Freya war eine der Wenigen, die noch auf den Bänken bei der Getränkeausgabe in der Eingangshalle saßen. Die meisten hatten es sich inzwischen in den Aufenthaltsräumen gemütlich gemacht oder sich einen Schlafplatz in den zahlreichen Etagenbetten gesichert. Ihre Mutter hatte Finn ebenfalls dahin mitgenommen. Doch Freya konnte nicht schlafen. Nicht, solange James noch da Draußen bei einem berstenden Deich war.
Sie sah auf den Kaffee in ihren Händen hinunter und spielte mit dem kleinen Nudelholz an ihrem Schlüsselbund. Plötzlich spürte sie, einen warmen Körper in ihrem Rücken. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie brauchte nicht aufzuschauen, um zu wissen, wer es war. Lächelnd legte sie ihren Kopf in den Nacken und lehnte ihn gegen seinen Bauch. «Hey.»
«Hey», erwidert James und strich ihr mit zwei Fingern sanft über die Stirn.
Freya schloss ihre Augen für einen Moment und genoss die vorsichtige Berührung. Als sie diese aber wieder öffnete und eine gähnende Leere da erkannte, wo eigentlich seine Prothese hätte ansetzen sollen, schreckte sie alarmiert zurück und drehte sich richtig zu ihm um. «Was ist mit deinem Arm passiert?»
«Nichts Schlimmes. Ich habe ihn freiwillig abgenommen.» James stieg mit einem Bein über die Sitzbank und setzte sich zu ihr.
«Wieso?»
«Ich habe nie darum gebeten. All die Prothesen waren bloß Leihgaben, damit ich für sie kämpfen konnte. Ich habe genug gekämpft. Ich will das nicht mehr.»
Freya lächelte und griff nach seiner Hand. «Dann lass mich die Erste sein, die dich das fragt: James Barnes, was willst du denn jetzt tun?»
«Meine Familie kennenlernen. Vorausgesetzt, es ist noch nicht zu spät dafür.»
«Niemals.» Freya rutschte etwas näher zu ihm und strich vorsichtig die paar nassen Strähnen zurück, die ihm ins Gesicht fielen. Das kräftige Dunkelbraun seiner Haare war inzwischen von vereinzelten grau-weißen Strähnen durchzogen. Ob es wohl einen Zusammenhang damit gab, dass sie ihn nicht länger 'Winter Soldier' und stattdessen 'weißen Wolf' nannten? Sie hatten sich so viel zu erzählen. «Meine Mutter ist bei Finn. Er schläft.»
«Erzähl mir von ihm.»
«Gleich», versprach sie und sah zur Kaffeestation hinüber. «Nachdem du mir gesagt hast, was du trinken möchtest.»
«Was gibt's?»
«Kaffee, Tee, heiße Schokolade...»
«Die Art, die du machst?»
«Du erinnerst dich?»
«Ja. Ich hoffe nicht, dass du die Finn trinken lassen hast.»
Sie lachte. «Nur ohne Schuss. Aber du siehst so aus, als ob du den Rum vertragen könntest.»
Dagegen wandte er nichts mehr ein und so holte Freya eine Schokolade mit Schuss für ihn. Diese würde er auch brauchen, wenn er wirklich die ungeschönte Wahrheit der letzten Jahre mit Finn hören wollte. So gerne sie ihren Wirbelwind hatte und so glücklich sie manchmal gewesen war, alleinerziehend zu sein war definitiv kein Zuckerschlecken gewesen.
«Naja, und dann hat dieser verdammte Dauerregen letzte Woche meine Wohnung überschwemmt. Seither wohne ich wieder bei meiner Mutter», schloss sie schließlich ihre Erzählungen. Durch die schmalen Fenster im Eingangsbereich war zu erkennen, dass draußen schon langsam der neue Tag anbrach.
«Es tut mir leid, dass du da komplett alleine durch musstest. Ich wünschte, ich hätte für euch da sein können.»
«Alles was zählt ist, dass du jetzt hier bist.» Freya lehnte vorsichtig ihren Kopf gegen seine Schulter. Das Metall unter seinem Shirt war hart, doch sie störte es nicht. «Was hast du eigentlich die letzten paar Jahre so gemacht?»
«Viel gearbeitet. Ich war eineinhalb Jahre in Wakanda. Danach zurück nach New York und von da aus in die ganze Welt. Du wärst entrüstet über die Menge an Fastfood, die ich gegessen habe.»
Freya hielt sich schnell die Ohren zu. «Hab ich gar nicht gehört.»
Er lachte.
«Gab es jemanden...?», fragte sie dann etwas zögerlich, doch er schüttelte sofort den Kopf. «Nein.»
Obwohl sie es ihm nicht hätte übelnehmen können, wenn er sich nochmals verliebt hätte, war Freya froh, dass es nicht so war. Sie mochte die Vorstellung einer anderen Frau mit ihm überhaupt nicht.
«Und bei dir?», riss er sie aus den Gedanken.
«Ich habe ein Kind zur Welt gebracht und großgezogen. Da bleibt nicht viel Platz übrig für anderes. Und in der freien Zeit, die ich dann mal hatte, habe ich lieber an meinem Buch gearbeitet als durch die Bars zu streifen.»
Die erwartete Erleichterung blieb aus. Stattdessen sah er sie nur weiter starr aus diesen wunderschönen blauen Augen an. Freya legte ihm sanft eine Hand auf den Arm. «Nein James, es gab niemanden.»
Das Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück und er zog sie näher zu sich. «Gut zu wissen.»
«Was sagt eigentlich Steve dazu, dass du nicht länger kämpfen willst?»
«Ist mir herzlich egal.»
Sie zog eine Augenbraue hoch. «Habt ihr euch gestritten?»
«Kann man so sagen...», erwiderte er und an der Art wie er seine Faust ballte, konnte Freya schon erahnen, dass es nicht ganz friedlich gewesen war. Irgendwie gab ihr der Gedanke, dass James dem Captain gehörig eine verpasst hatte, etwas Genugtuung. Und trotzdem schwang da auch ein bitterer Nachgeschmack mit. Es war kein Geheimnis, wie wichtig Steve ihm war.
Bevor sie jedoch etwas dazu sagen konnte, betrat eine Handvoll Polizisten in Regenjacken die Eingangshalle und verkündete: «Wir haben das Schlimmste überstanden. Sie dürfen nach Hause.»
Die Erleichterung, die sich im Raum breit machte, war förmlich zu spüren. Freya erhob sich und verschränkte ihre Hand mit Seiner. «Komm, lass uns Finn holen.»
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Ich wohne nebenan - eine Bucky Barnes-FF [Rewrite]
FanfictieEin Apartment mitten in Brooklyn, eine Kolumne in einer der renommiertesten Zeitschriften der Stadt und der erste Schnee. Besser hätte hätte sich Freya den Wechsel in ihre neue Stelle nicht erträumen können. Der perfekte Anfang für ihr ganz persönli...