12. "Scheiße kann sentimental sein?" -Evelyn

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Als wir die Notaufnahme betraten, und Alice Charles und Catherine anmeldete, sprach die Empfangsdame sofort in den Lautsprecher: "Dr Anderson in die Notaufnahme, Dr Anderson bitte." Dann wies sie uns Plätze zu, als wären wir im Theater oder so. Charles fragte sofort: "Warum ein Gentest? Was soll er denn gehabt haben?" Vermutlich sah Catherine die Sache genauso wie ich. Es war gemein, dass Charles seinen Vater "Er" nannte. Ist ebenso blöd, als würde ich Catherine oder Alice "Sie" nennen. "Er ist dein Vater, Charles." Das erste Wort betonte sie ganz besonders, um es ihm nochmal schön unter die Nase zu reiben. "Er ist mein Erzeuger, Mom. Aber war er jemals mit mir Fußballspiele ansehen? Nein, war er nicht." Catherine seufzte und beugte sich in ihrem Stuhl vor und halb über mich hinweg zu Charles. Ließ dabei nicht viel von ihrem Busen verdeckt. Normalerweise würde ich das jetzt unfreundlich finden, aber ich wusste ebenso gut, dass Charles Catherine für ein eingebildetes Miststück hielt und somit von ihrem Busen nicht allzu viel halten würde. "Hör mal zu, Bubi. Er hatte vermutlich eine Krankheit, die er vererben könnte. Und davon wären dann sowohl du als auch ich betroffen. Also komm mir nicht mit deiner sentimentalen Scheiße und fang lieber mal an mit der Frage, was es bedeutet, zu leben." Auf einmal stand ein Arzt vor uns. "Scheiße kann sentimental sein?", fragte er, die Augenbrauen hochgezogen. "Sehen Sie doch", gab Catherine überheblich zurück. Bevor irgendwer sie tadeln konnte, fing der Arzt an zu lachen. "Auch gut. Ich bin Dr Anderson, Pathologe. Sie müssen Catherine Williams sein." Catherine erhob sich und schüttelte knapp seine Hand. "Hawthorne. Aber ich glaube, hier sind Sie richtig." Er nickte Catherine kurz zu und wandte sich an uns andere: "Darf ich Sie kurz mit in mein Sprechzimmer mitnehmen? Es gibt da einige Dinge, die der Klärung bedürfen." Catherine nickte, nahm meine Hand und zog mich mit. "Kommt, Kinder." "Also... Am besten ist es, wenn Sie sich erstmal hinsetzen. Ich erkläre Ihnen das Ergebnis der Biopsie ihres Vaters... Ehemannes...?" Er endete in einer Frage, an mich gerichtet. "Großonkels...", gab ich trocken zurück, während Alice murmelte: "Wir waren nicht verheiratet..." Ich bemerkte relativ spät, dass alle Stühle besetzt waren, sodass ich mich kurzerhand auf die Armlehne von Catherines Stuhl setzte. Welch Luxus, es gab nicht mehr viele Ärzte, die Armlehnen hatten. Vor allem so gut gepolsterte. Sofort legte Catherine ihre Hand auf mein Knie. Ich grinste sie nochmal kurz an, bevor ich mich an Dr Anderson wandte. "Also gut... Ich muss Ihnen allen sagen, dass ich kein Freund von Euphemismen bin. Deswegen bitte ich Sie um die Erlaubnis, frei zu sprechen." Wir alle nickten einmal bekräftigend. "Mr Hawthorne hatte Chorea Huntington." Charles und Catherine zogen die Augenbrauen zusammen und fragten ihn einstimmig: "Was ist das?" Daraufhin warfen sich beide einen finsteren Blick zu. Warum waren sie sich nur so verdammt ähnlich? "Chorea Huntington ist eine autosomal-dominante..." "Wir haben gefragt, was das ist, nicht, warum Milchreis mit Fisch ekelhaft ist", unterbrach Catherine ihn gereizt. Dr Anderson seufzte. "Das versuche ich Ihnen gerade zu erklären, Miss Williams." "Hawthorne", unterbrach sie ihn erneut, woraufhin ich ihr einfach den Mund zuhielt. Nach allem, was ich wusste, würde es mich nicht überraschen, wenn sie auch noch Bauchrednerin wäre. "Halt doch einfach mal den Rand, Catherine...", seufzte ich und ignorierte die Tatsache, dass sie mir in den Finger gebissen hatte. "Entschuldigung", sagte ich zu Dr Anderson und bedeutete ihm, weiterzusprechen. "Chorea Huntington ist eine Erbkrankheit, wie Sie vermutlich vermuten." Charles schmunzelte über diese Alliteration. "Beide Geschlechter können diese Krankheit bekommen, allerdings nur in direkter Abstammung." Charles zog die Augenbrauen zusammen. "Also, nochmal von vorne. Warum reden Sie von dieser Krankheit, und was hat die mit uns zu tun?" Catherine verdrehte die Augen. Hatte er es immernoch nicht gerafft? "Bei der Autopsie Ihres Vaters wurde Chorea Huntington diagnostiziert", sagte Dr Anderson mit bemerkenswert ruhiger Stimme. "Und es wäre wichtig für Sie zu erfahren, ob Sie diese Krankheit ebenfalls haben." Charles' Kiefer spannte sich an und er sah zu Catherine. "50 Prozent, dass ich es habe. 50 Prozent, dass du es hast. Also hat es auf jeden Fall einer von uns beiden." Ich hatte meine Hand von Catherines Mund gelöst und sie sagte trocken: "Du Genie vergisst allerdings, dass Krankheiten nicht rechnen können." Charles verdrehte nur die Augen, ebenso wie Alice. "Sie haben beide Recht, theoretisch hat einer von Ihnen Chorea Huntington. Ich wollte Sie zuerst aufklären, über die Risiken der Krankheit, bevor Sie einen Test machen." Catherine zog eine Augenbraue hoch. "Also bei mir ist es nicht wichtig, ob ich den Test mache...vermutlich werde ich so oder so mit 40 sterben." Ich zuckte zusammen, als sie mich daran erinnerte, dass wir nicht mehr alle Zeit der Welt hatten. "Die Kurzfassung aller Erklärungen ist: im Alter werden sich nacheinander alle Bereiche des Gehirns abschalten. Unwiderruflich. Wie alt war Mr Hawthorne, als er verstarb?" Alice senkte den Blick. "37", antwortete zu meiner Überraschung Catherine neben mir. Wow. Maxwell war mir immer sehr jung erschienen, also für jemanden, der einen 18-jährigen Sohn und eine 16-jährige Tochter hatte, die beide von ihm waren und außerdem war Alice auch noch ziemlich jung. "Haben sich irgendwelche Anzeichen offenbart, wie zuckende Gliedmaßen, eine ungewohnte Gestik oder Stimmungsschwankungen?", fragte Dr Anderson und ich bemerkte, dass Alice und Catherine einen nachdenklichen Blick austauschten. "Seine Hände..." Catherine nickte. "Seine Hände haben ab und zu gezuckt... Er hatte sie ganz oft fest verschränkt und hat sich ständig durch die Haare gefahren." Charles zuckte die Schultern. "Ich fahr mir aber auch ständig durch die Haare..." Ich schüttelte den Kopf und bevor mein Gehirn sich einschalten konnte, sagte ich: "Du machst das -im Unterschied zu Maxwell- aber, um verzweifelt cool zu wirken." Fast wie in Zeitlupe drehte er den Kopf zu mir, einen schockiert-wütenden Gesichtsausdruck aufgesetzt. Catherine kicherte leise und sagte: "Der war echt gut." Sogar der Pathologe prustete kurz, rang aber um Fassung. "Das ist ein klares Anzeichen. Ihr Vater wollte den Qualen dieser Krankheit entgehen und hat sich deswegen von der Klippe gestürzt." Ich sah Catherine an. Ich wusste, dass sie ihren Vater für einen Feigling gehalten hatte, einerseits verstand ich sie, andererseits war ich der Ansicht, dass es absolut die Sache der betroffenen Person war. Catherine war nicht sonderlich einfühlsam, also würde sie diese Person noch mehr verletzen. Ich meine, klar ist das Leben scheiße, das wird auch immer so bleiben. Und leichter wird es nie. Aber die schönen Seiten werden immer überwiegen, wenn man die Augen danach offen hält. Es ist niemals alles schwarz und weiß. Bei jedem Suizid hätte Catherine sich beleidigend gezeigt. Das hatte sie auch bei Maxwell getan. "Mein Vater war kein Feigling?", fragte sie, und ich war mir sicher, dass nur ich das Zittern in ihrer Stimme gehört hatte. "Max war nie ein Feigling, Catherine..." Ihr Blick irrte zu Alice. Auch in ihren Augen standen Tränen. Cath senkte schnell den Blick und kniff die Augen fest zusammen. Ich nahm ihre Hand und drückte sie leicht. "Ich... ich würde mich gerne testen lassen." Wow. Ich hätte niemals erwartet, dass Charles sowas sagen würde. Offenbar war ich nicht die einzige, auch Catherine und Alice sahen ihn positiv überrascht an. Catherine lächelte Charles zum ersten Mal offen und ehrlich an. "Ich auch", sagte sie, "Ich kann doch nicht zulassen, dass gerade du den Test machst und ich nicht." Ich verdrehte die Augen. So kannte ich Catherine. Schaffte es nicht mal, etwas nettes zu sagen, ohne beleidigend zu sein. "Und... wäre es möglich, dass ich Chorea Huntington auch hätte? Ich meine... die Schwester von Mr Hawthorne ist meine Großmutter..." Dr Anderson lächelte mich leicht an. "Hat Ihre Großmutter denn bisher Anzeichen davon gehabt?" Ich schüttelte den Kopf. Bisher war sie mir immer sehr normal erschienen. "Dann können Sie es nicht haben." Ich atmete erleichtert auf. Catherine beugte sich unwohl vor. "Eine letzte Frage noch, Dr Anderson. Ist es wahrscheinlicher, Chorea Huntington oder Gehirntumore zu heilen?" Er zögerte, bevor er stockend antwortete. "Für beides gibt es bereits Medikamente. Auch Placebos. Ich kann es Ihnen nicht sagen, ich würde zu unentschieden tendieren."


Huhu :) Im innern gab ich mir ein Vesprechen, erst weiterzuschreiben, wenn My Boyfriend's Sister 700 Leser hat. Mission completed, danke dafür. Ich widme dieses Kapitel zudem meiner guten Freundin SaphiraMorgenstern, und um deine Frage komplett zu beantworten: von Chorea Huntington hörte ich das erste Mal durch Dr House.

XOXOXOXOXOXO Nelly :)





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