Mit sechzehn Jahren gab es jemanden in Milas Leben, der sich sehr für sie interessierte. Zwar gingen sie nicht mehr gemeinsam in dieselbe Klasse, doch kannten sie sich aus ihrer Kindheit noch sehr gut, begrüßten sich, wenn sie sich auf den Fluren der Schule sahen, wechselten ab und zu ein paar Wörter miteinander. Felix, an dessen Nachnamen sich Mila nicht einmal mehr erinnern konnte, schien jedoch, mehr aus ihnen zweien machen zu wollen als nur Bekannte, die sich am Morgen ein „Hallo" zuriefen.
Als sie dann beide später zu einer Geburtstagsfeier in ihrer Nachbarschaft eingeladen wurden, bei der der Alkohol in Mengen floss und die Musik lauter war, als es Ärzte einem empfehlen würden, kamen sich die beiden näher. Mila war erstaunt, welch ein guter Zuhörer Felix war. Schon nach ein paar Bier ließ sie ihn in ihre Welt Einblick haben. Und auch Felix scheute nicht davor zurück, sich ihr zu öffnen. Die Sterne wurden immer klarer, die Nacht immer kälter, Mila immer betrunkener und beide kamen sich näher. Der Junge legte ihren Arm um sie. Sie sahen sich tief in die Augen – und küssten sich.
Mila konnte sich wenig daran erinnern. Hätte man sie gefragt, wie sie das Gefühl beschreiben müsse, wäre sie ratlos gewesen. Doch sie erinnerte sich an etwas anderes. Gerade als sie ihre Lippen von den seinen lösen wollte – es waren bestimmt schon etliche Minuten vergangen –, fühlte sie etwas Ungewohntes zwischen ihren Beinen. Es war Felix' Hand. Mila versuchte sich zu befreien, drückte den Jungen von sich weg, doch schien es nur wenig zu bewirken. Er wollte nicht von ihr ablassen, warf sich über sie und berührte sie auch an anderen Stellen. Erst als Mila begann zu schreien, schenkte er ihr Gehör und wich von ihr.
„Du wolltest es doch", sagte er mit weit offenen Augen. Mila, deren Tränen bereits ihr Gesicht bedeckt hatten, sprang auf und lief weg. Sie lief nach Hause. Glücklicherweise wohnte sie nicht besonders weit entfernt. Schon kurze Zeit darauf war sie angekommen und sank hinter der geschlossenen Haustür zu Boden.
Ihr Vater, der gerade aus dem Schlaf erwacht mit einem Glas Wasser auf dem Flur stand bemerkte seine weinende Tochter und eilte zur Hilfe. „Mila? Was ist denn passiert?", sie hielt seine Arme, die ihren Kopf streichelten, fest.
Mila schluchzte. „Ich hab- Und dann er- Er hat- Er hat- Einfach so- Ich- Ich wollte nicht-", der Vater saß sich neben sie und nahm sie in den Arm. Er hatte eine ungefähre Ahnung, was geschehen war. Er beruhigte sie auf seine sanfte Weise und gab ihr Zeit, den Schmerz, die Angst und die Wut aus sich raus zu lassen.
Nach einer Weile wandte sich eine müde und erschöpfte Mila wieder an ihren Vater. „Papa, sind alle Männer so?", sie sah ihn hoffnungsvoll an. „Leider ja, Mila. In dem Alter sind sie alle gleich", er schüttelte den Kopf.
Er drückte Mila etwas von sich weg und sah ihr mit einem großen Lächeln ins Gesicht. „Aber weißt du, ich bin wirklich stolz auf dich, Mila." Diese schien überfordert. „Wieso denn das?", fragte sie ihn. „Du hast auf dich gehört, Mila. Du hast dich von diesem Schwein nicht überreden lassen. Du wolltest das nicht. Du bist zu deinen Gefühlen gestanden und bist weggelaufen. Ich bewundere das, Mila. Hör immer auf dein Herz, ja? Versprich mir das!"
* * *
Auf ihr Herz hören – so hatte Mila bis zu jenem Tag gelebt. Yeonjun kniete vor ihr. Er hatte ihre Hände in die seinen genommen und weinte sich die Schminke vom Gesicht. Mila, die noch sehr überfordert mit der Situation schien und selbst auch den Tränen nahestand, verkniff sich ein jedes Wort, um stark zu bleiben und ihm nicht in die Arme zu fallen.
„Mila, du musst mir zuhören", er sah sie mit erröteten Augen und einer zitternden Lippe an. „Ich weiß, du willst mich nicht. Ich weiß, in welcher Situation du dich befindest. Es ist nicht einfach, so zu sein. Aber Mila, mein ganzes Leben lang, tagein, tagaus, jeden verschissenen Tag bin ich umgeben von Menschen, die mich nicht kennen. Sie sehen mich nicht. Sie sehen mich nur für das, was sie wollen. Für sie bin ich kein Mensch, Mila, ich bin eine Maschine. Ich arbeite, drucke Geld und gehe dann schlafen. Wo bleibt da das Leben, Mila?"
DU LIEST GERADE
Gold ain't shinin' // Choi Yeonjun
FanfictionMila kam für ein Auslandsstudium nach Seoul. Um sich am Arbeitsmarkt zu etablieren, arbeitete sie während dem Studium und in ihren Semesterferien als Praktikantin für verschiedenste Mode- und Kleidungsfirmen, die in der Musikindustrie Südkoreas gera...