hatte er bereits verstanden, dass es ihr leidtat. Aber er konnte nicht über das hinwegkommen, was er in ihrem Blick gesehen hatte. Dass sie ihn genauso alleinlassen wollte wie sein Vater. Nur hatte sein Papa keine Wahl gehabt. Sie hatte sich dazu entschlossen. Was, wenn sie den Entschluss irgendwann doch in die Tat umsetzte? Das könnte er nicht durchstehen. Egal, wie oft ihm seine Ma noch gut zuredete.

„Flo? Ich glaube, sie sitzt auf dem Balkon", riss seine Mama ihn aus seinen Gedanken und er nickte, während sie anmerkte, Anna habe die Eisflecken in der Küche überstrichen.

Beim flüchtigen Blick in die Küche stellte er fest, dass sie auch die leeren Flaschen weggebracht hatte. Doch das tröstete ihn ebenfalls nicht darüber hinweg, was sich in den letzten drei Tagen zugetragen hatte. Da seine Mutter ihn weiter abwartend ansah, wandte er sich seufzend dem Wohnzimmer zu, um es zu durchqueren und den Balkon zu betreten, wo Anna tatsächlich still und eingesunken auf einem der Stühle saß. Die hatte er von zuhause mitgebracht, als sie hierhergezogen waren. Die Kippe in ihrer Hand zitterte, merkte er. Sie wirkte so müde, wie er sich fühlte.

Mein Name ist Anna!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt