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Und spät abends saß sie also wieder vor ihrem Bildschirm und grübelte in die Nacht hinein. Spät war es sicherlich schon, aber warum sich nun schlafen legen, wenn die Augen offengeblieben wären? Warum hätte sie sich die Decke überlegen sollen, den Körper wärmen, wenn die Seele kalt blieb? Sie dachte an ihre Kopfschmerzen. Bald kämen sie wieder. Und er wahrscheinlich auch. Ihr Handy daneben leuchtete auf.

Was sie denn gerade mache, schrieb er ihr. Ob sie denn nicht vorbeischauen wolle. Sie zog ihr Sweatshirt langsam hoch und betrachtete unter dröhnender Migräne die Flecken auf ihrem Brustkorb. Nein, es sei schon zu spät. Die Katze schliefe schon. Und sie auch bald. Also werde das heute wahrscheinlich nicht mehr klappen, so Mila. Und sie hatte ja auch recht. Bis zu ihm fuhr sie mit dem Zug bestimmt mehr als eine halbe Stunde und wenn dann auch noch dazu kam, dass vorne diese Umleitung war – nein, das hätte einfach nicht funktioniert. Außerdem hätte ihre Mitbewohnerin dann auch wieder gefragt. Das musste nun wirklich nicht sein. Also war es ein „Nein".

„Du denkst daran", er sendete eine Sprachnachricht. Milas Kopf brannte. Ja, sie dachte daran. An ihn und an alles, aber vor allem an ihn. Und sie warf ihr Handy auf das Bett und stellte sich schon jetzt vor, wie es sich bald anfühlen werde. Dann, wenn sie ihn wieder sah. Und dann, wenn er ihre Lippen mit einem Kuss rot färbte, bevor er ihr auch das Auge verfärbte und sie dann wieder schrie. Aber so war es. Sie kannte es so.

Und mit schweren Augen schmiss sie sich auf ihr Bett. Sie legte die Decke über, die nichts brachte und senkte ihre Lider, aber nur so lange, bis er ihr in den Sinn trat. Denn dann sprang ihre Seele auf und sie war hellwach. Und stundenlang lag er bei ihr, in Gedanken, aber das war nun fast so, als ob er tatsächlich bei ihr war. Denn dort schlug er seine Arme um sie und hauchte ihr in den Nacken, bis er dann irgendwann eingeschlafen war. Und sie dachte so lange daran, was diese Arme noch vor zehn Minuten taten, bis ihr Übel wurde und ihr Körper sich dem Zittern hingab, ihr die Kraft schließlich dann doch ausging und sie einschlief. Und am nächsten Tag wäre sie normal aufgestanden, hätte wahrscheinlich Eier gemacht, denn die mochte er ja so gerne und sie hätte gelacht – denn die Sonne schien ja und da dürfe man nicht traurig schauen, so sagte er es.

Am nächsten Tag stand sie dann auf. Für sich selbst kochte sie nie Eier oder machte sich generell kein Frühstück, denn das war zunächst einmal zu viel Arbeit, aber es erinnerte sie dann auch an ihn und das musste nun wirklich nicht schon so früh am Morgen geschehen. Also stand sie einfach auf und folgte der Routine. Toilette, Zähne, bisschen schminken, anziehen, die Katze füttern, denn die wäre sonst wieder sauer geworden. Sie fuhr mit dem Zug zu Uni und verbrachte dort den Tag. So lange, bis ihr die Laune verging, was sehr schnell geschah, denn der Dozent hatte ein Auge auf sie und brachte schon öfters ihre Kleidung in Zusammenhang mit ihren Noten. Und nachdem sie wütend aus dem Gebäude stampfte und sich wünschte, dieser Idiot von einem Lehrer hätte ihr einfach gesagt, dass er auf sie steht, damit sie ihm eine Absage hätte geben können, zog sie dann später mit den Freunden in der Stadt herum. Und das war durchaus wichtig, denn Jenny und Lea waren bestens informiert, was den Dozenten anbelangte. Und der Hunger kam dann irgendwann auch.

Doch als sie dann wieder bei der Salatbar saßen und alles in dröhnendem Gelächter verschlungen wurde, begann Milas Kopf erneut, ihr Probleme zu machen. Denn er schrieb. Wo sie denn sei, wie immer. Ach, ich bin mit meinen Freundinnen unterwegs. Mach dir keine Sorgen! Und sie war sich auch sicher, dass er das nicht tat. Er war nie besorgt um sie. Vielmehr wollte er eigentlich nur wissen, mit welchen Typen sie heute wieder die Straßen unsicher machte. Was ja nie geschah. Es kam noch nie vor, dass sich Mila „hinter seinem Rücken" mit dem anderen Geschlecht traf. Nein, nein, da gab es nur ihn. Aber das musste er ihr erst einmal glauben.

„Ich denke, ich muss los Leute!", Mila sprang auf und sah ihre Freundinnen mit einem aufgesetzten Lächeln an. Jenny, die eigentlich Jenni geschrieben wurde, aber das war ja zu uncool, richtete sich auf und packte Mila am Handgelenk.

„Mach keinen Unsinn, Mila", und schenkte ihr einen sorgevollen Blick und die gehobene Augenbraue. „Bloß nicht, hörst du?" Aber Mila war schon in Gedanken weggelaufen. Sie stand schon quasi neben ihm. „Ja, ja", und sie sprintete aus dem Lokal. Er habe bald aus, das schrieb er. Er warte auf sie.

Vor dem Gebäude kannte man sie schon. Sie war ja nun ziemlich oft hier. Weswegen oder wegen welcher Person, das fragte niemand. Es durfte auch keiner wissen. Und als sie da so stand, wie ein Fangirl, das darauf wartete, ihr Held käme aus dem Turm gesprintet, da kam niemand. Und sie stand da. Zunächst waren es nur zehn Minuten, danach wurden es mehr. Bald blickte sie auf die Uhr. Wollte er sie denn bestrafen? Sie so kalt und lustlos dastehen lassen, wie irgendwelches Essen, das nie abgeholt wurde. Und sie folgte dem Zeiger auf der Uhr, wie er jede neue Minute anschlug, bis er ihr dann doch schrieb.

„Geh zu mir. Ich komme dann nach. Aber pass auf, dass dich keiner sieht, ja?" Mila atmete einmal tief durch, beruhigte sich, er sei ja ein vielbeschäftigter Typ, und ging weiter. „Zu mir", das hieß eine zwanzigminütige Bahnfahrt. Dort wo viele Häuser waren. Er hatte sich eine kleine Wohnung besorgt, direkt über einer alten Dame, ein bisschen außerhalb der Stadt. Zu den anderen konnte er nicht, die durften das mit Mila ja nicht wissen. Vor allem die Öffentlichkeit durfte das nicht erfahren, weshalb die Wohnung auch auf irgendeinen und nicht auf seinen Namen geschrieben war. Wenn sich beide dann entweder bei Mila – sofern ihre Mitbewohnerin nicht anwesend war – oder bei ihm trafen, da kam er, vermummt und eingehüllt in schwarze Kleidung. Manchmal nervte es sie, denn eine normale Beziehung zu führen, ging anscheinend nicht. Er hatte bloß den Mut nicht, so dachte sie. Wenn ihm wirklich etwas an ihr gelegen hätte, dann hätte er auch bestimmt auf sein lupenreines Image gepfiffen und sich zu ihr bekannt. Aber das tat er nicht, weil... einfach so.

Immerhin hatte er diese Wohnung hier gekauft. Ganz allein, mit seinem eigenen Geld sogar. Er schien richtig stolz darauf zu sein, vor allem wenn er erzählte, dies sei alles nur für Mila. Denn er liebe sie ja so sehr. Die Wohnung war innen sehr steril. Dort war nicht viel Platz – das merkte Mila erneut, als sie in der Tür stand. Den meisten Raum nahm das große Bett ein. Die Küche, die war auch relativ groß. Und obwohl neben dem kleinen Fernseher und den paar Bildern von Beiden an der Wand das Zimmer recht wenig schmückte und alles doch sehr trostlos schien, hatten sie schon viel Zeit hier verbracht. Anfangs auch eine sehr schöne Zeit.

Es klingelte. Sie hatte sich gerade erst etwas Wasser warm gemacht. Noch bevor sie öffnen konnte, drehte sich ein Schlüssel in der Tür um und er stand vor ihr. Wütend sah er aus, verschwitzt und ganz nass. Draußen hatte es zu regnen angefangen. Er ging hinein und zog sich seine Kapuze ab. Ihr schenkte er keinen einzigen Blick. Die Schuhe zog er sich zwar aus, warf sie aber in eine Ecke und verschwand im einzigen Zimmer.

„Du musst immer die Fenster zu machen!", Mila kniete sich zu Boden, um seine Schuhe richtig hinzustellen. „Ja, ich weiß. Ich bin auch gerade erst gekommen. Willst du auch einen Tee?", aber er hörte nicht und kam wieder auf sie zu, nachdem die Vorhänge geschlossen waren.

„Das muss das Erste sein, was du tust, wenn du hier reinkommst, klar?", und er packte sie bei den Schultern. „Ja, es tut mir leid, in Ordnung? Ich hatte einfach nicht daran gedacht." Mila löste sich aus seinem Griff, aber er tat es erneut. Und er zog sie zu sich.

„Mit wem warst du denn in der Stadt?", wollte er wissen.

„Das weißt du doch – mit meinen Freundinnen."

„Bist du dir da sicher?"

„Ja, bin ich", sie seufzte und sah ihn genervt an. „Was willst du? Glaubst du, ich treffe noch andere?"

Er schwieg und blickte auf ihren Körper hinab. Dann ließ er sie los.

„Nein, das glaube ich nicht. Ich hoffe es nicht."

Und sie redeten nicht mehr viel. Es war spät geworden. Mila warf die Reste aus dem Kühlschrank in eine Pfanne und versuchte, etwas Genießbares für beide zu kochen. Er musste heute viel trainiert haben. Er hatte keine Kraft. Und sie wollte ihn und seine Geduld nun auch nicht mehr herausfordern. Also schwieg sie – keinen Streit heute. Nach einer Dusche lag er nur im Bett und schlief bald ein. Mila neben ihm. Als er ihr wieder ins Genick hauchte, fragte sie sich erneut, was sie hier tat. Warum wollte er sie sehen? Er empfand nie was für sie. Er wollte sie nicht. Er wollte bei ihr sein, ja, aber nicht mit ihr. Körperlich gefiel Mila ihm sehr – das betonte er immer wieder. Doch mehr als ihren Körper schien er nicht zu begehren. Manchmal schliefen sie miteinander, jedoch nur selten. Meistens brauchte er nur jemanden, den er halten konnte und der ihm zuhörte. Auch wenn er Choi Yeonjun hieß, Millionen machte und alles hatte, was einem die Welt nur schenken konnte, war er doch wie alle anderen. Und am meisten ärgerte Mila, dass sie all das wusste, aber trotzdem schweigend weitermachte.

Gold ain't shinin' // Choi YeonjunWo Geschichten leben. Entdecke jetzt