Damals kam Mila mit großer Hoffnung nach Südkorea. Auf dem Land irgendwo inmitten Europas aufgewachsen, sehnte sie sich schon immer nach... mehr. Sie konnte es nicht beschreiben, aber sie selbst wusste ganz genau, was sie mit „mehr" meinte. Sie musste weg, sie brauchte eine andere Landschaft, musste andere Luft einatmen, andere Gewässer spüren, um sich erfüllt zu fühlen. Aber dies war nun mal nicht so ohne Weiteres möglich, dort wo sie herkam.
In ihrer Familie hatte sie einen anderen Weg eingeschlagen. Vater und Mutter lebten zwar getrennt und waren selten der gleichen Meinung, doch wenn es um die Bildung ihrer Tochter ging und darum, einen Beruf zu erlangen, hatten beide klare Ziele für Mila vor Augen. Mila besuchte keine besonders gute Schule. Keine mit gutem Flair oder irgendeiner Reputation. Sie sollte ja auch nur ihren Abschluss schaffen. Einen Beruf hatten ihre Eltern bereits für sie: Mila hätte entweder in der Molkerei, bei der auch ihre Mutter arbeitete, anfangen und dort Kauffrau werden sollen oder sie hätte – wenn es nach ihrem Vater ging – eine handwerkliche Karriere einschlagen.
Doch für Mila war beides nichts. Sie betrachtete solche Berufe nicht als schäbig oder gar minderwertig, jedoch hatte sie sich für sich selbst einfach... mehr vorgestellt. Und dieses „mehr" bekam sie auch. Nachdem es in ihrem letzten Schuljahr richtig zur Sache ging, sich alle fragten, was wohl nach dem Abschluss folgte, führte Mila zusammen mit ihren Eltern und Lehrern noch heftige Diskussionen.
„Sehen Sie, ich habe es selten gesehen, dass eine Schülerin aus solchem Hause...", die Lehrerin musterte dabei ihre Eltern mit abwertendem Blick, „...so gute Leistungen in der Schule erbrachte. Mila hat einfach Talent! Es wäre eine Schande, sie nicht auf eine weiterführende Schule zu schicken."
Und nach ewigem „nein, nein, sie bleibt da, wo sie hingehört" und „kommt gar nicht in Frage" gaben ihre Eltern dann schließlich doch nach und Mila durfte ihr Abitur machen. Leicht waren sie vielleicht nicht, die paar Jahre am Gymnasium, aber Mila schob sich einfach durch. Ohne Hilfe, ganz allein. Und das sogar sehr gut. Sie war eine der Besten in ihrem Jahrgang.
Doch als dann die Frage kam, was sie denn wohl aus ihrer Zukunft machen solle, stand sie vor dem nächsten Problem. Es gab Vieles, dass sie damals interessierte. Als kleines Kind liebte sie es, sich mit dem alten Ägypten und den Pharaonen auseinanderzusetzten. Aber dann gleich Archäologie studieren, das wäre wahrscheinlich zu viel gewesen. Und als Teenager hatte sie dann mal an einem Kurs teilgenommen. Dort bauten sie gemeinsam einen Lautsprecher oder sowas. Das hatte ihr zwar schon irgendwie Spaß gemacht, aber deswegen Mechatronikerin werden, war dann auch aus der Luft gegriffen.
Mila wusste einfach nicht mehr, was sie noch aus ihrem Leben machen sollte, obwohl doch eigentlich alles vor ihr stand. Die bahnbrechende Idee kam dann, als ihre Oma aus der Großstadt zu Besuch kam. Wie man es von einer echten Großstädterin kannte: gut gekleidet, sehr schicke Ohrringe, Schuhe höher als Gott selbst – das auch noch mit 70 – und eine Frisur, die danach schrie, angesehen wollen zu werden. Mila sagte immer, wenn sie älter werde, wolle sie so werden, wie ihre Oma. Und als diese dann eines Abends zusammen mit ihrer Enkelin den Sonnenuntergang auf der Terrasse des Hauses beobachtete und genüsslich an ihrer Zigarette zog, kamen dann folgende Worte:
„Mein Kind, wer soll denn einmal meine schönen Ohrringe tragen, wenn ich mal nicht mehr bin? Und meine Schuhe, ach Gott, was wird aus denen wohl?"
Mila sah sie an. Sie schien ganz verblüfft. „Was ist denn mit mir? Schenkst du sie mir mal?"
Ihre Großmutter sah sie an und ging mit den Augen langsam ihren zusammengesackten Körper hinab. „Du? Ach, sei mir nicht böse...", und sie lachte herzlich dabei.
Zwar war Mila anfangs durchaus gekränkt, jedoch gab es ihr einen Ansporn. Sie sah sich im Spiegel an. Ja, was Oma gesagt hatte, da war schon ein Funken Wahrheit dabei. Mila war groß, um die 1,75 Meter sogar, ihre langen braunen Haare passten perfekt zu dem süßen kleinen Gesicht und fielen wie aufgemalt ihre ausgeprägten Schultern hinab. Mila war ein wirklich hübsches Mädchen, das wusste sie auch selbst. Aber ihre Kleidung... Meistens sah sie einfach nur aus, wie ein Sack. Wie ein alter Sack Kartoffeln, bei dem man noch Platz für die Beine ließ. Sie kannte es nicht, viel Geld für Kleidung auszugeben oder sich für Mode zu interessieren. Zumal hatte sie die Mittel dazu nicht und die nächste Stadt, in der auch die ganzen Geschäfte lagen, war doch kilometerweit entfernt.
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Gold ain't shinin' // Choi Yeonjun
FanfictionMila kam für ein Auslandsstudium nach Seoul. Um sich am Arbeitsmarkt zu etablieren, arbeitete sie während dem Studium und in ihren Semesterferien als Praktikantin für verschiedenste Mode- und Kleidungsfirmen, die in der Musikindustrie Südkoreas gera...