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Mila band sich die Haare hinter ihrem Kopf zu einem Zopf zusammen. Wieder musste sie die Augen verdrehen. Der Dozent hatte sie gerade ermahnt. Sie solle endlich aufpassen und ihm, der ja eine so unglaublich wichtige Autoritätsperson in dem Leben aller anwesenden darstellte, auch mal ein bisschen Respekt entgegenbringen. „Kommen Sie bitte nach dem Unterricht mal bei mir im Büro vorbei", sagte er zu Mila mit ernstem Ton in der Stimme.

Auch nach fast zweiwöchiger Abwesenheit durch das Praktikum hatte sich hier an der Uni scheinbar wenig verändert. Mila versuchte, sich mit Atemübungen ein wenig zu beruhigen. Bald werde es vorbei sein, bald werde sie Jenny und Lea treffen und die Möglichkeit haben, sich über diesen Typen auszulassen, war da Milas Mantra. Und während sich alle Augen, die nach der Standpauke des Dozenten auf sie gerichtet waren, wieder langsam nach vorne bewegten, überredete sich Mila dazu, diesem Typen für den Rest der Stunde ihr schönstes und reinstes Lächeln zu schenken.

„Mila, du scheinst im Unterricht des Öfteren mal abwesend zu sein. Nicht körperlich meine ich, sondern geistig. Du bist mit dem Kopf ganz wo anders, Mila!", der kleine Mann saß mit verschränkten Armen vor der Brust in seinem Lederstuhl hinter dem großen Schreibtisch. Als Mila vor ein paar Augenblicken sein Büro betreten hatte, konnte er sich nicht einmal die Mühe machen, für sie aufzustehen oder ihr wenigstens nett „Hallo" zu sagen. Mila stand nun vor ihm.

„Setz dich, bitte", er deutete auf einen der beiden Stühle vor Mila. Sie nahm Platz und stellte ihre Tasche daneben ab. „Also, erzähl mir, was ist denn los?", er richtete beide Augen auf sie und zog die Brauen weit hoch. „An wen denkst du, Mila?", er sah sie fragend an.

Sie schüttelte den Kopf und blickte verwirrt im Raum umher. „Ich? An wen ich denke?", er nickte. „Ja, Mila, an wen denkst du?", er ließ seine Blicke nicht ab.

„Ich denke an niemanden", sie hob die Schultern leicht an. Herr Kang richtete sich auf, löste sich aus seiner Pose und kam Mila über den Tisch etwas näher. „Hast du denn einen Freund, Mila?", er musterte sie.

Mila lachte. So etwas Dummes hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Und vor allem fragte sie sich, was das denn ihn anginge. Doch sie musste höflich bleiben. „Nein, Herr Kang, ich habe keinen Freund", sie hörte sich genervt an, worauf er ihr noch näherkam und sich mit den Armen auf dem Tisch abstützte. „Das ist sehr schade, Mila. Ein hübsches Mädchen wie du sollte doch in einem solchen Land nicht so ganz allein umherwandern".

Mila war fassungslos. Irgendwie fehlten ihr die Worte. Doch am meisten rätselte sie über den Sinn ihrer Unterhaltung. „Ich schaffe das schon, Herr Kang. Machen sie sich keine Sorgen", doch er ließ nicht locker.

„Nein, nein, du verstehst nicht. Dieses Land ist voll mit Irren und Spannern. Allein würde ich mich da als Frau, noch dazu als europäische Frau, nicht so wirklich sicher fühlen". Mila wagte es nicht, ihm auch nur ansatzweise in die Augen zu schauen. Viel lieber starrte sie durch die große Glasfront hinter ihm.

Sie seufzte. „Also, war es das, was Sie mir sagen wollten?", Mila gab ihm einen flüchtigen Blick. „Ein Mensch, der so verträumt ist wie du, Mila, muss stark aufpassen. Und wenn du doch keinen Freund hast, wer sollte dich denn dann beschützen?", er grinste sie an.

„Ich denke, ich komme ganz gut zurecht", Mila hatte schon nach ihrer Tasche gegriffen. Sie stand auf. Für sie schien alles gesagt. „Na dann, Herr Kang, vielen Dank für das Gespräch", sie hatte einen höhnischen Unterton. Er erhob sich von seinem Stuhl. Mila hatte den Türgriff bereits in der Hand, da trat er neben sie und hielt sie davon ab, zu gehen. Der Dozent hatte ihren Arm fest im Griff.

„Mila, nimm das nicht auf die leichte Schulter", er ließ seine Hand ein wenig nach unten wandern und griff nach ihrer. „Du weißt, du brauchst jemanden, der dich beschützt", Mila versuchte, sich von seinen Fingern zu lösen, doch er ließ nicht los.

Gold ain't shinin' // Choi YeonjunWo Geschichten leben. Entdecke jetzt