1. "Da werd ich fett!" - Catherine

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Mir war nicht klar, warum wir von Sydney nach London zogen. Schließlich war London am anderen Ende der Welt. Klar, Sydney war groß und hatte die Oper. Aber wer zur Hölle ging denn in die Oper? Vor allem in meinem Alter war Surfen angesagt. Und in London konnte man nicht surfen, es sei denn, die Themse schlug extrem hohes Wasser, aber auch da bestand die Gefahr, dass man gegen eine Brücke geschleudert wurde. Hier in Sydney bestand die größte Gefahr darin, gegen einen anderen Surfer zu prallen. Natürlich war immer der jeweils andere für den ganzen Scheiß verantwortlich, versteht sich. "Catherine! Steh auf, verdammt!", ertönte die Stimme meines Vaters vor meiner Tür. Seufzend setzte ich mich auf und rief: "In London kann ich nicht surfen, da werd ich fett!" Mein Vater jedoch gab nur zurück: "Du hast nicht die Veranlagung zum fett werden!" Ich seufzte nochmal und warf mir die Sachen über, die ich herausgelegt hatte. Ich wohnte allein mit meinem Vater in Sydney, in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Jedenfalls so lange, bis der Vermieter die Wohnung haben wollte. Und das hat etwas mehr als fünfzehn Jahre gedauert. Natürlich hatte ich meinen Vater gefragt, warum gerade London. Ich meine, Sydney ist die größte Stadt Australiens, hier musste sich doch irgendwo eine Wohnung finden lassen. Aber nein, mein Vater wollte unbedingt nach London. Ich meine, was hat er denn davon? Wir sprachen schließlich perfekt australisch, aber kein Wort von britischem Englisch. Meine Mutter hatte ich nie kennen gelernt, aber als ich meinem Vater gesagt hatte, dass ich glaubte, dass sie tot war... Beinahe hätte er mir eine geklebt. Aber nein, man schlägt keine Kinder. Braver Papa. Entweder wollte er es nicht wahr haben oder er glaubte wirklich daran, dass meine Mutter noch lebte. Unsere Sachen waren bereits seit einer Woche gepackt, unser Flug ging in fünf Stunden. Es gab natürlich keine Direktflüge von Sydney nach London, deswegen mussten wir ein- oder zweimal umsteigen. Als ich auf die Karten sah, stöhnte ich entnervt. Zwölf Stunden allein für den ersten Flug! Und ich war noch nie geflogen! Zwölf Stunden von Sydney nach Peking! Und dann noch geduldig am chinesischen Flughafen warten, etwa fünf Stunden, dann ab in den nächsten Flieger nach Deutschland. Nach Frankfurt. Nie gehört. Aber der Flug hatte auch eine prächtige Dauer von knapp zehneinhalb Stunden. Aber, soweit ich das wusste, liegt Deutschland in Europa, konnte also nicht allzu weit weg sein. Tatsächlich. Eine Stunde Wartezeit auf dem Flughafen und dann die letzten eineinhalb Stunden bis nach London Heathrow. Es war gerade mal 14 Uhr! Ja, ich weiß, aber ich liebte es, lange zu schlafen! Schnell sprang ich auf, um wenigstens zu duschen. Immerhin war ich dann ja mehr als einen Tag unterwegs, sprich, 29 Stunden, wenn man genau sein wollte. 29 Stunden in der Luft, beziehungsweise irgendwo auf dem Flughafen mit dem Versuch zu schlafen. Seufzend schnappte ich mir ein Handtuch und ging duschen. Als ich das warme Wasser in meinem Nacken spürte, entspannte ich mich und legte den Kopf nach vorne. Dabei fielen mir die Haare in die Augen, welche ich genervt wegpustete. Wenn ich mich selbst beschreiben müsste, würde ich spontan nicht sagen, dass ich attraktiv wäre. Meine Haare gingen mir bis knapp über die Brüste, waren dunkelbraun und lockig. Offenbar hatte ich die Haarfarbe meines Vaters geerbt. Ich trug meine Haare zu Hause immer im Mittelscheitel, damit mein Vater den Undercut auf meiner rechten Kopfseite nicht sah, den ich mir vor ein paar Wochen in einem Anfall von pubertärem Trotz geschnitten hatte. Ich glaube, ich verkörperte ziemlich gut das Bild von einer rebellischen Teenagertochter. Jedenfalls glaubte das mein Vater. Wenn der nur wüsste...

Nach einer geraumen Zeit, die ich in der Dusche verbracht hatte, beschloss ich, dann doch schnell zum Subway nebenan zu gehen und Frühstück für mich zu holen. Schnell und geübt rieb ich mir mit einem Handtuch die Haare trocken. Früher hätte das ewig gedauert, aber mein Undercut war zu kurz, als dass er lange zum trocken werden brauchen würde. Sorgfältig legte ich meine Haare in ihre übliche Position, damit mein Vater nichts sah. Dann holte ich schnell Geld aus meinem Portemonnaie und holte mir mein Frühstück.

Immerhin mussten wir schon um 16 Uhr los zum Flughafen, da bestimmt die Hölle los sein würde. Und wer hatte wie immer Recht? Ich natürlich. Natürlich werde ich meine Freunde vermissen. Sydney hatte viele schöne junge Frauen. Vermutlich hatte mein Vater einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich mich eher für Frauen als für Männer interessierte. Oft genug hatte er mit seiner Lehrerstimme gesagt: "Und denk immer daran, Catherine. Frauen werden immer inniger lieben als Männer." Er wusste, dass ich auf der Suche nach einer Beziehung fürs Leben war. Daraufhin hatte ich diesen Satz zum ersten Mal gehört. Und mich von Männern abgeschworen. Frauen küssten auch besser. Und man hatte nicht so einen hohen Kondomverbrauch. Ich habe keine Ahnung, wie gut ich bin, aber bisher waren alle meine Exfreundinnen jedes Mal nach kurzer Zeit gekommen. Jedenfalls glaubte ich, dass es nach kurzer Zeit war. Generell vergaß ich schnell die Zeit bei Frauen im Bett. Vielleicht hätte ich eine andere Ansicht gehabt, wenn ich meine Mutter kennen gelernt hätte. Hatte ich aber nicht, sodass ich nun 29 Stunden nach London zum Arsch der Welt fliegen durfte. Zum Glück habe ich schon oft neben meinem Vater im Bus gesessen, sodass ich wusste, wie ich mich hinsetzen musste, damit es für uns beide halbwegs bequem war. Zwei Sachen waren absolut bestimmend für mein Leben: Puncto a war ich ein erklärtes Papakind und da mein Vater und ich über 15 Jahre auf engstem Raum gelebt hatten und ich sehr schnell ziemlich schwere Meningitis oder Migräne bekommen konnte, hatte ich immer bei meinem Vater geschlafen, da ich als kleines Kind Angst davor hatte, allein krank im Bett zu liegen. Irgendwie hatte sich die Sache bewährt und die Meningitis wurde chronisch, sodass ich mich mittlerweile vier- oder fünfmal im Jahr mehrere Wochen lang mit diesem Scheiß quälen musste und über diese Zeit bei meinem Vater schlafen durfte, führte mich zu Puncto b: ich liebte es einfach zu kuscheln. Ob mit meinem Vater, mit guten Kumpels oder Exfreundinnen, ich liiiiebte kuscheln einfach. Nicht als sexuelles Vor- oder Nachspiel, einfach nur, weil ich gerne gekuschelt wurde. Ab und zu kam ich auch mitten in der Nacht in Daddys Zimmer, sagte leise: "Kuschelbedarf" und kuschelte meinen Dad. Vielleicht hatte er vorhin ein kleines Bisschen herrisch gewirkt, aber Dad war nun mal so.

My Boyfriend's SisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt