9. "Das ist mein Vater."- Catherine

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-Zeitsprung-

-eine Woche später-

Es gab nur ein einziges Wort, um Schottland zu beschreiben. Kalt. Möglicherweise lag es auch an dem kalten Küstenwind oder an der Wassertemperatur. Spielte keine Rolle, es war so oder so kalt. Trotz der kalten Temperatur war meine Surfernatur von den hohen Wellen beeindruckt. Natürlich verbot mein Vater mir das Surfen, schließlich waren die Wellen ja viel zu hoch. Ich wusste natürlich, dass er ebenso gerne surfen war wie ich, und ich wusste auch, dass er es doppelt so gerne machen würde. Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, ins Wasser zu gehen. Ich wusste gut, dass Evelyn es hasste, wenn ich nass war und von ihr warmgekuschelt werden wollte. Aber in solchen Momenten ging das kleine Kind mit mir durch, sodass ich es förmlich darauf anlegte, dass sie mich anfauchte. Ich liebte das. Dann maulte ich immer: "Anstatt einfach mit ins Wasser zu kommen..."  Aber dann konterte sie: "Kannst auch einfach draußen bleiben." Heute war wieder so ein Tag. "Ach komm schon!", beschwerte ich mich. "Jetzt hast du schon mal die Gelegenheit, mich halb nackt zu sehen, dann will ich auch meinen Spaß haben! Ich hab dich nicht mitgenommen, damit du hier bei den Weicheiern hockst und dich an meiner Bikinifigur aufgeilst!" Evelyn zog ihre Jacke enger um sich, obwohl ich genau wusste, dass sie darunter ihre Badesachen trug. Ich seufzte. Obwohl wir in jeder Nacht nebeneinander schliefen, hatte ich nie mehr von ihr gesehen als das, was ich täglich von ihr sehen konnte und nicht von einem Shirt bedeckt war. "Aber es ist kalt!", sagte sie, als wäre das ihr einziges Argument. Zumal es ein schlechtes war. "Dann komm mit ins Wasser, da ist es wärmer." Seufzend fuhr sie sich durch die Haare und streifte sich die Jacke von ihren Schultern. Na also. Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, sie war so wunderschön. Sie hatte einen schlanken Oberkörper, allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass sie dafür viel Sport machen musste. Andererseits war sie auch nicht besorgniserregend dünn. Sie war perfekt, der schwarze Bikini saß verdammt knapp. Sie biss sich auf die Unterlippe. "Wow...", war das einzige, was ich dazu sagen konnte. Sie grinste leicht und ging unsicher zum Wasser. Ich grinste, da sie quietschte, als sie mit den Füßen im Wasser stand. Ich lachte und streckte die Hand nach ihr aus. "Vertrau mir." Zögerlich nahm sie meine Hand und ich ging zu ihr. "Auf drei rennen wir los, okay?" Sie nickte langsam. "Eins...zwei...drei!" Sie kreischte wie eine Sirene, als ich sie mit mir ins Wasser zog. Lachend zog ich sie an mich und schnupperte an ihrem Haar, welches wie immer nach ihrem Nektarinenshampoo duftete. Sie kicherte und ich spürte ihren warmen Atem, welcher mir eine wohlige Gänsehaut über den Körper schickte. "Ist dir etwa kalt? Also bei mir gehts grad voll...", grinste sie. Ich schnaubte. "Dann atme mich nicht an.", hauchte ich und strich über ihren Rücken, bevor ich mich von ihr löste und zum Strand blickte. Mein Vater war gerade aufgestanden. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen; allzu weit war der Strand nicht entfernt. "Dad?!", rief ich. "Wo willst du hin?" Ich sah, dass er die Hände zu einem Trichter um seinen Mund bog und hörte ihn rufen: "Ich geh nur was zu trinken holen!" Ich zog die Augenbrauen zusammen, entgegnete aber nichts. Evelyn sagte leise: "Der Getränkestand ist da oben auf den Klippen... Das kann Stunden dauern, bis man da wieder unten ist. Wenn man wieder heile runterkommt..." Ich sah sie ruhig an. "Mein Vater schafft das. Er will nur was zu trinken holen."

Etwa 15 Minuten später gingen wir wieder raus, weil Evys Lippen blau wurden. Mein Vater war noch nicht wieder zurück, aber darum machte ich mir keine Sorgen. Sorgen machte ich mir erst, als sich ein Tumult vor den über 50 Meter hohen Klippen bildete. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen und sah Evelyn an. Diese jedoch konzentrierte sich eher auf eine Diskussion zwischen Charles und Alice. "Evelyn...?", fragte ich und nahm ihre Hand. Sie sah auf. "Hast du Schmerzen, ist alles okay?" Ich schüttelte den Kopf. "Was machen die da unten?" Ich deutete auf den Tumult. Die Antwort jedoch erhielt ich von Alice. "Die jubeln Klippenspringern zu.", sagte sie unbekümmert. "Max hat das früher auch immer gemacht." Max nannte sie ihn. Meinen Vater. Charles kniff die Augen zusammen, um in der Ferne etwas zu erkennen. "Ich glaube aber, dass Klippenspringer normalerweise nur eine Badehose anhaben. Der da ist komplett angezogen." Wie auf Kommando sprangen wir vier gleichzeitig auf und rannten zum Tumult. "Evelyn..?", fragte ich ängstlich und umklammerte ihre Hand. "Das ist mein Vater." Das war keine Frage. Evelyn hatte Recht gehabt. WENN man wieder heile runterkam. Wer in Klamotten von einer Klippe sprang, wollte nicht heile runterkommen. Ich starrte nach oben zur Klippe. Es war eindeutig mein Vater, er war der einzige, der heute einen schwarzen Hoodie trug. "Max!", rief Alice verzweifelt und wollte auf ihn zurennen, Charles jedoch packte seine Muttern an den Schultern und hielt sie fest. "Max!", rief Alice erneut und ich hatte wirklich das Gefühl, dass er zu uns blickte. Er müsste es schaffen, zehn Meter weit zu springen, wenn er im Wasser landen wollte. Vorher würde er auf Stein treffen. Beides wäre gleich schmerzhaft, auch wenn das Wasser nachgab. Dann würde er ertrinken. Aber er würde auf den Boden treffen. Welch eine Sauerei das geben musste. Ich sah, dass mein Vater die Augen schloss. In diesem Moment wurde ich ganz ruhig. Ich konnte es nicht ändern. Er breitete die Arme aus. Offenbar begriffen die Leute schlagartig, dass mein Vater das nicht zum Spaß machte; schlagartig verstummte das Geschrei.



Schwärze.



Einzelnes Geschrei, aus Angst. Mein Vater stürzte stürzte wie ein großer schwarzer Raubvogel herab.



Schwärze.



Das dumpfe Geräusch, wenn Knochen brechen.



Wut.



Angst.



Enttäuschung.



Ich versuchte, Evelyns Hände abzuschütteln und mir den Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, bemerkte, dass Alice dasselbe tat. Hysterische Schreie aus zwei Mündern. "MAX!" Ihre Stimme brach und sie ließ sich in Charles' Arme fallen. Nur noch eine kreischende Stimme.



Schwärze.



"Catherine? Bitte... wach auf..." Evys Gesicht hing über mir, Tränen in ihren Augen. Ihre Oberlippe zitterte. "Evy..." Fuck, es war kein Traum... "Nein..." Evy schluchzte auf.



Schwärze.



Ich musste es tun, sorry. Ich musste das jetzt einfach loswerden.

XOXOXO Nelly

My Boyfriend's SisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt